Martina Renner ist Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion im Bundestag. Über das Bedrohungspotential des Rechtsextremismus für die Demokratie in Deutschland sprach mit ihr Anika Taschke, Referentin Neonazismus und Strukturen / Ideologien der Ungleichwertigkeit der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Anika Taschke: Im Dezember wurde das sogenannte Reichsbürgernetzwerk enttarnt. Was genau ist geschehen?
Martina Renner: Der Generalbundesanwalt, das ist der oberste Ermittler der Bundesrepublik Deutschland hat gegen über 50 Beschuldigte Durchsuchungsmaßnahmen durchgeführt. 23 davon sind in Haft gekommen. Diesem Netzwerk, Patriotische Union wird das genannt, wird vorgeworfen einen rechten Umsturz, einen Staatsstreich, geplant zu haben. Wie genau ist unklar, aber man habe wohl Geld und Waffen beschafft, um zum Beispiel auch in den Bundestag vorzudringen, Abgeordnete zu entführen und die Regierung unter Druck zu setzen. Aber auch von Liquidationen ist die Rede.
Welche Akteure stecken denn hinter dem Netzwerk?
Bei diesem Netzwerk sehen wir alle Akteure, die wir in den Rechtsterrorverfahren und -ermittlungen der letzten Jahre haben. Darunter aktive Polizisten und Soldaten aber es gibt auch Verbindungen zu Alternative für Deutschland (AfD). Insbesondere ist hier eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete hervorzuheben. Es gibt aber darüber hinaus Bezüge zur Reichsbürgerszene und denjenigen, die während der Corona-Pandemie gegen die Maßnahmen auf die Straße gegangen sind und sich darüber radikalisierten. Das Ganze ist stark untersetzt mit Bezügen in die extreme Rechte und antisemitischen Verschwörungstheorien.
Wir haben es mit Akteur*innen der bürgerlichen Mittelschicht zu tun. Die haben Geld, Familie, Haus und Ansehen und sind bereit das alles aufzugeben, weil sie an ein Untergangsszenario glauben.
Gibt es ein aktives Verhältnis zwischen den jetzt festgenommenen Personen und der AfD?
Unter den Festgenommen ist eine ehemalige Bundestagsabgeordnete der AfD und mindestens zwei weitere Personen, die gegenwärtig oder in der Vergangenheit bei der AfD aktiv waren bzw. sind. Eine weitere – der Waffenhändler – spendete in der Vergangenheit an die AfD. Die Verbindungen der AfD in diese Rechtsterrorstrukturen sind so offensichtlich wie naheliegend.
Was sind Reichsbürger und welche ideologischen Elemente lassen sich bei ihnen finden?
Zuallererst ist zu sagen, dass die sogenannten Reichsbürger kein neues Phänomen der extremen Rechten sind. Sie gibt es seit vielen Jahren. Sie glauben daran, dass die Bundesrepublik Deutschland illegitim sei und von fremden Mächten beherrscht werde, die im Ausland sitzen. In der Erzählung einer sogenannten geheimen Weltregierung ist die deutsche Bundesregierung nur eine Marionette. Wichtig ist, dass diese Erzählung antisemitische Elemente hat indem oft von einer jüdischen Weltverschwörung gesprochen wird. Reichsbürger glauben außerdem daran, dass das Deutsche Reich weiterhin existiert – nicht die heutige Bundesrepublik. Dabei behaupten sie, dass der Staat also illegitim sei und die Interessen der Bevölkerung verrät. Wenn sie von Bevölkerung sprechen, steht dahinter die völkische Idee einer deutschen Blutsgemeinschaft. Der Bundesregierung unterstellen sie, absichtsvoll den Untergang des Volkes durch Migration herbeiführen zu wollen, aber auch durch Impfungen oder Sanktionen gegen Russland. Die Themen sind dabei austauschbar. Hier kommen Revisionismus als Teil völkischen Denkens und Autoritarismus zusammen. Das Motiv bleibt dabei dasselbe: Die Ablehnung von Demokratie und das Herbeiführen eines Führerstaats.
In der Berichterstattung um die Razzia des «Reichsbürgernetzwerkes» wird immer wieder der «Tag X» hervorgehoben. Was steckt hinter dem Begriff «Tag X»?
«Tag X» bezeichnet den Moment des staatlichen und gesellschaftlichen Zusammenbruchs. Wichtig ist hier, dass wir es nicht in erster Linie mit Vorbereitungen auf einen solchen Tag zu tun haben, sondern mit Versuchen, diesen Tag aktiv herbeizuführen. Der Tag X ist Symbol für das vermeintliche Scheitern von Demokratie und Rechtsstaat und für die Notwendigkeit eines gewalttätigen rechten Putsches. Dabei nimmt man jene Menschen und Institutionen in den Blick, die sich ggf. einem Putsch in den Weg stellen: Linke, Journalist*innen, Abgeordnete, Rundfunkhäuser etc. Für diese Szenarien, das heißt Vernichtungsphantasien, fertigen die Rechten Feindeslisten an. Auf denen stehen dann insbesondere diejenigen, die sich gegen Rechts engagieren.
Der Tag X aber auch die Feindeslisten sind in rechten Anschlagsplänen allerdings nicht neu. Wir kennen beide Elemente historisch aus dem deutschen Faschismus, aber auch wenn wir in die Zeit nach 1945 schauen spielt er eine Rolle. Beispielsweise in Organisationen wie dem Bund Deutsche Jugend oder der Wehrsportgruppe Hoffmann.
Der Elitesoldat Franco Albrecht plante beispielsweise einen Anschlag unter «falscher Flagge». Das heißt, dass er sich als syrischer Geflüchteter ausgab und Terroranschläge verüben wollte um eine Art «Tag X» herbeizuführen. Die Gruppe S plante Anschläge auf Moscheen. Beide wollten destabilisieren indem sie Geflohenen oder Muslimen die Schuld an diesen Attentaten zuschieben wollten. Andere Gruppen wiederrum wollen die Stromversorgung attackieren um Blackouts herbeizuführen. Das «wie» ist also unterschiedlich. Aber das Ziel ist gleich: Tag X, Umsturz und Machtergreifung.
Du hast bereits erwähnt, dass auch bei den festgenommen Personen Angehörige staatlicher Institutionen dabei waren. Wie ist es möglich, dass rechte Ideologie und damit auch rechte Strukturen gerade in diesen Institutionen verankert sind?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen gibt es immer noch eine unsägliche Traditionspflege, insbesondere in Teilen der Bundeswehr, die ungebrochen an das Selbstbild, die Feindbilder oder auch Mythen und Ideologieelementen des Nationalsozialismus anschließt. Zum anderen ziehen Polizei und Bundeswehr halt auch bestimmte Leute an. Beide sind keineswegs Spiegel der Gesellschaft wie es oft heißt. Stattdessen sind Polizei und Bundeswehr weißer, männlicher und autoritärer als der gesellschaftliche Durchschnitt. Auch spielen insbesondere die Eliteeinheiten wie das KSK eine wesentliche Rolle. Der Kult des Elitären befördert antidemokratische Tendenzen und die Abschottung gegen öffentliche und demokratische Kontrolle.
Zum Beispiel haben die Fallschirmjäger die Tradition aus dem Nationalsozialismus übernommen, die Elite der Armee zu sein, die sich aufopfert auch im aussichtslosen Kampf – im Einsatz für das Volk. Märtyrertum und heroische Gesten können fortbestehen, weil diese Strukturen, wie Bundeswehr oder Polizei, nicht demokratisch organisiert sind. Es kaum eine Fehlerkultur, das heißt, dass Menschen die dagegen opponieren, mundtot gemacht werden.
Dabei spielt auch der Antikommunismus bis heute eine große Rolle. Er kommt zwar nicht mehr so historisch-traditionell daher, wie vielleicht noch in den 1980iger Jahren. Aber es ist weiterhin vorherrschende Meinung, dass man bereit sein muss, gegen den inneren Feind zu kämpfen. Und dieser innere Feind wird weiterhin links gesehen. Das ist die erschreckende Ausgangslage. Was mich bei aller Analyse allerdings auch überrascht hat, muss ich ehrlich gesagt zugestehen, ist, dass wir mittlerweile rechtsextreme Vorfälle auch in Bereichen haben, wo ich sie nicht erwartet habe. Zum Beispiel im Bundeskriminalamt. Dort gibt es eine Einheit, die für den Schutz von Abgeordneten bei Auslandsreisen und von Staatsgästen zuständig ist. Es handelt sich um eine kleine Einheit, aber die Ermittlungs- und Disziplinarverfahren haben sich auf die Mehrheit der dort eingesetzten Beamten bezogen. Wir reden hier also nicht von einer Person unter zwanzig Personen, sondern eher von 11 unter 16.
Hat sich deiner Meinung nach das Problem rechter, bewaffneter Akteur*innen in den staatlichen Institutionen in den letzten Jahren verändert?
Mein Eindruck ist, dass sich das Problem verschärft hat. Einmal, weil wir einen sowieso starken Rechtstrend in der Gesellschaft haben und damit auch in den Institutionen. Das männliche, weiße Elitendenken aber auch das Bewaffnet-sein und Uniform tragen, trägt erheblich dazu bei. Zum anderen glaube ich, dass es inzwischen auch ein organisiertes Nutzen dieser Strukturen gibt – sprich ein Organisieren innerhalb der Bundeswehr und der Polizei. Das markiert einen Unterschied zu den 1990er Jahren. Der Angriff von Innen wird gerade organisiert. Die Gefahr ist, dass wenn die Zuständigen in der Politik und in den Behörden das nicht erkennen, wir in gefährliche Situationen kommen können. Es kann sein, dass Einzelne aus diesen Kontexten heraus zur Tat schreiten.
Nimmt der Rechtsterrorismus ausschließlich Institutionen in den Blick oder gibt es auch gruppenbezogene terroristische Anschläge?
Worüber wir gerade sprachen ist das «Tag X – Szenario». Das heißt natürlich nicht, dass es Rechtsterror gegen Minderheiten, rassistischen und antisemitischen Rechtsterror nicht mehr gibt. Den gibt es weiterhin und das ist der Terror bei dem wir Tote zu beklagen haben in der Bundesrepublik. Ich sehe Schnittmengen von rassistischem Rechten Terror und dem «Tag X-Terror». Im Moment würde ich die Gefahr sehr hoch einschätzen, dass wir ähnlich wie in den 1990er Jahren, aus den erneuten rassistischen Mobilisierung eine Situation bekommen, wo insbesondere tätliche Angriffe auf Geflohene und ihre Unterkünfte wieder zunehmen werden. Da wird es Überschneidungen geben zu dem Kreis, über den wir hier gesprochen haben. Hier müssen insbesondere auf regionaler Ebene rechte Strukturen in den Blick genommen werden. Diese organisieren sich in erster Linie über das Thema Rassismus – getarnt als Bürgerwehren oder Bürgerinitiativen.