Vom 25. bis 28. Mai 2015 besuchte Padre Dario Bossi von der brasilianischen Menschenrechtsorganisation Justiça nos Trilhos Berlin und Hamburg, um über die Auswirkungen von Eisenerzabbau und Eisenverhüttung in Ostamazonien zu berichten und um Möglichkeiten solidarischer Netzwerke und Aktivitäten zwischen Akteuren in Deutschland und Brasilien auszuloten. Diese Rundreise wurde vom Lateinamerikareferat der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Kooperation mit dem FDCL und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Hamburg organisiert.
Konzerne zur Verantwortung ziehen
Erster Termin war ein Strategie- und Beratungstreffen in Berlin mit VertreterInnen von deutschen Netzwerken, NGOs und Stiftungen, die zu Rohstoffpolitik arbeiten und/oder in der Brasiliensolidarität aktiv sind. Gemeinsam wurde überlegt, wie die deutschen Automobilkonzerne als wichtige Abnehmer von Eisenerzprodukten aus Brasilien zur Verantwortung gezogen werden könnten. Für gemeinsame Protestaktivitäten entlang der Lieferkette gibt es allerdings viele Hürden. Zwar ist es offensichtlich, dass ein Zusammenhang besteht – über 50 Prozent des Eisenerzes, das die deutsche Industrie importiert, kommt derzeit aus Brasilien, und ein Auto besteht zu 65 Prozent aus Eisenprodukten.
Da sich die Automobilkonzerne jedoch hartnäckig weigern, den Ursprung der von ihnen verarbeiteten Erze transparent zu machen, ist es kaum möglich, konkret das Erz oder auch das verhüttete Eisen aus den Minen von Carajás in einem bestimmten Auto nachzuweisen. Die Lieferketten bei vielen Autoteilen sind höchst komplex und hinter den Hochglanzbroschüren zur «Nachhaltigkeit» der Konzerne verbergen sich meist nur unverbindliche Absichtserklärungen, in denen die direkten Zulieferer versichern, dass sie gewillt sind, Sozial- und Umweltstandards einzuhalten.
Verabredet wurde deswegen unter anderem, exemplarisch bestimmte kurze Lieferketten – etwa vom Eisenerz über Stahl bis zur Karosserie – zu recherchieren. Außerdem wurde darüber diskutiert, wie das Thema Eisenerzimporte und Automobilindustrie noch stärker in eine öffentliche Diskussion gebracht werden kann. Zwar ist Konsumboykott bei Autos ein schwieriges Thema, bisherige Medienberichte zum Thema Carajás haben aber gezeigt, dass es durchaus ein großes öffentliches Interesse daran gibt, woher die Rohstoffe für Autos kommen.
Dass es genug Gründe gibt, die Herkunft der Rohstoffe kritisch zu hinterfragen, machte auch Padre Dario Bossi deutlich: In wenigen Jahren soll der Abbau des Eisenerzes aus den Minen von Carajás bis 2018 auf 230 Millionen Tonnen Eisenerz mehr als verdoppelt werden. Der dafür in Angriff genommene Ausbau der fast 900 km langen Eisenbahnlinie hat in den letzten drei Jahren zu einer Serie von Protesten und Blockadeaktionen geführt.
Justiça nos Trilhos, eine Partnerorganisation des RLS-Regionalbüros São Paulo, hat allein 24 Blockadeaktionen der meist indigenen oder afrobrasilianischen Gemeinden entlang der Eisenbahnlinie dokumentiert. Sie protestieren unter anderem gegen regelmäßige, oft tödliche Unfälle, Lärm und das Einstürzen von Häusern durch die Erschütterungen der Züge sowie die häufige Blockierung ihrer Wege durch die 3 km langen haltenden Züge.
Protestbrief nach Brasilien
Justiça nos Trilhos versucht derzeit, auf die illegale Beschaffung der Umweltlizenzen für diesen Bahnausbau hinzuweisen und ist dafür vor Gericht gezogen. Aus Deutschland sind unterstützende Protestbriefaktionen geplant. Zudem ist die Verschmutzung von Luft und Boden durch die Eisenverhüttung ein enormes Problem. Ein exemplarischer Fall des Widerstands dagegen ist die Siedlung Piquiá de Baixo, deren BewohnerInnen so stark unter den krankmachenden Folgen litten, dass sie sich für die Forderung nach einer kollektiven Umsiedlung in ein weniger belastetes Gebiet entschieden haben.
Die Umsetzung dieses Plans verläuft aber sehr mühselig, weil die brasilianischen Behörden den Prozess permanent verzögern. Ergebnis des Treffens: Es wurde bereits ein Protestbrief an die brasilianische Regierung mit vielen Unterschriften deutscher Organisationen abgeschickt.
Auf der öffentlichen Abendveranstaltung am 26.05. in Berlin berichtete Padre Dario Bossi noch einmal über die irreversiblen Folgen von 30 Jahren Eisenerzabbau und Eisenverhüttung in der Region. Er machte das Ausmaß des extraktivistischen Wirtschaftsmodells deutlich, welches die über zwei Bundestaaten ausgedehnte Region mit zwei Millionen EinwohnerInnen nun schon seit 30 Jahren auf katastrophale Weise prägt. Er nennt die Lebenslage der BewohnerInnen der Region «Arbeitsketten» in einem doppelten Sinn: Die AnwohnerInnen sind von den wenn auch extrem prekären Erwerbsmöglichkeiten in diesem extraktivistischen Entwicklungsmodell abhängig und insofern an sie «gekettet» (wenn sie nicht kleine Nischen der Subsistenz entwickeln).
Und auch die gesamte heterogene Unternehmenslandschaft in der Region ist von dem dominanten Bergbaukonzern Vale mit alleinigem Zugriff auf Minen, die Bahnlinie und die Häfen abhängig und insofern ebenfalls daran «gekettet». Die enormen Gewinne, die der inzwischen zum Bergbaumulti aufgestiegene, ehemalige Staatskonzerns Vale aus dem Export des Eisenerzes zieht, kontrastieren mit der prekären Lebenssituation eines Großteils der lokalen Bevölkerung in einer der weiterhin ärmsten Regionen Brasiliens. Die Eisenverhüttung entlang der Bahnlinie hat dafür gesorgt, dass der ursprüngliche Wald zu Holzkohle verarbeitet wurde und daher weitgehend verschwunden ist. Inzwischen gewinnen die Kohlemeiler das Holz aus Eukalyptusmonokulturen. Diese ziehen viel Wasser aus dem Boden und laugen ihn somit aus.
Padre Dario Bossi zeigte verschiedene Strategien des Widerstandes auf und erläuterte die Rolle des Netzwerks Justiça nos Trilhos darin: Neben der Unterstützung lokaler Proteste engagiert sich die Organisation in der Vernetzung von Widerstand. Zum einen wurden 2014 mit einer Serie von großen Treffen und einer Aktionskonferenz mehrere tausend AktivistInnen und Interessierte aus den diversen, heterogenen und fragmentierten Bewegungen der Region zusammengebracht.
Zum anderen suchen sie den internationalen Austausch mit dem Netzwerk der «Betroffenen von Vale», in welchem sich Leuten aus den Regionen der Bergbauprojekte des Konzerns Vale – von Mozambique bis Kanada – zusammengeschlossen haben, um gemeinsame Widerstandsstrategien zu entwickeln. Sie tragen den Protest zum Beispiel auf die Aktionärsversammlungen von Vale.
Auch Christian Russau vom Brasiliensolidaritätsnetzwerk KoBra und dem Dachverband kritischer AktionärInnen berichtete auf der Veranstaltung in Berlin von den Besuchen von Aktionärsversammlungen der großen DAX-Konzerne und den mit dieser Strategie verbundenen Schwierigkeiten. Die Vorstände und Aufsichtsräte schotteten sich vor jeder Kritik ab und rückten trotz ihrer Berichtspflicht kaum konkrete Informationen über die Lieferketten heraus. In ihrer Risikoanalyse interessierten sie nicht die Gefahr für die Gesundheit und soziale Lage von ArbeiterInnen und AnwohnerInnen, sondern nur für Nachteile, die das Unternehmen betreffen, zum Beispiel das Risiko, den Zugriff auf bestimmte Rohstoffe zu verlieren.
Intransparente Unternehmenspolitik
Hier setzt auch die Kritik des AK Rohstoffe ein, ein Netzwerk von 30 Organisationen, das auf der Veranstaltung von Michael Reckordt von Power-Shift vorgestellt wurde. Die Bundesregierung hat mit ihrer 2010 proklamierten Rohstoffstrategie diesen Risikobegriff der Unternehmen fast eins zu eins übernommen. Im Bundestag gibt es dennoch quer durch die Oppositionsparteien, und auch in der SPD, offene Ohren für die Forderung des AK Rohstoffe, die Unternehmen zumindest zur Transparenz ihrer Lieferketten zu verpflichten. Der Aktionsplan für die Umsetzung der UN Guiding Principles on Business and Human Rights ist dafür ein wichtiger Meilenstein.
Auf der geltenden Rechtsgrundlage und angesichts der Intransparenz der Unternehmenspolitiken, so machte Annelen Micus von ECCHR (European Council for Constitutional and Human Rights) deutlich, ist es derzeit schwierig, die Automobilkonzerne juristisch zur Verantwortung zu ziehen. Die vom ECCHR betriebenen Klagen hätten allerdings nicht nur das Ziel, juristisch erfolgreich zu sein, sondern auch, die globalen Praktiken der Konzerne öffentlich zu machen, wie es jüngst mit der Zivilklage gegen KiK wegen des Brandes in einer Zulieferfirma in Pakistan gelungen sei.
Eine weitere Abendveranstaltung fand am 27.05. in Hamburg statt. Auch hier präsentierte Padre Dário Bossi Informationen zur aktuellen Situation in der Region Carajás und lenkte die Aufmerksamkeit auf die Frage der transnationalen Lieferketten. Zur Diskussion gestellt wurde auch die strategische Bedeutung des Schüttguthafens (Hansaport) in Hamburg, an welchem ein Teil des von Deutschland importierten Eisenerzes umgeschlagen wird.
Ein ergänzender Input kam von dem Bündnis Gegenstrom Hamburg. Dieses hatte im Rahmen einer Kampagne gegen Importe von Kohle aus Kolumbien (für das Kohlekraftwerk Moorburg) 2013 eine Elbblockade durchgeführt. Auch hier sei es schwierig gewesen, nachzuvollziehen, welches Kraftwerk zu welchem Zeitpunkt mit welcher Kohle beliefert würde. Auch habe sich die Frage gestellt, ob Kohle aus anderen Herkunftsregionen als Kolumbien «besser» sei oder die Forderung nicht lauten müsse «Keine Kohle aus Kolumbien, und nicht von anderswo».
Diese Fragen stellen sich auch in Bezug auf Eisenerz und führten während der Veranstaltung in eine ausgiebige Diskussion darüber, welche Forderungen an welchen Stellen einer Lieferkette gestellt würden, und inwiefern sie sinnvollerweise in Modelle des «Post-Extraktivismus» und «Post-Entwicklung» eingebettet seien bzw. werden könnten.
Den Abschluss der Rundreise stellte ein Besuch des Dachverbands der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre bei der Aktionärsversammlung der Salzgitter AG in Braunschweig dar. Dieser Besuch diente dazu, Informationen über die Lieferkette dieses Unternehmens mit Schwerpunkt auf den Rohstoff Eisenerz zu bekommen. Salzgitter AG ist einer der größten Stahl- und Technologiekonzerne Deutschlands und ein wichtiger Zulieferer für die deutsche Automobilindustrie.
Christian Russau und Lisa Carstensen warfen in zwei Redebeiträgen eine Reihe von Fragen bezüglich der Lieferkette und der Kontrolle der Einhaltung von sozialen und ökologischen Standards bei Zulieferern auf, und machten am Beispiel des Konzerns Vale und den Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen in Carajás auf die Probleme der derzeitigen Rekordniedrigpreise für Eisenerz aufmerksam. Die Geschäftsführung der Salzgitter AG antwortete, dass die Salzgitter AG im Jahr 2014 kein Eisenerz aus den Minen von Carajás importiert hätte.
Von Susanne Schultz und Lisa Carstensen.