Nach einem schweißtreibenden Sitzungsmarathon und unzähligen Anhörungen: Zwei Tage vor der parlamentarischen Sommerpause stimmt der Bundestag ab über die «größte energiepolitische Novelle seit Jahrzehnten» (Zitat Bundesregierung). Es geht angesichts der Klimakrise um die Beschleunigung des Ökostromausbaus und Änderungen bei Energiestandards im Gebäudesektor, aber auch – getrieben durch die Aggression Russlands auf die Ukraine – um Regularien rund um die Versorgungssicherheit für Strom und Wärme. Insgesamt werden über 20 Gesetze und Verordnungen verabschiedet. Die Koalition will damit das Osterpaket vom 6. April dieses Jahres rechtlich umsetzen, das wesentlich im Robert Habecks grünen Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geformt wurde – nun allerdings mit einigen Abstrichen.
Ökostromausbau
Die FDP hat einmal mehr Stöcke in die Speichen der Energiewende gerammt. So wurde auf ihrem Betreiben hin im zuständigen Bundestagsauschuss in letzter Minute das Ziel einer treibhausgasneutralen Stromversorgung bis zum Jahr 2035 aus der Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) ersatzlos gestrichen. Immerhin wird im EEG nun das ambitionierte Ziel des Koalitionsvertrags verankert, bis 2030 einen Ökostromanteil von 80 Prozent zu erreichen (Stand 2021 ca. 42 Prozent), was laut Bundesregierung insgesamt rund 600 Terawattstunden (TWh) Strom aus erneuerbaren Energien bedeutet. Mit einem Dreisatz ergibt sich, dass die Koalition nun offenbar von einem Stromverbrauch von 750 TWh im Zieljahr ausgeht - und damit den oberen, und wohl realistischeren Rand jenes Korridors (680 bis 750 TWh) als Ausgangspunkt nimmt, welcher im Koalitionsvertrag festgelegt wurde.
Mit den neuen 2030-Zielen werden auch Zubaupfade und Ausschreibungsmengen entsprechend angehoben, und das deutlich. So betragen jährlichen Zubauziele bei Wind an Land 10 Gigawatt (GW) ab dem Jahr 2025 und bei Photovoltaik (PV) 22 GW ab 2026. Damit würde das Ausbautempo um den Faktor zwei bzw. drei gegenüber heutigen Vorgaben erhöht. Bis 2025 bzw. 2026 soll der jährliche Zubau jeweils stufenweise wachsen. Der wirklich große und damit auch konflikträchtigere Tempozuwachs wird damit allerdings in die nächste Wahlperiode verschoben.
Eine deutliche Erhöhung der Ausbauziele und der Ausschreibungsmengen gibt es auch bei Wind auf See (Offshore). Hier sind jetzt 30 GW statt 15 GW installierter Leistung bis 2030, 40 GW bis 2035 und mindestens 70 GW bis 2045 vorgesehen. Für die LINKE kritisierte im Ausschuss am Dienstag der energiepolitische Sprecher Ralph Lenkert, die Novelle des Wind-auf-See-Gesetzes sehe vor, naturschutzfachliche Belange und Tabukriterien der Raumordnung zu Gunsten der Windkraft im Meer aufzuweichen, während andere Nutzungen wie Schifffahrt, Rohstoffabbau und Fischerei, unberührt blieben.
Wer Windkraft will braucht Flächen dafür. Gesetzlich verankert wird nun das Ziel, insgesamt zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft an Land bereit zu stellen. Dafür gibt es differenzierte Ziele nach Bundesländern (etwa 2,2 Prozent für Niedersachsen und 0,5 Prozent für Berlin), einschließlich Tauschoptionen zwischen ihnen. Hierbei kann sich ein Bundesland gegenüber einem anderen in einem bestimmten Umfang verpflichten, mehr Fläche auszuweisen, als gesetzlich notwendig. Zwei-Prozent-Regelungen wurden bislang in einigen Bundesländern angestrebt, eine bundeseinheitliche Festlegung fehlte aber. Doch die neue Regelung klingt besser als sie ist. Denn erst im Jahr 2032 greifen die jeweiligen Landes-Prozente tatsächlich verbindlich (mit Zwischenzielen für 2027, deren Erreichen in den Verhandlungen um ein Jahr nach hinten verschoben wurde), bis dahin sollen sich die Länder einigen, wie und wo sie die Flächen ausweisen.
Eine bundeseinheitliche Abstandsregelung zwischen Windkraftanlagen und Wohngebäuden wird es auch künftig nicht geben. Bayern etwa hat mit der absurden Regelung, die zehnfache Höhe der Anlagen als Mindestabstand festzulegen, schon vor Jahren den Ausbau im Freistaat zum Stillstand gebracht. Der Kompromiss nun: Verweigert sich ein Bundesland der Zwei-Prozent-Regelung, soll dessen Landes-Abstandreglung fallen. Der Bundesverband Windenergie beklagt zudem naturschutzfachlich fragwürdige Artenschutzregelungen, die den Ausbau weiter hemmen werden. Das BMWK wurde zumindest damit beauftragt, eine Formel für die Kollisionswahrscheinlichkeit zwischen Vögeln und Windkraftanlagen vorzulegen.
Folgenreich dürfte die neue Formulierung im EEG sein, dass die Nutzung erneuerbarer Energien im überragenden öffentlichen Interesse liegt und der öffentlichen Sicherheit dient. Es wird somit vorrangiger Belang in der Schutzgüterabwägung bei Planungs- und Genehmigungsprozessen. Gerade Verzögerungen hier hatten in den letzten Jahren zu einem Einbruch der Ausbauzahlen in der Windenergie geführt. Im Ergebnis konnten die Ausschreibungsmengen der Bundesnetzagentur mangels Bietern nicht annähernd bezuschlagt werden. Bis Ende 2030 müssen nun netto durchschnittlich 0,54 GW im Monat zugebaut werden um die Ziele zu erreichen. Im Schnitt des letzten Jahres waren es aber nur 0,13 GW im Monat. Gegenüber den realen Ausbauzahlen müsste das Tempo demnach sogar vervierfacht werden. Dem dürfte eher nicht entgegenkommen, dass die ursprünglich angedachte Süd-Quote für Windkraft in den Ausschreibungen gestrichen wurde. Sie hätte den Ausbau regional etwas besser verteilen und so auch Netze entlasten und Akzeptanzproblemen im Norden entschärfen können.
Alles in allem: Hehre Ziele, der große Schub bei der Windkraft wird aber auf sich warten lassen.
Bei der Photovoltaik werden die Rahmenbedingungen brauchbar verbessert, Vergütungssetze sinnvoll angepasst – gut so. Der Ausbau soll sich hälftig auf Dach- und Freiflächen verteilen. Für letztere werden mehr Flächenarten geöffnet. Angesichts der begrenzte Ressource Biomasse darf Biomethan künftig nur noch in hochflexiblen Kraftwerken eingesetzt werden, um Schwankungen bei Wind und Sonne auszugleichen. Bleibt zu hoffen, dass das ineffiziente durchgängige Betreiben in der Grundlast damit schrittweise sein Ende findet.
Zum Schluss noch hineinverhandelt von der FDP wurde die Festlegung, dass nach Vollendung des Kohleausstiegs der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien «marktgetrieben» erfolgen soll. Übersetzt heißt dies, das Ende der Kohleverstromung bedeutet auch das Ende der EEG-Förderung. Zumindest für die teure Verstromung von Erdwärme und Biogas könnte es das Aus bedeuten, sollten irgendwann die außergewöhnlich hohen Börsenstrompreise wieder sinken.
Kassiert hat die FDP auch eine Regelung, die die Stromkunden entlastet hätte. Die gegenwärtigen EEG-Paragraphen garantieren den Ökostrombetreibern grob gesagt eine kostendeckende Vergütung, indem die Mehrkosten ihrer umweltfreundlichen Erzeugung gegenüber den niedrigeren Börsenstrompreisen erstattet werden (finanziert durch die bekannte EEG-Umlage auf der Stromrechnung). Niemand hatte jedoch bis vor kurzem auf dem Schirm, dass die Börsenstrompreise einmal derart durch die Decke gehen werden, wie gegenwärtig. Bei den Ökostrombetreibern fallen daher seit Monaten vielfach enorme leistungslose Zusatzgewinne an. Momentan können sie diese behalten. Durch so genannte Differenzverträge («Contracts for Difference» – CfDs), die es nun aber nicht geben wird, wären sie künftig gerechterweise von den Betreibern an das EEG-Konto zurück zu überweisen gewesen. Extragewinne aus extrem hohen Großhandelspreisen kassieren allerdings ebenfalls Atom- und Kohlekraftwerke. Ähnlich Ölraffinerien auf anderen Märkten. Wahrscheinlich wollten die Liberalen das Thema «Übergewinnabschöpfung» grundsätzlich beerdigen, um ihre Klientel zu schützen.
Die Opposition war übrigens auch erfolgreich: Und zwar in Form der CSU, die im Bundestag stets die hartnäckigsten Lobbyisten für die so genannte kleine Wasserkraft stellten. Kein Wunder, etliche ihrer Mitglieder sind im Nebenerwerb Wasserkraftunternehmer und verdienen an den gegenwärtig hohen Strompreisen zusätzlich. Das BMWK wollte ursprünglich die Förderung für Kleinwasserkraftwerke unter 500 kW Leistung beenden. Damit wäre eine Forderung umgesetzt worden, die von Umweltverbänden, Wissenschaft, und auch den LINKEN seit Jahren erhoben wird. Denn kleine Wasserkraft schadet deutlich mehr als sie nützt. 94 Prozent aller 7.300 Wasserkraftwerke in Deutschland sind beispielsweise kleiner 1 MW, bringen aber nur 14 Prozent der Wasserkraft-Strommenge und decken lediglich 0,3 Prozent des Gesamtstrombedarfs. Der ökologische Schaden in den empfindlichen Bergflüsschen steht dazu in keinem Verhältnis.
Gebäudeenergie
Auf der Agenda des 7. Juli im Bundestag steht auch die Überarbeitung des Gebäudeenergiegesetzes. Dabei werden zwar endlich die Anforderungen an den Primärenergieverbrauch für Neubauten auf das so genannte «Effizienzhaus 55»-Niveau (EH 55) angehoben, nicht aber die entsprechenden Anforderungen an die Wärmedichtheit von Wänden, Fenstern und Türen. Praktisch kann nun mit mehr erneuerbarer Wärme ein unzureichender Wärmeschutz ausgeglichen werden. Das aber könnte perspektivisch die Erzeugungskapazitäten für erneuerbare Energien überfordern. Nach Einschätzung der Deutschen Umwelthilfe manifestiert das Ergebnis lange überholten Effizienz-Standards, völlig veraltete Baustandards würden weitergelten. Laut Jan Peter Hinrichs vom Bundesverband Effiziente Gebäudehülle müssten mit Blick auf die Klimaneutralität mit dem nun geltenden Standard errichtete Gebäude bis 2045 noch einmal angefasst werden, das sei «geradezu absurd». Außerdem lasse die Novelle gänzlich ein Einsparkonzept für den Gebäudebestand vermissen.
Demgegenüber behebt die Neufassung nun eine systematische Benachteiligung von Fernwärme aus hocheffizienten Großwärmepumpen gegenüber Fernwärme aus fossilen Quellen. Ähnliches steht für dezentral genutzte Wärmepumpen aber noch aus.
Versorgungssicherheit
Verabschiedet wurde am 7. Juli auch das Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz (EKBG). Es soll angesichts wegfallender russischen Gaslieferungen helfen, die Versorgungssicherheit mit Gas zu gewährleisten, welches kurzfristig insbesondere für die Gebäudewärme, aber auch im Industriebereich schwer ersetzbar ist.
Auf die ursprünglich angedachten zusätzlichen Malus-Zahlungen für Gaskraftwerken wurde in der letzten Minute verzichtet. Sie waren dafür gedacht, in angespannten Situationen Gaskraftwerke zeitweilig aus dem Strommarkt zu drängen. Zum Gassparen im Strommarkt soll nun allein eine temporäre Verlängerung der Laufzeiten von Kohlekraftwerken dienen, die dieses oder nächstes Jahr abgeschaltet werden und in Reserve gehen oder gehen sollten. Das wird leider zusätzliche Treibhausgasemissionen bedeuten, scheint in dieser Krise aber tatsächlich unumgänglich, um Gas im Strommarkt einzusparen und für die Wärmeerzeugung bereitstellen zu können.
Die Koalition hat an dieser Stelle eine sinnvolle Änderung zum ursprünglichen Entwurf vorgenommen, die das Öko-Institut in der parlamentarischen Anhörung empfohlen hatte. Nun sollen regelbasiert vorrangig Steinkohlekraftwerke genutzt werden, und nur im absoluten Notfall die deutlich dreckigeren Braunkohlekraftwerke, die ansonsten marktbasiert zuerst zum Zuge gekommen wären. Überlegungen, die eine Verlängerung des Enddatums des Kohleausstiegs über das Ziel des Koalitionsvertrages hinaus zum Ziel hätten («idealerweise 2030») hat die Bundesregierung im Übrigen mehrmals dementiert.
Eine andere Empfehlung des Öko-Instituts findet sich allerdings nicht im Gesetzesbündel wieder: Mindestens 10 TWh Strom könnten in der Industrie im Bereich der Motoren, Beleuchtung und Prozesskälte relativ kurzfristig über ordnungsrechtliche Maßnahmen eingespart werden.
Was fehlt noch?
Das nun umgesetzte Osterpaket fokussiert auf den engeren energiepolitischen Rahmen, ein Sommerpaket soll folgen. Nicht alles wäre also am gleichen Tag zu regeln gewesen. Dennoch geht es absehbar nirgends den fossilen Subventionen an den Kragen, die eine indirekte Förderung von Gas und Öl darstellen, ein Tempolimit wurde von der Koalition gerade erst erneut abgelehnt. Das Klimageld als sozialpolitische Flankierung ist im Koalitionsvertrag ohnehin nur mit Prüfauftrag benannt, inwieweit in den kommenden Wochen die sozialen Schieflagen der ersten zwei Entlastungspakte behoben werden, bleibt offen. Immer klarer wird zudem: Die tiefe soziale Spaltung in der Bundesrepublik trifft nun auf externe Preisschocks bei Gas, Öl und Elektrizität, denen ärmere Haushalte kaum ausweichen können. Christian Lindner fällt weiterhin nichts Besseres ein, als jede zusätzliche Besteuerung hoher Einkommen zu blockieren, dafür aber Langzeitarbeitslosen Bezüge kürzen zu wollen. Die Energiewende unter dieser Regierung könnte so zum sozialen Sprengstoff werden.
Im Übrigen ist ein Verbot von SUVs genauso undenkbar wie das Nachdenken darüber, ob es weitere asoziale und umweltzerstörerische Produktionslinien geben könnte, die angesichts nicht nur der Energie-, sondern auch der Klima- und Ressourcenkrise einfach mal verzichtet werden könnte. Und da stände einiges auf der Liste.