Nachricht | Jäger: Die Repräsentation sozialer Demokratie in neun kulturhistorischen Museen; Bielefeld 2020

Anliegen der sozialen Demokratie nur schwach präsent

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Museen sind wichtig für die Geschichtskultur. Wolfgang Jäger, ehemaliger Geschäftsführer der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, hat kulturhistorische Museen daraufhin untersucht, wie sie Vorstellungen der sozialen Demokratie und damit zusammenhängende Konflikte darstellen. Sein Untersuchungsfeld erstreckt sich auf die folgenden neun Museen und ihre Dauerausstellungen: das Deutsche Historische Museumin Berlin (DHM), das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschlandin Bonn, das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig, das  Museum der Arbeit in Hamburg, das Ruhr Museumin Essen, das Deutsche Bergbau-MuseumBochum, das Technoseum (Landesmuseum für Technik und Arbeit) in Mannheim, die DASA-Arbeitswelt Ausstellungin Dortmund und das erst 2017 eröffnete Haus der Europäischen Geschichtein Brüssel.

Jäger geht es nicht darum, «die Museen vordergründig dahingehend zu bewerten, inwieweit die Darstellung der Geschichte der sozialen Demokratie gelungen oder misslungen ist, sondern [es soll] danach gefragt werden, welche narrativen und museumsästhetischen Vorentscheidungen zur jeweiligen Repräsentation von Erinnerungskulturen der sozialen Demokratie geführt haben» (S. 11). Allerdings fällt auf, dass es sich bei der Hälfte der untersuchten Dauerausstellungen um Museen handelt, die in Nordrhein-Westfalen liegen, und dass Museen mit einem Schwerpunkt auf der Industrialisierung, wie etwa das Museum Industriekulturin Nürnberg, oder das Sächsische Industriemuseumin Chemnitz, nicht berücksichtigt wurden.

Der Autor hat alle Museen selbst besucht und greift als Quellen darüber hinaus auf Publikationen und Ausstellungskonzepte zurück. Ebenso berücksichtigt er die spezifischen Gründungsimpulse und die nachfolgende historische Entwicklung der Häuser.

Im Anschluss an die Einleitung wird die Entwicklung von Museen allgemein umrissen. Jäger konstatiert, deren Aufgaben seien seit den 1970er-Jahren immer mehr vom Bewahren und Ausstellen hin zu Forschung, Vermittlung und Partizipation angewachsen. Museen seien heute oft Lernorte, die ihre Zielgruppen erweitert hätten und z. B. Kinder ausdrücklich zum Mitmachen und auch Anfassen einladen würden; so seien sie von der Objekt- zur Vermittlungszentrierung vorangeschritten.

Jäger geht auf vier Dimensionen musealer Geschichtskultur ein, die, auch in den hier untersuchten Museen, unterschiedlich stark ausgeprägt seien: die dinglich/ästhetische, die politische, die wissenschaftliche und die partizipative. In den 1980er-Jahren wurde die Frage, ob Museen Identitäten stiften oder nicht besser verunsichern sollten, kontrovers diskutiert. Dabei wäre auch der Tatsache Rechnung zu tragen, dass ja auch die Arbeiterbewegung oder die soziale Demokratie eine Identität hat, die dargestellt werden könnte (oder sollte).

Es folgt ein Exkurs über die «Entdeckung der Industriekultur und die Entstehung von Industriemuseen» (S. 43–52). In diesen werde Industrie als kulturelles Erbe verstanden und tendenziell beschönigend und frei von Konflikten dargestellt. Das sei auch dadurch bedingt, dass es sich vielfach um reine Technikmuseen handle. Neu sei, vor allem im Ruhrgebiet, der Ansatz, auch «Industrienatur» auszustellen, was mitunter zu einem verharmlosenden, wenn nicht historisch falschen Versöhnungsnarrativ zwischen «Industrie» und «Natur» führe. Wichtig sei zudem, sich vor Augen zu führen, dass «Geschichte von unten» oder die «Geschichte der kleinen Leute» etwas Anderes sei, oder mehr umfasse, als die Geschichte der Arbeiterbewegung. Bevor die einzelnen Museen und ihre Dauerausstellungen im Hauptteil des Buches dargestellt und analysiert werden, widmet sich Jäger der sozialen Demokratie. Diese wird als die Vorstellung, dass Gleichheit ein soziales Fundament haben muss und ohne wirtschaftliche Gleichheit keine gerechte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben möglich ist, definiert. Kern der sozialen Demokratie seien die Gewerkschaften, aber auch die Arbeiterkultur (und die sozialdemokratische Partei).

Der Hauptteil der Monografie widmet sich den Dauerausstellungen der neun ausgewählten Museen, die vor allem auf Grundlage ihrer veröffentlichten Konzeptionen und ihrer Ausstellungskataloge untersucht werden. Auch überarbeitete Versionen wurden hierbei berücksichtigt und gegebenenfalls mit ihren Vorgängern verglichen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass eine Darstellung der Anliegen der sozialen Demokratie durchaus möglich ist – und einige der Museen wie z. B. das Museum der Arbeit dies insgesamt oder in einzelnen Ausstellungssegmenten sehr wohl auf unterschiedliche Art und Weise tun. Die Unterschiede zwischen den Museen, was Herkunft, Konzept, Zielgruppen – die DASA Ausstellung hat vor allem Kinder und Jugendliche als Zielgruppe, während die Hälfte aller Besucherinnen und Besucher des DHM in Berlin aus dem Ausland kommen – angeht, treten bei näherem Hinsehen sehr deutlich zutage. Jägers Befund, dass im DHM eine konservative Politikgeschichte dominiert, ist wenig überraschend; die insgesamt schwache Präsenz der Themen und Bewegungen der sozialen Demokratie allerdings schon. Selbst in Museen, in denen ein solcher Fokus erwartbar wäre, wie im Ruhr Museum, werden z. B. Betriebsräte nicht einmal erwähnt. Hier entsteht eher ein «Heimatmuseum neuen Typs».

Die Untersuchung und Beschreibung der einzelnen, im Grunde doch sehr verschiedenen Museen sind detailliert und spannend zu lesen. Insgesamt seien Anliegen der sozialen Demokratie aber nur schwach präsent.

Jäger spricht sich gegen – auch gut gemeinte – Meistererzählungen aus. Das Resümee und auch seien Bewertung fallen allerdings etwas dünn aus. Der neue Trend zur Demokratiegeschichte, als deren Teil die soziale Demokratie ja angesehen werden könnte, ist, da ist ihm zuzustimmen, jedoch auch kein Allheilmittel, solange dabei die betriebliche und soziale Seite ausgespart wird. Offen bleibt auch, ob die Bedingungen für das beschriebene Anliegen in den 1990er-Jahren wirklich besser war – und ob die aktuelle Situation in den Museen nicht einfach auch nur Ausdruck des Hegemonieschwundes der sozialen Demokratie ist.

Wolfgang Jäger: Soziale Bürgerrechte im Museum. Die Repräsentation sozialer Demokratie in neun kulturhistorischen Museen. transcript Verlag, Bielefeld 2020, 264 Seiten, 35 EUR

Diese Rezension erschien zuerst in Heft 6/2021 der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft(ZfG).