Kommentar | Wirtschafts- / Sozialpolitik - Commons / Soziale Infrastruktur - Verteilungskrise Soziale Infrastrukturen unter Druck

Inflation und Energiepreiskrise treffen auch die Einrichtungen der sozialen Daseinsvorsorge hart. Ob ihre gestiegenen Kosten durch staatliche Hilfsgelder ausreichend aufgefangen werden, ist noch unklar.

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Eva Völpel,

Bedürftige Menschen bei der Münchner Tafel vor dem Großmarkt München, 16.11.2022
Lebensmitteltafeln werden von deutlich mehr Menschen als vor Kriegsausbruch aufgesucht, auch Schuldner- oder Wohnungslosenberatungen melden vermehrt Zulauf. Bedürftige Menschen bei der Münchner Tafel vor dem Großmarkt München, 16.11.2022, Foto: IMAGO / Sven Simon

Im Oktober 2022 veröffentlichte der Paritätische eine alarmierende Umfrage, die der Gesamtverband unter seinen Mitgliedsorganisationen durchgeführt hatte. Rund 90 Prozent der sozialen Einrichtungen – etwa 1.300 hatten sich bundesweit im kurzen Zeitraum von drei Wochen an der Erhebung beteiligt –, gaben an, dass ihr soziales oder kulturelles Angebot aufgrund der gestiegenen Kosten für Energie aber auch für Lebensmittel oder Sprit in der Existenz gefährdet sei. Was sich da abzeichnete, war nichts weniger als ein verheerender Kahlschlag bei Einrichtungen der sozialen Arbeit, ob im Bereich Gesundheit, Pflege, Altenhilfe, Behindertenhilfe, Frauenhäuser, Kitas, in der Integrationsarbeit, der Sucht- und Schuldnerberatung oder der Wohnungslosenhilfe.

Sparen muss man sich leisten können

Dann einigten sich Bundesregierung und die Länder Anfang November 2022 auf die Strom- und Gaspreisbremse sowie weitere Hilfen in Form von unterschiedlichen Härtefallfonds. Ob damit aber die schlimmsten Auswirkungen abgefangen werden, das könne man zurzeit noch nicht abschätzen, sagt Joachim Rock, Leiter der Abteilung Sozial-und Europapolitik beim Paritätischen Gesamtverband. «Die Einigung von Bund und Ländern hat ein höheres Maß an Berechenbarkeit über den Umfang der Entlastung geschaffen, löst aber auch nicht alle Probleme.»

Eva Völpel ist Referentin für Wirtschafts- und Sozialpolitik bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Ein Problem ist etwa, dass viele soziale Träger schlichtweg nicht besonders viel Gas oder Strom einsparen können, so dass sie häufig gar nicht davon profitieren dürften, dass die Energiebremsen 80 Prozent des Gas- oder Stromverbrauchs von Privatpersonen, KMU oder Vereinen zu einem niedrigeren Preis deckeln und nur die verbleibenden 20 Prozent zu Marktpreisen bezahlt werden müssen. Denn oft sind die Einrichtungen in energetisch schlecht sanierten Gebäuden untergebracht oder betreuen alte, kranke wohnungslose oder traumatisierte Menschen, die ein besonderes Bedürfnis nach Wärme haben. Zudem machen nicht nur höhere Preise für Energie zu schaffen, sondern auch zum Teil deutlich gestiegene Ausgaben für Lebensmittel, Sprit oder den Einkauf verschiedener Dienstleistungen. «Im ambulanten Bereich etwa schlagen besonders hohe Spritkosten zu, in der Altenpflege oder in Kitas die deutlich höheren Lebensmittelpreise», so Rock. Noch dazu seien viele soziale Träger wirtschaftlich bereits durch die Coronapandemie gebeutelt worden. «Da sind viele immer noch am Limit», sagt Rock. Dabei ist die Nachfrage wegen der Inflation gestiegen. Lebensmitteltafeln werden von deutlich mehr Menschen als vor Kriegsausbruch aufgesucht, auch Schuldner- oder Wohnungslosenberatungen melden vermehrt Zulauf.

Aber anders als in der Privatwirtschaft haben gemeinnützige Träger kaum Rücklagen. Sie erwirtschaften nur in geringem Umfang Gewinne und müssen diese zeitnah in gemeinnützige Zwecke reinvestieren. So wird nicht nur der Umfang der Finanzhilfen zur entscheidenden Frage, sondern auch, wann die Gelder fließen.

Um wirtschaftliche Härten jenseits der Strom- und Gaspreisbremsen auszugleichen, hatte der Bund im November bekannt gegeben, insgesamt 12 Milliarden Euro für Härtefallregelungen zur Verfügung zu stellen. Acht Milliarden davon sind etwa für Krankenhäuser und stationäre Pflegeeinrichtungen vorgesehen, eine Milliarde für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), eine halbe Milliarde für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Für soziale Träger und soziale Dienstleister sollen insgesamt zwei Milliarden Euro bereitstehen. Und etliche Bundesländer kündigten an, mit eigenen Länderhilfen die Mittel des Bundes aufzustocken. Hessen etwa will damit ausgleichen, dass der Bund in seinen Härtefallregelungen keine Gelder für Sportvereine vorgesehen hat.

Doch ob und wie die Gelder in Anspruch genommen werden, lässt sich drei Monate nach Beschlussfassung von Bund und Ländern nicht einmal ansatzweise abschätzen. Für die Administration der Bundesmittel sind die Länder zuständig. «Doch die konkreten Verfahren sind meist noch gar nicht festgelegt», sagt Rock.

In Berlin, Nordrhein-Westfalen oder in Hessen ist man da schon einen Schritt weiter. In NRW etwa stellt die Landesregierung zusätzlich zu den Bundesmitteln 270 Millionen Euro im Rahmen des «Stärkungspakt – gemeinsam gegen Armut» für Bürger*innen und Einrichtungen der sozialen Infrastruktur zur Verfügung. 150 Millionen Euro sind für Menschen in sozialen Notlagen und soziale Einrichtungen, die sich speziell um diese Menschen kümmern, vorgesehen. Also für Tafeln, Wohnungsloseneinrichtungen oder Beratungsstellen. Ebenso sollen kostenlose Frühstücksangebote für Grundschulen davon finanziert werden – oder auch Hilfen für Menschen, die von Energiesperren bedroht sind. Rund 60 Millionen Euro aus dem Gesamttopf sind für die Mehrkosten von Einrichtungen der Eingliederungshilfe vorgesehen, inklusive der Werkstätten für behinderte Menschen, sowie für Einrichtungen, die Menschen in besonders schwierigen Lebenslagen nach § 67 des Sozialgesetzbuch XII helfen, etwa bei Gewalterfahrungen oder Entlassung aus dem Strafvollzug. Und die restlichen 60 Millionen Euro sollen Kitas ermöglichen, die gestiegenen Energiekosten zu schultern.

Antragsberechtigt sind die Städte, Gemeinden und Landkreise bzw. die Landschaftsverbände Westfalen-Lippe und Rheinland, die die Mittel für krisenbedingte Mehrkosten dann an die Einrichtungen weiterreichen sollen. Das Antragsprozedere, damit die Gelder aus der Landeskasse an die Kommunen oder Landschaftsverbände fließen, sieht zumindest einigermaßen handhabbar und unbürokratisch aus. Ob und wie die Gelder dann wiederum ausreichend und schnell genug zu den Einrichtungen weitergereicht werden, muss sich aber auch noch erweisen.

Soziale Einrichtungen werden nicht genug gepflegt

Schon jetzt findet man im Netz Artikel, dass Einrichtungen der sozialen Infrastrukturen schließen, darunter Einrichtungen der Behindertenhilfe oder auch Kitas, obwohl die Bedarfe hoch sind. Und Anfang Januar meldete der bundesweit tätige, kommerzielle Pflegeheimbetreiber Curata für einzelne Gesellschaften Insolvenz an. Insgesamt sollen vier Pflegeheime schließen. Die Betreiber führten dafür gestiegene Energiekosten und Personalmangel an. Auch die kommerzielle Convivo-Gruppe, die bundesweit rund 18.000 Pflegende betreut und etwa 4.800 Mitarbeiter*innen beschäftigt, vermeldete in diesen Tagen das Aus. Auch hier verweisen die Betreiber unter anderem auf Fachkräftemangel und gestiegene Kosten.

Doch ganz so leicht ist es nicht. Die Gewerkschaft ver.di machte darauf aufmerksam, dass sich in dieser Pleite auch die Grenzen eines auf Rendite getrimmten Geschäftsmodells des zuletzt stark expandierenden Pflegeheimbetreibers Convivo zeigen. Und dass das System kommerzialisierte Pflege auch ohne Energiepreiskrise und Inflation tief in der Krise steckt. «Nicht zum ersten Mal zeigt sich: Die Orientierung auf den größtmöglichen Gewinn und eine gute Gesundheitsversorgung passen nicht zusammen», sagte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler. Sie forderte, dass Versorgungsverträge nur noch mit gemeinnützigen beziehungsweise kommunalen Pflegeeinrichtungen geschlossen werden sollen.

Allerdings geraten auch gemeinnützige Einrichtungen immer wieder in Schwierigkeiten, wie in den vergangenen Jahren Insolvenzen von Heimen des Deutschen Roten Kreuz zeigten. Insgesamt droht jedem fünften Pflegeheim die Pleite, stellte der Pflegeheim Rating Report 2022 fest. Das Problem sind also auf der einen Seite auf Rendite getrimmte Pflegeheimbetreiber, die unter anderem die Löhne runterziehen – aber eben auch, dass gesellschaftlich wichtige Tätigkeiten wie die Pflege von Angehörigen nicht ausreichend mit Steuermitteln – und entsprechend verbesserten Einnahmen durch die höhere Besteuerung von Vermögenden und höheren Einkommen – ausfinanziert werden. Stattdessen werden in der Pflege die Eigenanteile weiter steigen und die Kluft zwischen denjenigen, die sich Pflege leisten können oder auch nicht, vergrößern.

Nur die Spitze des Eisbergs

Beim Paritätischen Gesamtverband geht man davon aus, dass man in der Öffentlichkeit mit Blick auf Schließungen oder eingeschränkte Angebote «nur die Spitze des Eisbergs» zu sehen bekommt, sagt Rock. «Einrichtungen gehen nicht unbedingt an die Öffentlichkeit, wenn sie ihr Angebot einschränken, denn sie wollen nach außen zeigen, dass sie ein hohes Maß an Qualität vorhalten.» Der Wohlfahrtsverband will deswegen, wenn etwas mehr Zeit vergangen ist, mit weiteren Umfragen für Überblick sorgen, wie Energiepreisebremsen und Härtefallhilfen ankommen.

Klar ist: Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten treffen viele Einrichtungen und Kommunen in einer bereits seit Jahren problematischen Lage, die sich mit Corona oder auch der Flutkatastrophe im Ahrtal noch einmal verschärft hat. So ist der Investitionsrückstand aller Kommunen laut KfW-Kommunalpanel 2022 zuletzt noch einmal um rund zehn Milliarden Euro auf insgesamt 159 Milliarden Euro angewachsen. Kommunen, die wirtschaftlich gut dastehen, dürften ihren sozialen oder kulturellen Einrichtungen einfacher auch mit eigenen Zuschüssen jenseits möglicher Bundes- und Länderhilfen unter die Arme greifen. Doch dort, wo seit Jahren rote Zahlen geschrieben werden, ist Hilfe schwierig.

Neben einer anderen Steuerpolitik des Bundes, die auch eine konsequente Abschöpfung der in der Krise erzielten Übergewinne notwendig macht und wovon derzeit nicht die Rede sein kann, wäre deswegen endlich eine sinnvolle Altschuldenregelung für betroffene Kommunen und ein Umbau ihrer Finanzierungsgrundlage sowie eine andere Finanzausstattungen für Einrichtungen der sozialen Daseinsvorsorge vonnöten. Doch es sieht eher danach aus, dass die Inflation die bereits tiefen sozialen Spaltungen weiter verschärft.