Wird ja auch Zeit! Seit dem Hitzesommer 2018 und dem Dürresommer 2019, seit brennenden Wäldern im norddeutschen Frühjahr und dem Rückwärtsfließen der Spree, seit der denkwürdigen Verteidigung des «Hambi» (Hambacher Wald, aber das sollten wir jetzt schon alle wissen) gegen die Kohle-Dinosaurier von RWE und deren fossil-staatliche Schergen in NRW, seit dem blamablen Scheitern der fälschlicherweise «Kohlekommission» genannten Kohle-Erhaltungsrunde der Bundesregierung und dem direkt damit in Verbindung stehenden Auftauchen der jungen Generation Klima in Gestalt ihrer politisierten Avantgarde «Fridays for Future» – also seit ziemlich kurzem – weiß wohl das ganze Land (mit Ausnahme einiger spinnerter Klimaleugner*innen, sprich: faschistoider Realitätsverweiger*innen): Das mit dem Klima, das sich wandelt, ist eine wichtige Sache. Manche haben sogar verstanden, dass es besser wäre, jetzt nicht mehr «Klimawandel» zu sagen, sondern lieber «Klimakrise», weil ersterer Begriff einen langsamen, linearen Prozess impliziert, der vielleicht gar nicht so gefährlich wird, während mensch «Krise» kennt. Krise ist scheiße, dagegen muss was getan werden. Klar.
Das bedeutet: Ein gutes Jahrzehnt nachdem im Vorfeld des spektakulär gescheiterten COP15-Klimagipfels in Kopenhagen immer wieder betont wurde, es bliebe uns noch ein gutes Jahrzehnt, um die Klimakrise abzuwenden, fängt endlich auch der nicht klimaaffine Teil der Gesellschaft und des politischen Systems an, darüber nachzudenken, wie innerhalb der nächsten zehn bis 30 Jahre das Klima zu retten sei. Well done, wäre aber nett gewesen, da schon früher drauf zu kommen.
Aus linker Perspektive stellt sich hierzulande bei der Beschäftigung mit Klima, Klimaschutz und überhaupt allerlei angeblichen «Umweltfragen» spätestens seit der Abspaltung der Umweltbewegung und der Grünen Partei von der gesellschaftlichen Linken die Frage, wie diese Themen links zu bürsten seien. Anders ausgedrückt: wie man vom weit und gelegentlich selbst mitverbreiteten Missverständnis von Umweltfragen als bürgerlich-postmaterialistischen Luxus-Latte-Fragen wieder wegkommt, um klarzumachen, dass der bisher von keiner politischen Kraft wirklich forcierte, aber nun gesellschaftlich eingeforderte Klimaschutz eigentlich ein ureigenst linkes Projekt sei, handele es sich beim Klimawandel, pardon, bei der Klimakrise, doch um ein Problem, das der alte Endgegner der Linken, der Kapitalismus, produziert habe und dessen Lösung dementsprechend auch nur jenseits des Kapitalismus zu finden sei.
Die Antwort auf diese «Framing»-Frage fanden viele Linke im Begriff der «Klimagerechtigkeit», das Argument dazu geht ungefähr so: Klar, das Klima muss geschützt werden, und die politische Kraft, die vor allem mit dem Klimaschutz in Verbindung gebracht wird, sind die zutiefst bürgerlich-postmaterialistischen Luxus-Latte-Grünen. Die aber würden in ihrer kapitalfreundlichen Verwirrung versuchen, dem Problem mit «marktbasierten» Lösungsversuchen, wie dem Emissionshandel oder ähnlichem ineffektiven Quatsch, zu begegnen. Statt banalem grünen Klimaschutz bräuchte es also ernsthafte linke Klimagerechtigkeit, worunter jenseits der alten Klima-Nerdszene zunächst einmal nicht wirklich viel Detaillierteres verstanden wurde als «Klimagerechtigkeit» = antikapitalistischer Klimaschutz oder auch Klimaschutz durch Vergesellschaftung der Produktionsmittel.
Immerhin war nun der Begriff, der von der auch hierzulande seit dem ersten Klima- (und Antira-)Camp von 2008 langsam, aber stetig wachsenden Protestbewegung im Namen geführt wurde, ein wichtiger Teil des linken politischen Diskurses. Auch hier: Well done, wäre aber auch früher möglich gewesen. Denn dann müsste heute nicht noch eine Reihe von Missverständnissen ausgeräumt werden, die wiederum Spätfolgen der aus heutiger Sicht etwas peinlichen Konstruktion (Darstellung) von Ökothemen als eisbärenkuschelnden Luxusfragen sind.
Das wichtigste Missverständnis wird in dem Versuch sichtbar, die «Aufstehen»-Themen mit den Rosa-lila-grünes-Gedöns-Themen zu vereinen, und findet sich von den Gilets jaunes bis tief in die LINKE hinein wieder: Während die Gelbwesten am 21. September 2019 einen Aktionstag für «Klimagerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit» veranstalteten, schrieb Bernd Riexinger einige Wochen später: «Es ist die Aufgabe der LINKEN, soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit in einem linken Zukunftsprojekt zusammenzubringen.»
Diesem durchaus wohlklingenden Satz scheint folgende Grundkonstruktion zugrunde zu liegen: «Soziale Gerechtigkeit», das sind die Brot-und-Butter-Themen der klassischen Arbeiterlinken, also im Kern Umverteilung im lokalen und nationalen Rahmen, während Klimagerechtigkeit bloß auf der globalen Ebene stattfindet. Das ist erstens ärgerlich, weil es eine Art methodologischen Nationalismus darstellt, der das Soziale, sprich: die Gesellschaft, als nationales Phänomen konstruiert; zweitens und für diesen Text zentral wird hier schlicht und einfach missverstanden, was Klimagerechtigkeit bisher bedeutet hat, wo sie herkommt und was die Bewegung für Klimagerechtigkeit denn nun wirklich fordert.
Um diesen Missverständnissen zu begegnen, will ich im Folgenden zuerst auf die Ungerechtigkeitsdimension der Klimakrise eingehen (auf Klimaungerechtigkeit) und danach die Genese der Bewegung und des Begriffs der Klimagerechtigkeit erklären. Weil: Wird langsam Zeit, dass wir das hierzulande verstehen.
Worum geht es beim Klimawandel? Vor allem und zuerst um Gerechtigkeit. Denn am Klimawandel leiden diejenigen, die am wenigsten dazu beigetragen haben, im Schnitt am meisten; und diejenigen, die am meisten dazu beigetragen haben, leiden im Schnitt am wenigsten darunter. Letztere haben nämlich zumeist ausreichende Ressourcen, um sich vor den Folgen des Klimachaos zu schützen. Diese Ressourcen, diesen Reichtum haben sie durch genau jene Aktivitäten angehäuft, die den Klimawandel vorangetrieben haben. Dieses zentrale Faktum, das übrigens für fast alle sogenannten «Umweltkrisen» gilt, lässt sich vielleicht am besten als Klimaungerechtigkeit bezeichnen.
Um den Anspruch und die Forderungen der Klimagerechtigkeitsbewegung besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick in die Geschichte sozialer Kämpfe, genauer: der Entstehung der Umweltbewegung in den USA in den 1960er Jahren, die zuerst und vor allem eine Bewegung der weißen Mittelklasse für die weiße Mittelklasse war. Sie entstand in relativ privilegierten «weißen» Stadtvierteln und Städten und kämpfte dafür, ihre Gemeinden frei von Luftverschmutzung zu halten und ihre Kinder nicht von Chemiebetrieben und Kraftwerken vergiften zu lassen.
So nachvollziehbar diese Forderung auch war, sie hatte einen bedauernswerten Effekt: Statt dass man solche Betriebe schloss und rückbaute, wurden sie einfach verlegt – aus den reicheren Gemeinden in die ärmeren, in denen zumeist Afroamerikaner*innen, Hispanics, Native Americans und andere marginalisierte Gruppen lebten. Die Kämpfe der liberalen Umweltbewegung führten also mitnichten dazu, dass die von ihr monierten Probleme gelöst wurden – stattdessen wurden sie einfach auf der Leiter der sozialen Macht ein paar Stufen nach unten verlagert.
Die Communities of Color, denen nun plötzlich eine ganze Reihe dreckiger Industrien aufgedrückt wurde, waren nicht einfach nur passive Opfer. Stattdessen organisierten sie sich, warfen der Umweltbewegung «Umweltrassismus» («environmental racism») vor und konstituierten sich selbst als Bewegung für Umweltgerechtigkeit. Analytisch klingt das dann so: Wenn scheinbare Umweltprobleme nicht als soziale Probleme gesehen werden, wenn das Bewusstsein dafür fehlt, wie eine einzelne dreckige Fabrik in breitere soziale Strukturen von Herrschaft und Ausbeutung eingebettet ist, wird nicht nur ihre Lösung unmöglich gemacht, bestehende soziale Ungleichheiten werden darüber hinaus noch vertieft.
Als die Debatte um den Klimawandel in den 1980er Jahren an Fahrt gewann, entwickelte sich eine Vorstellung von dem Problem als einem vor allem technischen: Die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre galt es durch bestimmte Mechanismen zu reduzieren und zu beheben. Dies wiederum erleichterte in den 1990er Jahren die Entwicklung der sogenannten Marktmechanismen zur Bekämpfung des Klimawandels. Denn diesen liegt – ohne hier die gesamte kritische Debatte zu diesen beeindruckend ineffektiven umweltpolitischen Werkzeugen aufzumachen – eine technische Logik zugrunde, die nicht auf gesellschaftliche Strukturen schaut: Weil jedes CO₂-Partikel jedem anderen gleich ist, ist es egal, wer wo und unter welchen Bedingungen CO₂ einspart.
Ökonomisch gesprochen ist es tatsächlich am besten, wenn dort eingespart wird, wo es am billigsten ist, und das geht am leichtesten im globalen Süden, wo alles im Schnitt billiger ist. Wir könnten dann zum Beispiel Entwicklungshilfeorganisationen Geld geben, die Wälder vor der Abholzung bewahren wollen, um so das Klima zu schützen, während wir hier im globalen Norden dafür weiter fossile Brennstoffe verfeuern können.
Diese Idee hat jedoch einen großen Haken: In den Wäldern, die plötzlich vor exzessiver Rodung gerettet werden sollen, leben oft indigene Völker, die sich seit Jahrtausenden durch nachhaltige Waldnutzung hervorgetan haben. Und diesen drohte durch die Marktmechanismen, die während der 1990er Jahre im Rahmen des Kyoto-Protokolls verhandelt wurden, die baldige Vertreibung von ihren angestammten Ländereien, sogenanntes Green Grabbing.
Im Rahmen dieser Verhandlungen wurde die Erzählung von der Umweltgerechtigkeit wieder aufgenommen: Gegen den „Klimarassismus“ der offiziellen Klimapolitik formulierte der US-amerikanische Indigenenaktivist Tom Goldtooth, Gründer des „Indigenous Environmental Network“, der selbst aus den Bewegungen für Umweltgerechtigkeit kommt, erstmals die Forderung nach Klimagerechtigkeit. Damit hatte der Kampf begonnen, den Klimawandel als eine Frage der Menschenrechte und der Gerechtigkeit zu konstruieren.
Der nächste Schritt in der Entwicklung der Klimagerechtigkeitserzählung war die Veröffentlichung des Berichts „Treibhausgauner vs. Klimagerechtigkeit“ im Jahr 1999. Darin wurde der Fokus auf die fossilen Energiekonzerne gelegt, und anstelle individueller Lösungen (zum Beispiel ethischer Konsum) wurde auf eine große strukturelle Transformation gesetzt; der Kampf um Klimagerechtigkeit wurde ganz explizit als ein globaler beschrieben.
Der Bericht formulierte zudem den bis heute wichtigsten Orientierungsrahmen der Bewegung, nämlich die Kritik an den oben beschriebenen Marktmechanismen des Kyoto-Protokolls als „falschen Lösungen“.
Im Jahr 2002 trafen sich in Bali zum ersten Mal diejenigen Organisationen, die später zum Kern der Bewegung werden sollten, und artikulierten die „Bali Principles of Climate Justice“. 2004 kamen mehrere Gruppen und Netzwerke zusammen, die schon lange an einer Kritik an Marktmechanismen im Allgemeinen und Emissionshandel im Besonderen arbeiteten, und gründeten im südafrikanischen Durban die „Durban Group for Climate Justice“.
Zum endgültigen Durchbruch kam es dann auf der 13. Klimakonferenz in Bali im Jahr 2007. Der besagte Zusammenhang kritischer Organisationen provozierte einen offenen Konflikt mit dem politisch eher moderaten „Climate Action Network“, dessen kuschelige Lobbystrategie sich inzwischen als ziemlicher Flop herausgestellt hatte. Aus dem Konflikt heraus entstand 2007 das Netzwerk „Climate Justice Now!“. In der Pressemitteilung zur Gründung dieses neuen Akteurs wurde eine Reihe von Forderungen artikuliert, auf die sich die Klimagerechtigkeitsbewegung heute noch bezieht.
Die Pressemitteilung, die später in eine Art Gründungsmanifest überführt werden sollte, forderte erstens, fossile Brennstoffe im Boden zu lassen und stattdessen in angemessene, sichere, saubere und demokratische erneuerbare Energien zu investieren. Zweitens, verschwenderischen Überkonsum drastisch zu reduzieren, vor allem im globalen Norden, aber auch in Bezug auf südliche Eliten. Drittens massive Finanztransfers vom Norden in den Süden, basierend auf einer Rückzahlung der Klimaschulden und unter demokratischer Kontrolle. Viertens auf Menschenrechten basierende Ressourcenschonung, in deren Rahmen indigene Landrechte durchgesetzt werden und die Kontrolle dieser Gemeinden über Energie, Wälder, Land und Wasser vorangetrieben wird. Und fünftens nachhaltige, kleinbäuerliche Landwirtschaft und Ernährungssouveränität.
Um diese Ziele zu erreichen, bedient sich die Bewegung einer breiten Palette an Instrumenten, die vom Schreiben kluger Berichte und von alltäglicher politischer Arbeit in besonders vom Klimawandel betroffenen Gemeinden über die ungehorsame Blockade von Kohlegruben bis hin zu den militanten Kämpfen der Ogoni im Niger-Delta reicht.
Zusammengefasst: Die Klimagerechtigkeitsbewegung ist eine Nachfahrin der Umweltgerechtigkeitsbewegung. Sie entstammt, wie diese, dem globalen Süden und richtet den Blick weniger auf technische Veränderungen als auf gesellschaftliche Grundstrukturen. Ich wage einen Definitionsversuch: Klimagerechtigkeit ist weniger ein Zustand – sprich: die gerechte Verteilung der Kosten einer möglichen Lösung der Klimakrise – als ein Prozess: nämlich der Prozess des Kampfes gegen die gesellschaftlichen Strukturen, die Klimaungerechtigkeit verursachen. Nimmt man diese breite Definition des Begriffes ernst, ist es sogar so, dass ein Großteil der Kämpfe für Klimagerechtigkeit gar nicht unbedingt unter der Fahne der Klimagerechtigkeit segelt, sondern vor allem Kämpfe um Land, Wasser und andere Grundbedürfnisse und für Menschenrechte darstellt.