1. Das Gesetz:
Der Deutsche Bundestag hat heute mit den Stimmen der #GroßenKohleKoalition (#GroKoKo) das sogenannte Kohleausstiegsgesetz verabschiedet und damit folgendes festgelegt:
Erstens wird eines der reichsten Länder der Welt mit einem zwar nicht weltmeisterlich, aber durchaus gut ausgebauten Erneuerbare-Energien-Sektor, erst in knapp unter zwanzig Jahren – nämlich 2038 – aus der Braunkohle, dem dreckigsten aller fossilen Energieträger aussteigen. Das bedeutet, dass Deutschland seine Pariser Klimaziele nicht einhält und sich so aus der Verantwortung für globale Klimagerechtigkeit verabschiedet. Das Kohleausstiegsgesetz ist in dem Sinne kein Klimaschutzgesetz, denn Klimaschutz findet hierzulande weiterhin nicht statt.
Zweitens wird dem fossilen Kapital dieser viel zu späte Ausstieg mit einer sogenannten «Entschädigungszahlung» in Höhe von bis zu 4 Milliarden Euro vergoldet, was das in der Umweltethik und Umweltpolitik eigentlich bestimmende Prinzip «polluter pays» – dass also diejenigen, die eine Umweltkrise verursacht haben, auch für ihre Lösung bezahlen – völlig umkehrt und den Verursacher*innen der Klimakrise noch Geld in den Rachen wirft. Hiermit führt die #GroKoKo das neoliberale Prinzip fort, nachdem Gewinne privat sein dürfen, aber Verluste vergesellschaftet werden.
Drittens implizieren die Festlegungen im Kohlegesetz – das den Namen Kohleausstiegsgesetz wirklich nicht verdient hat, sondern eher Kohleverlängerungs- oder auch polemisch Kohleeinstiegsgesetz genannt werden sollte – dass zwar der berühmte Hambacher Wald nicht gerodet werden soll, aber mehrere Dörfer im mitteldeutschen Revier und dem Rheinland dem Abbau dieses vorsintflutlichen Energieträgers zum Opfer fallen, genauer, 'devastiert' werden sollen. Mit Sicherheit sagen vielen hier die Namen Kuckum, Keyenberg oder Lützerath nichts – aber diese Namen stehen dafür, dass KlimaUNgerechtigkeit nicht nur in Bolivien, Bangladesch oder den Philippinen zu beobachten ist: die Braunkohle schafft Ungerechtigkeit auch hier, 'zuhause' in Deutschland.
2. Die Bedeutung:
Das Kohlegesetz zeigt eines ganz klar: Klimaschutz ist bei normaler Politik-im-Kapitalismus nicht möglich. Deutschland verfügt seit Jahren, seit den Klimacamps, seit Ende Gelände und #hambibleibt, aber vor allem seit dem Auftritt der jungen GenerationKlima in Gestalt von Fridays For Future über eine der mächtigsten Klimabewegungen weltweit, hat einen starken Erneuerbaren-Sektor (sprich: eine mächtige grüne Kapitalfraktion) und schmückte sich jahrelang mit dem Image des «Klimaretters». Und trotzdem waren das fossile Kapital und seine Verbündeten, war der «fossile Staat» in der Lage, den Druck der Bewegung und die zunehmende Problemwahrnehmung in der Bevölkerung nach Hitzesommer und Dürreherbst, nahezu völlig abzuwenden und ein Kohlegesetz zu verabschieden, das eher eine Bestandsgarantie als ein Ausstiegsbeschluss ist. Warum? Weil es am Ende um Profite und Arbeitsplätze ging, weil es keine realistischen Alternativen für schwerindustrielle Regionen gibt. In dem Sinne stellt das Gesetz vielleicht sogar einen Gefallen an den radikalen Flügel der Klimabewegung dar, der schon seit 2009 insistiert: der Klimawandel kann nur durch Systemwandel abgewendet werden: System Change, not Climate Change.
Jenseits der Tatsache, dass dieses Gesetz aus Klimaperspektive wirklich schlechte Policy ist, ist es auch ein durchaus interessanter, vielschichtiger Kommunikationsakt: es ist nämlich eine dreifache Kampfansage:
Es ist, erstens, eine Kampfansage an die (bis zur Coronapause) ständig wachsende Klimabewegung hierzulande, die seit mindestens 12 Jahren, seit dem ersten Klima- und antirassistischen Camp in Hamburg hierzulande dafür kämpft, dass wir irgendwann in einer klimagerechten Welt leben. Es muss hoffentlich nicht mehr dazu gesagt werden, dass Klimaproteste keine grünbürgerlichen Latteluxusveranstaltungen sind, sondern dass es beim Klimawandel um handfeste Verteilungskämpfe, um Macht und eben Gerechtigkeit geht, weil am Klimachaos (wie an jedem anderen 'Umweltproblem') immer die Schwächsten am meisten leiden, während die Reichen und Mächtigen, die (ceteris paribus) das Problem verursacht haben, am wenigsten darunter leiden. Die #GroKoKo sagt: Euer Kampf interessiert uns nicht, uns sind Konzern- und Standortinteressen wichtiger. Nichts zu sehen hier, geht wieder nach Hause.
Die zweite Kampfansage ist die an die junge Generation, die nicht nur hierzulande den Klimaprotest massenfähig gemacht hat (wir erinnern uns: letztes Jahr waren im September 1,4 Millionen Menschen für den Klimaschutz auf der Straße, in der größten Demonstration der Bundesrepublik jemals), sondern überall auf der Welt die wichtigen Kämpfe für Gerechtigkeit anführt: ob in der Klimabewegung oder Black Lives Matter, ob in Chile oder Hong Kong, ob bei Bernie Sanders oder Jeremy Corbyn. Die Regierung hätte hier zwar bedenken können, dass das Vertrauen junger Menschen hierzulande in die parlamentarische Demokratie, die berühmte freiheitliche demokratische Grundordnung nicht unbedingt gestärkt wird, wenn ein gesellschaftlicher Mehrheitswunsch (Klimaschutz) nicht umgesetzt, sondern durch Lobbyarbeit und Kommissionsgeschacher sogar noch umgedreht und ins Gegenteil verkehrt wird – aber dann hätte sie ja nicht die Arbeit wichtiger Kapitalfraktionen machen können. Wächst hier vielleicht eine Generation von Kapitalismuskritiker*innen heran?
Die dritte und letzte Kampfansage (wenn wir mal von der an die 'Vernunft' absehen, aber wie wir wissen, gibt es von denen ja mehrere) ist die an den Rest der Welt. Klar, «Paris», also das Pariser Klimaabkommen, war mit Sicherheit nicht der Weisheit letzter Schluss und die Rosa-Luxemburg-Stiftung hat schon damals in Paris argumentiert, dass es vollkommen unzureichend ist, aber es war dann doch der bisherige Hochwasserstand beim Klimaschutz und stellte als solches einen globalen Minimalkonsens dar: Lasst uns versuchen, die Welt nicht dem Klimachaos anheim fallen zu lassen. Diesen scheinbaren Konsens kündigt nun auch gerade Deutschland auf, setzt sich daher mit Staaten wie den USA, Saudi Arabien und Russland in ein Boot. Die Message, die Deutschland an den Rest der Welt schickt ist die, mit dem Stephan Lessenich sein Buch betitelt hat: «Neben uns die Sintflut.»
3. Die Reaktion?
Tja, das ist nun die Frage: Wie reagiert die Bewegung auf diesen Roundhouse-Kick in ihr Gesicht? Bisher sieht es da durchaus schwierig aus: der Corona-Lockdown hat die Bewegung demobilisiert, die jungen Menschen bei FFF sind nach einem unglaublich anstrengenden Jahr teilweise stehend KO, die Strategie, auf die bisher gesetzt wurde – Demonstrationen verschieben Mehrheitsmeinungen, Mehrheitsmeinungen verschieben Parteien, Parteien machen gute Policy – ist gescheitert. Gleichzeitig können Bündnisse wie Ende Gelände nie die Anzahl Menschen mobilisieren, die es bräuchte, um nun adäquat auf diesen #epicfail zu antworten. Gleichzeitig werden Viele diese Provokation nicht hinnehmen. Schon jetzt laufen Aufrufe durchs Internet, heute um 14 vor dem Willy Brandt-Haus in Berlin und andernorts zu demonstrieren.
Denn eins ist klar: auch wenn 12 Jahre Kampf der Antikohlebewegung erst einmal keine politischen Siege erzielt haben – soziale Bewegung hinterlässt immer ihre Spuren, 12 Jahre Kampf verschwinden nie. Die Bewegung wird zurück sein. Stärker, entschlossener, geeinter. Wer glaubt, die Braunkohle wird hierzulande noch 18 Jahre überleben, wird sich noch wundern.
What do we want? Climate Justice!
When do we want it? NOW!