Das entscheidende Jahrzehnt, Verantwortung im Schadensfall und die Auseinandersetzung um den Begriff «gerechte Übergänge». Darum geht es in Katowice.
Die extremen Waldbrände, Überflutungen, Dürren und Hurrikans des Jahres 2018 zeigen: Schon die um nur ein Grad Celsius erwärmte Welt ist eine Welt der Klimakrisen. Die um 1,5 Grad aufgeheizte Welt wird eine Welt der Klimakatastrophen sein: Mit versinkenden Inselstaaten, überfluteten Küstenregionen, toten Korallenriffen, Ernteeinbußen und Millionen Menschen auf der Flucht. Jedes weitere Zehntelgrad darüber hinaus nimmt wegen gefährlicher Kipppunkte im Klimasystem noch extremeres Unrecht gegenüber den Ärmsten und Verwundbarsten in Kauf. Das Wohlergehen dieser Menschen aber muss die Messlatte sein für jedes Klimaziel und jede notwendige Klimaschutzmaßnahme.
Weitere Texte, Interviews & Publikationen rund um Klimagerechtigkeit:
Dossier zur COP24
Auch mit dem Pariser Klimaabkommen marschieren wir bislang sehenden Auges in die kommende «Heißzeit» hinein. Denn das Abkommen formuliert zwar das Ziel, die Erderhitzung auf «deutlich unter zwei Grad» einzudämmen. Gleichzeitig jedoch nimmt es hin, dass die Staaten Klimaziele auf den Tisch legen, die uns, sollten sie eingehalten werden, zu katastrophalen 2,6 bis 3,3 Grad im Jahr 2100 brächten. Jedoch: Nicht mal diese Ziele halten die meisten Länder ein. Denn bislang zwingt sie keine globale CO2-Steuer, kein Moratorium auf Kohlebergbau, kein Verbot fossiler Subventionen, keine Haushaltsvorgabe für den massiven Ausbau von Zugverbindungen oder kein Verbot inländischen Flugverkehrs, ihre Emissionen tatsächlich so radikal und schnell zu senken, wie es nötig wäre.
Die Zeit für kosmetische Korrekturen ist abgelaufen.
Die kommende Dekade wird entscheidend dafür sein, ob die Welt das 1,5-Grad-Limit halten kann. Das zeigt der neue Sonderbericht des Weltklimarats. Demnach müssen die Emission in den nächsten zwölf Jahren um drastische 45 Prozent gegenüber 2010 sinken. 2050 muss der globale Treibhausgasausstoß bei Null liegen – und zwar, so fordert es die Klimagerechtigkeitsbewegung – nicht mithilfe von Geoengineering, Negativemissionen und bloßer «Carbon Neutrality». Sondern tatsächlich durch eine weitest gehende Dekarbonisierung, d.h. einen grundlegenden Wandel unserer Wirtschaftsweise. Der wiederum ist nicht machbar ohne eine Abkehr von kapitalistischen Rahmenbedingungen und neoliberaler Doktrin, die mit Profitorientierung, Wachstumsfixierung, Deregulierung, Extraktivismus und Privatisierung Klimaschutzmaßnahmen konterkarieren oder in ihr Gegenteil pervertieren, indem Akteure noch Profit aus der Klimakrise schlagen.
Höchste Zeit also, dass man sich in Katowice vom 2. - 14. Dezember nicht nur mit den auf der Agenda stehenden Umsetzungsregeln für das Pariser Abkommens befasst. Bei der Aufstellung dieses «Regelbuchs» geht es zwar um viel: Sind die Regeln transparent und gerecht? Kommen hier Menschenrechte, Geschlechtergerechtigkeit, die Rechte indigener Gemeinschaften und demokratische Beteiligung nicht zu kurz? Über diese notwendige kritische Detailarbeit hinaus müssen aber die Staaten – allen voran die Industriestaaten – nach dem Warnruf des Weltklimarats viel ambitioniertere Klimaziele und die entsprechenden Maßnahmen auf den Tisch legen. Ohne Zusage für einen schnellen und ambitionierten Kohleausstieg durch die «Kohlekommission» wird auch Deutschland auf internationaler Bühne erheblich an Glaubwürdigkeit einbüßen.
Mehr zum UN-Klimaprozess:
Three years after Paris
Think piece by Nadja Charaby
Rosa Luxemburg Foundation
Senior Advisor on Global Issues and Special Funds
(Text nur auf englisch verfügbar)
Klimaschäden und ökologische Schuld
Angesichts des historischen Beitrags des globalen Nordens an der Erderwärmung kämpft der globale Süden gemeinsam mit der Klimagerechtigkeitsbewegung parallel noch um mehr: Die frühindustrialisierten Staaten sollen anerkennen, dass sie dafür verantwortlich sind, dass bereits heute Schäden und Verluste (engl. «loss & damage») entstanden sind und noch entstehen werden. Es geht also in Katowice nicht nur weiterhin darum, dass der globale Norden die größere Last bei der Reduktion der Emissionen und den Kosten für die Anpassung an den Klimawandel trägt – um diese Milliardenbeträge wird seit Jahren unter der Überschrift «Klimafinanzierung» hart gerungen. Darüber hinaus geht es bei «loss & damage» um das, was passiert, wenn Klimaschutz nicht wirksam wird, Anpassung nicht mehr gelingt und die Klimakrise zuschlägt. Diese Verluste haben verschiedene Gesichter: Die schleichende Erosion von Böden durch Dürren, Migration, weil das Land die Familie nicht mehr ernährt, Staatenlosigkeit, weil der Inselstaat versinkt, der damit verbundene Verlust von Tradition und Kultur.
Mehr zu «Loss & Damage»:
Loss and Damage in an era where no one is paying up
Think piece by Tetet Lauron and Katja Voigt
Rosa Luxemburg Foundation
Climate Justice Program Manila
(Text nur auf englisch verfügbar)
Zwar findet «Loss & Damage» im Pariser Abkommen Erwähnung und wird im Rahmen des Warsaw International Mechanism diskutiert. Aber der globale Norden ist weit davon entfernt, mit einem eigenständigen Finanzierungsmechanismus Verantwortung zu übernehmen, und für die Folgen des Klimawandels zu zahlen – vor allem für die armen Gemeinschaften im globalen Süden, die oft in den besonders hart betroffenen Regionen leben. So droht der Klimawandel, Rassismus, Geschlechter- und soziale Ungerechtigkeit weiter zu verschärfen (übrigens auch im globalen Norden). Die Verhandlungen aber fokussieren nach wie vor viel zu stark auf falsche Lösungen und die einzige bisher präsentierte Antwort sind stark umstrittene Klimaversicherungen. Der Begriff «loss & damage» ist deshalb so zentral, weil er (finanzielle) Verantwortung und Verbindlichkeit einfordert.
Gerechte Übergänge («Just transition»)
Beim Thema «loss & damage» zeigt sich wie unter einem Brennglas, wie sehr die Klimakrise und die sich dadurch zuspitzenden sozialen Konflikte grundlegende Fragen sozialer Gerechtigkeit berühren. Genauer gesagt: Die Klimakrise ist eine der zentralen globalen Gerechtigkeitskrisen. Mit den zunehmenden gesellschaftlichen Konflikten um einen Ausstieg aus den fossilen Industrien taucht die Forderung nach Gerechtigkeit jedoch auch immer stärker im Begriff der «Just Transition» auf.
Ursprünglich gemeinsam von Gewerkschaften und Aktivist*innen für Umweltgerechtigkeit in die Diskussion gebracht, um die Spaltung von Arbeiter*innen und vom Klimawandel betroffenen Communities zu verhindern, fordern nun neuerdings auch Regierungen und fossile Großkonzerne gerechte Übergänge. Damit droht aber die Gefahr einer Umdeutung des Konzepts «Just Transition»: Nicht mehr die schnelle und radikale bzw. umfassende Transformation steht im Mittelpunkt, sondern die Frage um fossile Arbeitsplätze in dreckigen Industrien vor allem im globalen Norden. Die Debatte um gerechte Übergänge könnte somit vor allem den Interessen fossiler Industrien nützen. Die von der polnischen Regierung verfasste «Solidarity and Just Transition Silesia Declaration» wie auch das Ringen der «Kohlekommission» in Deutschland werden vor diesem Hintergrund zu bewerten sein.
Jedoch gilt: «Gerechte Übergänge» kann es nur innerhalb einer umfassenden Klimagerechtigkeit geben. Die beinhaltet, erstens, den Temperaturanstieg auf maximal 1,5 Grad einzudämmen, ohne die sich soziale Ungerechtigkeit weltweit klimabedingt weiter verschärfen würde. Das bedingt die schnelle und radikale Abkehr von Kohle, Öl und Gas; dieser Punkt ist nicht verhandelbar, und kann auch nicht von Arbeitsplätzen abhängig gemacht werden. Zweitens – und dafür wurde der Begriff «Just Transition» ursprünglich stark gemacht – sollen die Arbeiter*innen in den fossilen Industrien während dieses sozial-ökologischen Umbauprozesses nicht allein gelassen werden in ihrem Bedürfnis nach Absicherung, einem sinnvollen Arbeitsplatz und sozialer Anerkennung. Es geht also um die sozial gerechte und demokratische Gestaltung dieses Prozesses selbst. Nur so kann das Ringen um «Just Transition» die Diskussion um das Verhältnis zwischen ambitioniertem Klimaschutz und fossilen Arbeitsplätzen, vor allem im globalen Norden, sinnvoll voranbringen. Und, drittens, geht es bei der Diskussion um eine umfassende und gerechte Transformation auch darum, alle betroffenen Gruppen zu beteiligen, d.h. Geschlechtergerechtigkeit und die Einbeziehung vulnerabler Gruppen und indigener Communities gehört ebenfalls dazu.
Mehr zu «Just Transition»:
Just transition? Justice first!
Think piece by Tadzio Müller
Rosa Luxemburg Foundation
Senior Adviser for Climate Justice and Energy Democracy
(Text nur auf englisch verfügbar)
Der Blick auf den schwerfälligen UN-Klimaprozess zeigt deutlich: Die Klimadiplomatie allein wird den nötigen radikalen Wandel nicht schnell genug bewirken. Erst die Zigtausenden, die während der vergangenen Monate in und an Kohleminen, Gasinfrastrukturen, Konzernzentralen und Regierungsgebäuden dem Weiter so des fossilen Wahnsinns lauthals widersprochen haben, erzeugen den notwendigen gesellschaftlichen Druck. Ohne diese Bewegungen wird es immer Klimawandel geben, aber keinen Systemwandel.