Publikation Der Schröder in uns

Die Wahl ist so ausgegangen, wie es uns geht: relativ unentschieden. Text der Woche 38/2005 von Christoph Spehr

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Christoph Spehr,

Erschienen

September 2005

Publiziert im ND, 19.9.2005Die Wahl ist so ausgegangen, wie es uns geht: relativ unentschieden 
 
Geben wir's zu: Diese Wahl hat Spaß gemacht. So sollten Wahlen immer sein: offen bis zum Schluss, ständig für eine überraschende Wendung gut – und voller unmittelbarer und langfristiger Koalitionsoptionen hinterher.

Der Wahlkampf war die große Stunde der SPD. Kaum jemand hätte nach der Landtagswahl in NRW für möglich gehalten, dass die SPD eine derartige Aufholjagd schaffen würde, in der zwischenzeitlich selbst ein Machterhalt für Rot-Grün in den Bereich des Möglichen rückte. Haben alle Schröder unterschätzt? Nein, sie haben – wie meistens – die Wählerinnen und Wähler unterschätzt. Die SPD war die einzige Partei, die zugespitzte Positionen populär vorbrachte und tatsächlich einen argumentativen Wahlkampf machte. Sie reagierte flexibel auf die Steuer-Offensive Marke »Kirchhof« und schlug sie mit Textplakaten, Internetwerbung und klaren Rechenexempeln weitgehend nieder. Die Kernposition der SPD: »Neoliberalismus, aber mit Augenmaß« brachte jedenfalls eine gesellschaftliche Mehrheit hinter sich.
Ähnliche Flexibilität und Klarheit konnte die Linkspartei noch nicht leisten. Sie konzentrierte sich auf Protest und auf Detailkonzepte, aber sie stellte keine Botschaft in den Mittelpunkt: DAS soll statt Neoliberalismus kommen. Die Grundbausteine sind da, aber sie hängen in der Luft. Grundsicherung plus Mindestlohn statt Arbeitszwang und Bespitzelung mit Hartz IV – so offensiv wurde der Zusammenhang nicht vermittelt. Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme (und der öffentlichen, insbesondere der kommunalen Aufgaben) durch Wertschöpfungsabgabe statt durch arbeitsplatzbezogene Abgaben – lieber wurde der Eindruck erweckt, man müsse nur »die Reichen« zur Kasse bitten. Gesellschaftliche Kontrolle von Kapitalverkehr und von Standortverlagerung plus gezielte Belastung von Dumping-Preisen – lieber bemühte man das alte Gewerkschaftsargument, Abwanderung sei bloß eine fiese Drohung, und die fundamentale Erpressung durch ein hypermobiles Kapital nur eine sozialdemokratische Ausrede.
Und so verpuffte auch der Oscar-Effekt wieder im Laufe des Wahlkampfs – ebenso wie es einen Angie-Effekt nie gab. Aber einen Schröder-Effekt, den gab es. Wieso?
Role-modeling, das Herausstellen von Personen, die für eine bestimmte politische Richtung und Haltung stehen, ist ein wichtiges Element. Aber es funktioniert nur, wenn Person und Programm zusammenpassen. Merkel stand in angenehmer Weise für einen Politikstil, der kooperativer, weniger aggressiv, weniger selbstherrlich, ja »weiblicher« war. Nur ist dies, wie alle wissen, weder durch den vorherrschenden Politikstil der Union noch durch die politische Programmatik von CDU und CSU und von Merkel selbst gedeckt. Ähnlich verhielt es sich mit Lafontaine. Seine Kandidatur gab das Signal, dass die Linkspartei auch in der öffentlichen Wahrnehmung als gesamtdeutsche Kraft existiert und agiert. Für einen diskursiven Politikstil, eine Politik jenseits des patriarchalen Wohlfahrtsstaats, für eine Erneuerung aus dem Kontakt zu den sozialen Bewegungen und Projekten dagegen, wie sie glücklicherweise die mehrheitliche Gestalt der Linkspartei ausmacht, ist Lafontaine dagegen kein Symbol. Wäre schön gewesen, die Linkspartei hätte ebenfalls eine Kanzlerkandidatin aus dem Osten aufgestellt. Das Gesicht der Linkspartei muss weiblicher, jünger, bewegungsnäher, auch multi-ethnischer werden, wenn die Personen die Programmatik wirkungsvoll verkörpern sollen.
Die Wahl ist so ausgegangen, wie es uns geht: relativ unentschieden. Die grundsätzliche Frage, was anstelle des immer grotesker werdenden Neoliberalismus kommen soll, ist weiterhin unbeantwortet. Was die Konservativen eigentlich wollen, wo sie mit dem Land hinwollen, weiß kein Mensch; sie selber auch nicht. Was die Linke eigentlich will, wo sie mit dem Land hinwill, daran arbeitet sie noch. Grüne und FDP haben es schon seit geraumer Zeit aufgegeben, sich Gedanken um eine Politik für alle zu machen, und beschränken sich auf Klientel- und Ergänzungspolitik. Die SPD als Partei weiß weniger denn je, ob es sie überhaupt gibt. Und Schröder?
Wusste der wenigstens, was er will, und wo es hingehen sollte? Natürlich nicht. Aber er hat eine Haltung verkörpert, die nicht die schlechteste ist, wenn man nicht weiß wo es lang geht. Nämlich die der Katze auf dem heißen Blechdach: draufbleiben, einfach draufbleiben. Das trifft ziemlich genau die Lebenshaltung des ideellen Gesamtwählers 2005. Und deshalb hat es Schröder in diesem Wahlkampf auch so erstaunlich weit gebracht. Weil wir alle ein bisschen Schröder sind. Und noch nicht wirklich auf dem Boden der Probleme angekommen.