Wie lässt sich die derzeitige Situation auf den Begriff bringen? Als blockierte Transformation im Zuge gesellschaftlicher Faschisierung. Der Begriff der Faschisierung ist nötig geworden, um einen Qualitätssprung zu fassen. Denn die zunehmende Radikalisierung von rechts beschränkt sich nicht mehr nur auf die radikale Rechte, sondern ist zu einem gesellschaftlichen Phänomen alltäglicher Entzivilisierung geworden.
Die Entwicklung der radikalen Rechten folgt gewissen Konjunkturen, die der spezifischen gesellschaftlichen Situation entsprechen. Während die AfD in ihrer Gründungsphase ab 2013 noch einer rechtspopulistischen Revolte nationalkonservativer Professoren in Zeiten der Eurokrise glich, waren ihre ungehörigen neurechten und postfaschistischen Geschwister in anderen Ländern Europas bereits im Aufstieg begriffen. Den Bedingungen und der Wirkungsweise dieses Aufstiegs der neuen Rechten haben wir in der Broschüre «Rechtspopulismus in Europa. Linke Gegenstrategien» aus dem Jahr 2015 nachzuspüren versucht und Elemente für linke Gegenstrategien formuliert. Die europäische Staatschuldenkrise infolge der großen Finanzkrise 2009 ff. und die autoritär-neoliberalen Austeritätsmaßnahmen, die die Krise in vielen Teilen Europas noch dramatisch verschärften, war jedoch eher die Zeit eines linken Aufbruchs von Bewegungen und neuer linker Parteien. Die radikale Rechte verlor nicht nur in Deutschland an Momentum.
In der Bewegung der Geflüchteten, vor allem infolge des Krieges in Syrien, fand die radikale Rechte ab dem Jahr 2015 ihr zentrales Thema für eine neue Konjunktur. Aber weshalb konnte ihre migrations- und menschenfeindliche Politik verfangen, welche Rolle spielte dabei die Hegemoniekrise des Neoliberalismus und die Verallgemeinerung einer Kultur der Unsicherheit? Welcher Qualitätswandel ging damit einher? Den erneuten Aufstieg der radikalen Rechten zu begreifen war Gegenstand unserer Publikation «Rechtspopulismus, radikale Rechte, Faschisierung. Bestimmungsversuche, Erklärungsmuster und Gegenstrategien» aus dem Jahr 2018. Aber auch von Erfahrungen linker Gegenstrategien konnten wir berichten.
Spätestens seit 2017 ist die autoritäre Wende kein europäisches Phänomen mehr. Mit Trump in den USA, Duterte in den Philippinen, Bolsonaro in Brasilien oder Putin in Russland geht es um einen globalen Autoritarismus mit sehr unterschiedlichen Facetten und doch auch zentralen Gemeinsamkeiten, denen wir als Stiftung mit einem internationalen Projekt auf den Grund zu gehen versuchten.
Weil die Gewalt von rechts auch hierzulande wieder zunimmt, werden Praxen des Gegenhaltens immer wichtiger. Ihnen widmeten wir 2020 ein Schwerpunktheft der Zeitschrift LuXemburg. Seit dem Jahr 2013 erleben wir in Deutschland eine dramatische Rechtsverschiebung. Wieder ein Qualitätssprung, der weit über die radikale Rechte hinausreicht? Warum gerade jetzt? Welche neuen Bedingungen und Ursachen lassen sich dafür identifizieren? Dem Horror mit dem «Pessimismus des Verstandes » (Gramsci) analytisch nachzugehen, die veränderten Verhältnisse zu begreifen heißt, ihnen weniger ausgeliefert zu sein, dem «Optimismus des Willens» und der Hoffnung einen festen Grund zu bereiten.
Inhalt:
- Vorwort: Drei Konjunkturen der radikalen Rechten
Teil 1: Zeitdiagnosen – Vom Horror …
- Mario Candeias:
Monster verstehen. Wechselwirkung von Faschisierung und blockierter Transformation - Birgit Sauer:
Exzess der Affekte. Maskulinistische Identitäspolitik von rechts - Sebastian Friedrich:
Kritik der Rechtsruck-These. Wie der Aufstieg der Rechten eher nicht zu fassen ist
Teil 2: … zur Hoffnung – Linke Alternativen und Strategien
- Wie weiter nach den Protesten gegen rechts?
David Begrich, Clara Bünger und Anika Taschke im Gespräch - Gegen die Normalisierung der AfD
Ein Interview mit Malte Engeler und Julia Dück von der Kampagne «Menschenwürde verteidigen – AfD-Verbot jetzt!» - Bernd Riexinger:
Was tun gegen die zunehmende Faschisierung? Aufgaben für Die Linke