Nachricht | Deutsche / Europäische Geschichte - GK Geschichte - Spanischer Bürgerkrieg Hünecke: Überwindung des Schweigens. Erinnerungspolitische Bewegung in Spanien, Münster 2015

"Hünecke gelingt es sehr gut, die zutiefst persönlichen und die politischen, überindividuellen Aspekte des Themas zu schildern."

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Hünecke berichtet in ihrem Buch, einer 2013 abgeschlossenen und für den Druck überarbeiteten politikwissenschaftlichen Dissertation, über die erinnerungspolitische Bewegung in Spanien, die nach dem Ende der Franco-Diktatur entsteht und ab ungefähr dem Jahr 2000 einen Bruch des „Pakts des Schweigens“ erreichen kann. Sie skizziert vor allem das Handeln und die Selbstverortung dieser linken und zivilgesellschaftlichen Initiativen. Ziel dieser Bewegung ist eine Rekonstruktion der Verbrechen der Franco-Zeit und zum anderen, an den (republikanischen und antifaschistischen) Widerstand zu erinnern. Eine ihrer Hochburgen ist Katalonien. Die Autorin hat zwischen 2004 und 2009 Interviews mit AktivistInnen aus 24 dieser Basisinitiativen geführt, die auch die Grundlage ihrer Publikation sind.

Die nach Francos Tod 1975 einsetzende, und bis ungefähr 1982 andauernde Transición, gründet sich darauf, dass jede Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand und die Opfer auf Seiten der Republik wie vor 1975 weiterhin unterdrückt wird – dies ist der oben genannte pakt. Der aber dazu führt, dass kollektive Trauer nicht möglich ist und die Traumatisierungen sich – von Generation zu Generation - weiter fortsetzen. 1977 wurde gar eine Generalamnestie für beide Seiten verabschiedet, mit deren Hilfe die Franco-AnhängerInnen und andere, konservative bis faschistische Kräfte zum Stillhalten gegenüber der Demokratie eingeladen wurden. Die heutigen Aktiven des movimiento memoralista sind nun die Enkel der Bürgerkriegsgeneration. Die Initiativen beruhen in der Regel auf ehrenamtlicher Arbeit und haben ein Umfeld von 30 bis 300 Personen. Einige verfügen über teilfinanzierte Stellen. Die Initiativen machen Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit und Recherchen zum Thema und kümmern sich um juristische Aspekte wie Rehabilitation oder Zugang zu Akten. Weitere Gegenstände ihrer Arbeit sind Lehrpläne und medizinische Aspekte. Zu Recht weisen viele Initiativen darauf hin, dass ihre Arbeit eigentlich eine staatliche Aufgabe wäre.

Zentrale Angelegenheit ist aber die Suche nach den Verschwundenen. Für großes Aufsehen sorgen in diesem Zusammenhang immer wieder Exhumierungen, von denen die erste Ende 2000 stattfindet. Exhumierung bedeutet, dass anonyme Massengräber geöffnet und, sofern möglich, die Gebeine identifiziert werden. Innerhalb der erinnerungspolitischen Bewegung ist dieser öffentlichkeitswirksamste Teil ihrer Arbeit umstritten. Ist das Exhumieren ein politischer und/oder ein vorranging privater Akt für die Hinterbliebenen, die nun endlich wissen, wo ihre Vorfahren „begraben“ wurden?

In Spanien gibt es noch heute überall Denkmäler und andere Relikte der Franco-Zeit. Ein Interviewpartner sagt trocken: „Das wäre so, als wenn in Deutschland eine Statue von Heinrich Himmler stehen würde“. Der Umgang damit ist im movimiento memoralista ähnlich kontrovers wie der mit den Exhumierungen. Sollen die noch überall vorfindlichen Denkmäler und einschlägigen Straßennamen, von denen es z.B. allein in Madrid im Jahr 2011 noch 160 gibt, entfernt oder besser mit einer kritischen Kommentierung versehen werden? Sehr bekannt und von hohem symbolischem Wert ist das gigantomanische, von Zwangsarbeitern errichtete Mausoleum im Valle de los Caidos, in dem dann Franco beerdigt wurde - und das heute ein Wallfahrtsort der politischen und klerikalen Rechten ist.

Die Debatte um Traumatisierung und die psychologisch-medizinische „Behandlung“ von Traumata wurde erst 2005 begonnen, steckt also noch in ihren Anfängen, wird aber sehr engagiert geführt. Um sich das Phänomen der Traumatisierung und der Bedeutung dieses Konfliktes deutlich zu machen, ist es hilfreich, sich die quantitative Dimension, sprich die hohen Zahl der Betroffenen und ihrer Nachkommen, vor Augen zu führen: An den Internationalen Brigaden nahmen 40.000 Personen teil. Es wird geschätzt, dass 150.000 Personen verschwunden sind, sprich ermordet wurde, ohne dass diese Tatsache bekannt, und ebenso unklar war, wo sich ihr Grab befand. Eine halbe Million SpanierInnen gingen ins Exil, hunderttausende wurden in den 40 Jahren nach 1936 verfolgt und saßen im Gefängnis. Weitere 30 Jahre, bis 2005 also, so der Tenor und der Subtext vieler Interviews, konnte nicht die Wahrheit gesagt werden, und erst recht nicht öffentlich. Das kulturelle Gedächtnis des öffentlichen Raumes unterdrückte, zumindest überformte es das kommunikative, im privaten angesiedelte Erinnern und Trauern. Gleichzeitig verweist das Ende der Ära der ZeitzeugInnen, das ebenfalls auf die Jahrtausendwende angesetzt werden kann, darauf, dass ein Übergang vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis stattfindet, bzw. dieses wieder eine große, wenn auch grundlegend andere Bedeutung als zur Franco-Zeit bekommt.

Diese persönliche Betroffenheit und die eigene Familiengeschichte ist ein starker Motor für das Engagement in den Initiativen. Darüber hinaus ist das Bedürfnis nach allgemeiner historischer Gerechtigkeit und eben: Wahrheit eine starke Motivationskraft. Im politischen Raum wird immer wieder deutlich, dass die sozialdemokratische PSOE nicht bereit ist, sich ernsthaft mit den postfranquistischen Kräften anzulegen, obwohl sie selbst viele Opfer zu beklagen hat. Die eurokommunistische PCE, die in 2007 sieben Prozent der WählerInnnen vertritt, ist, gerade in ihren Hochburgen, unter den Parteien für die erinnerungspolitische Bewegung der primäre Ansprechpartner. Im Dezember 2007 wurde das sogenannte „Erinnerungsgesetz“ verabschiedet, das von der katholischen Kirche, der über zwei Drittel der SpanierInnen angehören, abgelehnt wird. Die konservative Partido Popular (PP), die damals 10 Millionen WählerInnen hat, stimmte gegen das Gesetz.

Die in sich heterogene Erinnerungsbewegung kratzt am Mythos der Transcición als „Rückkehr zur Demokratie“. Sie stellt dieses Bild in Frage und stört damit den bisherigen Konsens. Zu Recht, denn, um nur eine Zahl zu nennen, wurden allein von 1976 bis 1981 600 Personen von der extremen Rechten ermordet.

Hüneckes Veröffentlichung macht deutlich, dass es keinen Bruch zwischen Franco und „danach“ gab, und die linken Parteien passiv mit dem Thema der spanischen Vergangenheit umgingen. Es ist hochspannend, dieses Buch zu einem Thema, zu dem in Deutschland kaum etwas bekannt ist, zu lesen. Hünecke gelingt es sehr gut, die zutiefst persönlichen und die politischen, überindividuellen Aspekte des Themas zu schildern. Einziger Malus ist das ziemlich unzumutbare Layout.

Silke Hünecke: Überwindung des Schweigens. Erinnerungspolitische Bewegung in Spanien, Edition Assemblage, Münster 2015, 300 S., 24,80 EUR

Manuskript einer Rezension, die zuerst in Ausgabe 9/2016 der "Zeitschrift für Geschichtswissenschaft" erschienen ist. Die Zeitschrift für Geschichtswissenschaft erscheint monatlich. Sie ist ein Fachorgan für HistorikerInnen, GeschichtslehrerInnen, ArchivarInnen, Studierende und Interessent_innen an Geschichte und verwandten Disziplinen wie Völkerkunde, Politische Wissenschaft, Altertumswissenschaften, Kunstgeschichte u. a. Die Zeitschrift veröffentlicht Beiträge zu zentralen Problemen der deutschen Geschichte, der europäischen und Universalgeschichte sowie zu Fragen der Geschichtswissenschaft und Geschichtsschreibung. Sie hat einen umfangreichen Rezensionsteil. In jedem Heft werden bis zu 30 Neuerscheinungen besprochen.