Nachricht | Deutsch-deutsche Geschichte Stefan Meining: Kommunistische Judenpolitik, Hamburg 2002.

Darstellung und Analyse des Verhältnisses der DDR zu den Juden – denen im eigenen Land, denen in Israel und denen im Rest der Welt, insbesondere in den USA.

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Autor

Peter Ullrich,

Das vorliegende Buch ist die im Jahr 2000 zugelassene Dissertation von Stefan Meining. Wie schon verschiedene andere Bücher zuvor, verfolgt es das Ziel der Darstellung und Analyse des Verhältnisses der DDR zu den Juden – denen im eigenen Land, denen in Israel und denen im Rest der Welt, insbesondere in den USA. Es steht somit in verspäteter Konkurrenz zu den Arbeiten von Angelika Timm, Lothar Mertens, Michael Wolffsohn, Wolfgang Kießling, Mario Keßler und anderen.

Meining stellt sein Buch – u. a. in Abgrenzung zu Timm, Keßler und Kießling – bewusst in eine Reihe mit der »Deutschland-Akte« seines Lehrers Michael Wolffsohn. Dieses Buch war zu Recht kritisiert worden, weil es mit vielen Andeutungen, unbewiesenen Behauptungen und verschwörungstheoretisch-vieldeutigen rhetorischen Fragen (z. B. der, ob die Welle ausländerfeindlicher Pogrome Anfang der 90er Jahre nicht möglicherweise auf Stasi-Machenschaften zurückginge) keinen ernsthaften Beitrag zur wissenschaftlichen Debatte lieferte, sondern nur »Geschichtswissenschaft mit Schaum vorm Maul« (Kurt Pätzold, konkret 2/1996). Obwohl auch bei Meining recht klar ist, dass die eigene Kritik an der ideologischen DDR auch Ausdruck eigener Ideologie, somit eines politischen (in  dem Fall zutiefst antikommunistischen) Standpunktes ist – zu diesem Eindruck trägt auch die zitierte Literatur bei, wo sich Neurechte wie Stephane Courtois (Schwarzbuch des Kommunismus) oder auch Klaus Hornung finden (Letzterer schreibt in der Jungen Freiheit regelmäßig gegen den »linken Gesinnungsterror«) –, ist das Buch doch anders zu bewerten als die erste umfänglichere Publikation aus dem Projekt zur Deutsch-Jüdischen Geschichte an der Bundeswehruniversität. Die Vermutungen beispielsweise nehmen bei Meining tatsächlich recht wenig (nicht keinen!) Raum ein (S. 145, 151, 274, 533).

Sechs empirische Hauptkapitel widmen sich Einzelaspekten. Das erste (und längste) behandelt den Fall Merker. Der  wesentliche Entdeckerstolz des Autors liegt auf seiner Deutung, dass Paul Merker, das prominenteste Opfer der antisemitisch gefärbten Säuberungswelle des Spätstalinismus Anfang der 50er Jahre, seiner Meinung nach anders  als bisher dargestellt werden müsse – nicht nur als das unschuldige, wohlmeinende, humanistische und den vom Nationalsozialismus verfolgten Juden gegenüber wohlmeinende Opfer, sondern eben auch als halbwegs linientreuer Stalinist, als Nicht-Dissident.

Meinings Verdienst mag es sein, dies explizit ausgesprochen zu haben. Trotzdem entbehrt es nicht einer gewissen Komik, wenn nun bei einem der höchsten Kader der KPD der 20er bis frühen 50er Jahre »entdeckt« wird, dass er im Prinzip linientreu war – wenn auch mit Zweifeln und Abweichungen, die ihm auch Meining zugestehe muss. Entsprechend deutet Meining Merkers Bemühen um Wiedergutmachung an den Juden noch während des Krieges nicht als hehre Gesinnung, sondern als taktischen Schachzug im Sinne von Moskaus Bündnisbestrebungen im Zweiten Weltkrieg.

Das zweite Kapitel behandelt das Verhältnis der DDR zur jüdischen Gemeinde – und zwar, da dieses schon ausführlich anderswo beschrieben wurde, anhand der »Fälle« Galinski und Eschwege. Interessanter sind da schon die nächsten, auf die Außenpolitik des SED-Staates gerichteten Kapitel. Meining beschreibt die extreme Israelfeindschaft der DDR (bei gleichzeitiger stetiger Anerkennung des israelischen Existenzrechts), die Freundschaft zur PLO, die ostdeutsche Unterstützung für arabische Militante und die erst Ende der 80er Jahre langsam aufbrechende Eiszeit zwischen dem jüdischen Staat und der SED.

Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Analyse der Versuche in den 80er Jahren, diese Beziehung ebenso zu verbessern wie die zu jüdischen Organisationen in den USA – im Kontext der DDR-Bestrebungen, die Meistbegünstigungsklausel im Handel mit den USA zu erhalten. Hier ist Meining weit ausführlicher als Angelika Timm ("Hammer, Zirkel, Davidstern", Bonn 1997). Seine Deutung dieser Beziehung entspricht jedoch der Wolffsohns, ist nur seriöser dargestellt: Die DDR-Führung sei in gewisser Weise einem antisemitischen Stereotyp aufgesessen, habe zu Unrecht geglaubt, durch Verbesserung ihrer Beziehungen zu jüdischen Organisationen den General-Schlüssel zur US-Regierung zu bekommen. Dies schlug aber fehl.

Mit einem wiederum recht kurzen Kapitel über die schnellen Entwicklungen in der Wendezeit, in denen sich das Klima zwischen DDR-Führung und Israel sowie den Juden in Ostdeutschland deutlich änderte, endet das Buch. Es stellt sich nun die Frage nach der Notwendigkeit, da nicht viele wirklich neue Einsichten aufkommen. Es ist denn auch eher als eine sehr ausführliche Darstellung des schwierigen Verhältnisses der DDR zu den Juden zu sehen – in Ergänzung der vorhandenen Untersuchungen. Den antikommunistischen Unterton des Buches kann man sich wegdenken, doch die grundsätzlich beschriebene Problematik bleibt: Das »bessere Deutschland« hatte aus der Shoah zu wenig gelernt, behandelte anfangs die Juden als Opfer zweiter Klasse und pflegte einen radikalen, weltbildhaften Antizionismus, bei dem die ideologische und physische Grenze zum Antisemitismus gelegentlich massiv überschritten wurde.

Sehr schade ist, dass eine Systematik im Buch, sofern vorhanden, vom Leser selbst rekonstruiert werden muss. Einleitende und zusammenfassend-systematisierende Abschnitte müsste es nicht nur am Anfang und Ende des Buches geben, sondern auch in den einzelnen Kapiteln. Etwas borniert wirken die eigenwilligen und anscheinend sehr individuellen, eindeutschenden Schreibweisen, die der Autor verwendet (Jad Washem, Schewardnadze, Fatach). Und das Fazit-Kapitel offenbart auch noch mal die politische Mission. Dort wird zwar noch einmal die DDR und ihre Geschichtspolitik hart kritisiert, doch teilweise anhand recht allgemeiner Fragen, die nicht auf das Verhältnis zu den Juden ein- und an entscheidenden Stellen über andere vorliegende Arbeiten hinausgehen. Auch hier wieder nur eine Zuspitzung des Bekannten und eine Unterstreichung der Kritik am insgesamt instrumentellen Verhältnis der DDR zu Juden und dem Staat Israel.
 


Stefan Meining: Kommunistische Judenpolitik. Die DDR, die Juden und Israel. Mit einem Vorwort von Michael Wolffsohn, Hamburg 2002: LIT Verlag (576 S., 40,90 €).
 


Die Besprechung erschien erstmals im Mai 2006 in der monatlichen Publikation UTOPIEkreativ. Diskussion sozialistischer Alternativen.