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Gewerkschaften in sozial-ökologischen Transformationskonflikten

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Autor

Stephan Krull,

Wie wir das Klima schützen und eine sozial gerechte Mobilitätswende umsetzen können
«Wie wir das Klima schützen und eine sozial gerechte Mobilitätswende umsetzen können»

IG Metall, Verdi und der DGB haben sich zum 1,5-Grad-Ziel bekannt und mit Umweltorganisationen (BUND, Nabu, Naturfreunde), Sozialverbänden (SoVD, VDK, AWO) und kirchlichen Gruppen (EKD) im April 2021 ein Verkehrswendebündnis gebildet.

Der Konflikt bei der Transformation oder Konversion der Autoindustrie und der Verkehrswende liegt darin, dass einerseits die Klimakrise (Erderwärmung) begrenzt werden muss, andererseits die sozialen Ansprüche der Beschäftigten berücksichtigt werden müssen. Die Einhaltung der Klimaziele (1,5-Grad-Ziel) ist keine beliebige Meinung, keine moralische Position, sondern eine Überlebensfrage der Menschheit. Das Pariser Klimaabkommen, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, der jüngste Bericht des Weltklimarates und die berechtigte Empörung des UN-Generalsekretärs («Dieser Verzicht auf Führung ist kriminell.») haben dem 1,5-Grad-Ziel menschenrechtlichen, völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Rang gegeben. Auch die IG Metall hat sich diesem Ziel verpflichtet.

Die Autoindustrie wird diesem Ziel jedoch nicht gerecht. Die Emissionen des motorisierten Individualverkehrs (MIV) haben seit drei Jahrzehnten keinen positiven Beitrag zur Klimabilanz geleistet. Daraus ergibt sich, dass die Autoindustrie und der MIV schrumpfen müssen – nicht auf null, aber ganz erheblich.

Artikel 14/15 Grundgesetz beinhalten die Nützlichkeit von Eigentum für die Allgemeinheit und die Möglichkeit der Vergesellschaftung, wenn diese Nützlichkeit nicht erbracht wird. Das trifft offensichtlich auf die Autoindustrie zu. Welche juristischen Konsequenzen sich daraus ergeben, ist zu diskutieren. Der Staat erfüllt ebenfalls nicht seine Aufgabe, das Recht auf Mobilität für alle als Daseinsvorsorge zu gewährleisten.

I.

Der öffentliche Personenverkehr (ÖV) ist die Alternative zum MIV. Es kommt das Argument, dass der ÖV zu wenig entwickelt ist – vor allem in ländlichen Regionen ist oft überhaupt kein Angebot vorhanden. Die Menschen werden so gezwungen, ein Auto zur Verfügung zu haben und zu benutzen. Und es kommt das Argument, dass der Ausbau des öffentlichen Verkehrs zu lange dauert – Busse und Bahnen bauen, Infrastruktur herstellen, Tramfahrer:innen und Lokführer:innen ausbilden – das dauert alles viele Jahre.

Das ist ein echtes Dilemma – aber seit Jahren bekannt. Und seit Jahren passiert nichts bzw. viel zu wenig. Außerdem geht das nur mit Zustimmung der Bevölkerung – am Beispiel der Ablehnung der Innenstadtstecke der Straßenbahn in Tübingen per Bürgerentscheid (57 Prozent dagegen) vom September 2021 wird deutlich, dass das nicht funktioniert.

Autobahnen wie die Berliner A100 und andere Straßen werden gebaut – sehr teuer, gegen Widerstände und mit Enteignungen.

Um die Akzeptanz des öffentlichen Verkehrs zu erhöhen, sind zwei Maßnahmen nötig:

  • Autofahren muss unattraktiv gemacht werden durch klimaschonende und energiesparende Regelungen wie Tempolimit, Begrenzung von Motorstärken, Hubraum, Verbrauch und Emission sowie eine Einbeziehung aller Kosten des MIV in die Besteuerung vor allem großer und PS-starker Autos.

  • Öffentlicher Verkehr muss attraktiv gemacht werden: Bequeme Fahrzeuge, bedarfsgerecht getaktet und preiswert bis zum Nulltarif im ÖPNV. Das 9-Euro-Ticket könnte ein Anfang sein und sollte verstetigt werden. Und dann muss gebaut werden: Trassen und Fahrzeuge bauen und Personal ausbilden, Beschäftigte einstellen und gute Arbeitsbedingungen schaffen.

Aus den Studien und Analysen der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu Auto, Bahn und Bus (Spurwechsel) ergibt sich, dass die Reduktion der Beschäftigung in der Autoindustrie, durch Beschäftigungsaufbau für den ÖV überkompensiert werden können. Für die IG Metall ergibt sich die Möglichkeit, den Verlust an Organisationsmacht im Automobilbereich durch den Aufbau von Organisationsmacht im Schienenfahrzeug- und Busfertigung ebenfalls auszugleichen.

Das ist der Schlüssel dafür, die notwendige ökologische Transformation sozial zu gestalten – niemand muss Angst haben (anders als bei der Stilllegung der Kohleindustrie), ins Bodenlose zu fallen. Beider Verkehrswende geht es nicht um Abbau, sondern um Umbau. Das ist der Schlüssel für die demokratische Beteiligung der Beschäftigten an dieser Transformation, weil sie allen eine Perspektive und gute Zukunft gewährt.

II.

Der grundlegende Umbau der Industrie hat längst begonnen – unabhängig von unserer Haltung dazu. Die Absatzzahlen von Autos sind seit Jahren rückläufig, ebenso die Beschäftigung in der Auto- und Zulieferindustrie – ganz brutal bei Opel, Mahle, Bosch und Conti, etwas abgefedert bei Ford und Volkswagen. Die Verdichtung von Arbeit ist ein permanenter, krank machender Prozess in den Autofabriken. Die Industriestruktur ändert sich – auch durch den Antriebswechsel. Neue Anbieter aus USA und China wollen den Weltmarkt für Mobilität erobern. Von der Veränderung der Industriestruktur sind auch andere Gewerkschaften und nicht nur die IG Metall betroffen: EVG, Verdi, IG BCE. Die Industriegewerkschaften verlieren jetzt Mitglieder – unaufhaltsam, wenn die sozial-ökologische Transformation nicht eingeleitet wird. Um den Beschäftigten die Angst vor Veränderungen zu nehmen und die Tür nach rechts zu versperren, ist eine solche Transformation unabdingbar.

Diese sozial-ökologische Transformation kann nicht allein von Gewerkschaften gestemmt werden – dazu sind ein breites gesellschaftliches Bündnis und ein gesellschaftlicher Konsens erforderlich. Die Transformation beginnt mit einer Kritik der Industrie und staatlichem Handeln: In geschlossenen Runden wie der Regierungskommission «Nationale Plattform Zukunft der Mobilität» wird – ohne ausreichende Beteiligung von Gewerkschaften, Verbraucher-, Umwelt, Klima- und Verkehrsinitiativen – die Mobilität der Zukunft, ein «grüner Kapitalismus», geplant. Die IG Metall, Verdi, der DGB haben sich, wie erwähnt, zum 1,5-Grad-Ziel bekannt und mit Umweltorganisationen (BUND, Nabu, Naturfreunde), Sozialverbänden (SoVD, VDK, AWO) und kirchlichen Gruppen (EKD) im April 2021 ein Verkehrswendebündnis gebildet.

Dieses neue zivilgesellschaftliches Bündnis aus Sozialverbänden, Gewerkschaften und Kirchen fordert den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs als Beitrag zur Mobilitätswende. «Alle Menschen müssen Zugang zu klimafreundlicher Mobilität haben», sagte der Präsident des Naturschutzbund Deutschland (Nabu), Jörg-Andreas Krüger.

Jörg Hofmann von der IG Metall betont: «Es ist unbestritten, dass wir eine Mobilitätswende brauchen, ihr Wie bleibt auszuhandeln. Wer die Mobilitätswende sozial gestalten will, muss auch die Interessen vieler hunderttausend Menschen in der Automobil- und Zulieferindustrie im Wandel berücksichtigen. Nur mit guter Vermittlung zwischen ökologischer und sozialer Perspektive auf Mobilität kann dieses gesellschaftliche Megaprojekt gelingen. Dafür hat die IG Metall gemeinsam mit vielen Partnern das ‹Bündnis Sozialverträgliche Mobilitätswende› ins Leben gerufen. Die IG Metall freut sich sehr, in diesem Rahmen Unterstützung für ihre Forderung einer umfassenden industrie-, regional-, arbeitsmarkt- und weiterbildungspolitischen Begleitung der Transformation zu finden. Auch das gewerkschaftliche Leitbild ‹gute Arbeit› für die gesamte Mobilitätswirtschaft und die Anerkennung der enormen Investitionsbedarfe sind Teil dieses integrierten Blicks auf die Mobilitätswende.»

Nun käme es darauf an, dieses Bündnis vom Kopf auf die Füße zu stellen – örtliche «Transformationsräte» zu bilden, die die Transformation ganz konkret in Stuttgart, Wolfsburg, Köln, München und Leipzig angehen.

Ein Wettbewerb, wie er derzeit zwischen Tesla in Grünheide und Volkswagen in Wolfsburg inszeniert wird, wird weder der ökologischen noch der sozialen Dimension der Transformation gerecht, sondern heizt die Konkurrenz zu Lasten von Mensch und Natur an. Eine Beteiligung von Gewerkschaften an diesem Wettbewerb um die günstigsten Bedingungen zur Kapitalverwertung würde die Ansprüche an Interessenvertretung und an die Klimaziele konterkarieren. An der Auseinandersetzung mit den Autokonzernen, an mehr Demokratie in der Gesellschaft und in der Wirtschaft führt bei der sozial-ökologischen Transformation und der Verkehrswende kein Weg vorbei.

Verschriftlichter Beitrag von Stephan Krull auf der Konferenz der Friedrich-Schiller-Universität Jena, dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung und der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 29./30 April 2022 in Jena: «Gewerkschaften und Machtressourcen in der großen Transformation