Kommentar | Wirtschafts- / Sozialpolitik - Koalition ohne Fortschritt - Verteilungskrise Die Ampel im FDP-Modus

Der neue Haushalt sieht Kürzungen vor allem im Sozial- und Bildungsbereich vor und bremst dringend benötigte Investitionen aus.

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Autorin

Eva Völpel,

Christian Lindner bei der Bundespressekonferenz zum Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2024 und den Finanzplan bis 2027. Berlin, 5.7.2023
«Die Zeit der Wünsche ist vorbei.»
Der Finanzminister diktiert der Ampel seine ideologisch verblendete Finanzpolitik. Christian Lindner bei der Bundespressekonferenz zum Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2024 und den Finanzplan bis 2027. Berlin, 5.7.2023, Foto: IMAGO / Future Image

Wer es angesichts von zu niedrigen Bürgergeldsätzen, Kinderarmut, unterfinanzierten Kommunen, maroden Schienen, Personalnot in Kitas und Schulen, verarmten Studierenden und allgemein dem zu langsamen Umbau der Gesellschaft trotz des Klimawandels noch nicht mitbekommen hat: «Die Zeit der Wünsche ist vorbei.» So jedenfalls sieht es Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Neben einigem ökonomischem Unsinn, in einem Gastbeitrag für die FAZ verkündet («Mit geliehenem Geld lässt sich auf Dauer ohnehin kein Wachstum erzeugen»), steckt er in seinem Text auch die Richtung für die nächsten Jahre ab: «Der Haushalt 2024 ist Teil der finanz- und wirtschaftspolitischen Zeitenwende, bei der wir erst am Anfang stehen.» In der Tat stehen wir vor einer verschärften Sparpolitik (die Lindner narrativ als «Rückkehr zu finanzpolitischen Normalität» darstellt), wie auch die Ausblicke des Bundesfinanzministeriums auf die Jahre nach der aktuellen Legislatur zeigen. Doch der Reihe nach.

Selbst arbeitgebernahe Ökonomen attestieren eine verfehlte Sparpolitik

Eva Völpel arbeitet am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung als Referentin für Wirtschaftspolitik.

Im kommenden Jahr will die Ampel rund 30 Milliarden Euro weniger ausgeben als in 2023, die Gesamtausgaben sollen von rund 476 Milliarden auf rund 446 Milliarden Euro schrumpfen. Für die Jahre 2025 bis 2027 sind zwar wieder etwas größere Etats vorgesehen, allerdings erreichen sie nicht das Niveau von 2023. Nun mag man einwenden, dass 2023 angesichts von Preiskrise und Inflation viele unvorhergesehene Ausgaben (Stichwort Entlastungsmaßnahmen) anfielen, die sich künftig erledigen. Die Inflationsrate soll in 2024 laut Prognosen wieder bei etwas über zwei Prozent liegen. Doch sind weder die sozialpolitischen Folgen der Preiskrise genügend aufgefangen noch wird von der Ampel angesichts der Klimakrise und weiterer Herausforderungen ausreichend in dringend benötigte Umbauprojekte geschweige denn in den erforderlichen Ausbau des Sozialstaats investiert. Selbst unverdächtige Stimmen wie Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft, kritisieren deswegen Lindners Sparkurs mit Blick auf die Investitionsfrage als verfehlt. Hüther plädiert dafür, den Klima- und Transformationsfonds, der bis 2026 Ausgaben in Höhe von rund 177 Milliarden Euro vorsieht, deutlich auf 400 bis 500 Milliarden aufzustocken – als rechtlich eigenständiges, temporäres und zweckgebundenes Sondervermögen für Investitionen in Klimatransformation und Digitalisierung. Damit würde das Geld, wie die zusätzlichen 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, nicht den Regeln der Schuldenbremse unterliegen.

Priorität der Ampel? Schuldenbremse einhalten!

Damit sind wir bei Lindners Lieblingsprojekt, das faktisch die gesamte Ampel teilt: Die erneute Einhaltung der Schuldenbremse ab 2023, die 2022 aufgrund einer verfassungsrechtlich begründbaren Notsituation noch ausgesetzt war. Diese Ausnahmeregelung hätte man in 2023 erneut nutzen können, stellte selbst der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Ende 2022 fest, auch auf EU-Ebene sind die Fiskalregeln in 2023 noch ausgesetzt. Doch Lindner hatte früh klargemacht, dass er die Schuldenbremse wieder einhalten will und auch Umgehungskonstruktionen wie neue oder aufgestockte Sondervermögen mit ihm nicht zu machen sind. Auch Steuererhöhungen für Besserverdienende schließt er kategorisch aus – und hat sich damit im Koalitionsvertrag weitgehend durchgesetzt.

Wegen dieser politisch gesetzten Sachzwänge wird die Aufnahme neuer Kredite nun deutlich zurückgefahren: Von 45,6 Milliarden Euro in 2023 auf 16,6 Milliarden in 2024. In den folgenden Jahren soll der Betrag weiter sinken, bis auf 15 Milliarden Euro 2027.

Das alles trotz eines enormen Investitionsstaus[1], während die USA mit dem Inflation Reduction Act Milliarden für industriepolitische Förderung und Klimaschutzmaßnahmen bereit stellen und die chinesische Wirtschaft im großen Tempo Marktanteile zulasten deutscher Automobilhersteller ausbaut. Noch dazu schwächelt die deutsche Wirtschaft und hat das Wachstumsniveau aus der Zeit vor der Pandemie noch nicht wieder erreicht. Zwar geht die Bundesregierung für 2023 noch von einem geringen Wachstum von 0,4 Prozent aus, etliche Wirtschaftsforschungsinstitute sagen für 2023 aber ein Minuswachstum voraus. Und die Auswirkungen der Hochzinspolitik der EZB – abgebremste Konjunktur, steigende Arbeitslosigkeit – sind in voller Breite noch gar nicht angekommen, da sie sich erst mit einiger zeitlicher Verzögerung zeigen. Da die Ampel – statt mit ausreichenden Investitionen die Wirtschaft anzukurbeln – lieber auf den Beginn der Sparwende setzt, ist auch fraglich, ob sich Lindners optimistische Steuerprognosen für die folgenden Jahre bewahrheiten. Fallen die Einnahmen niedriger aus, wird das den Sparkurs absehbar verschärfen.

Politisch und bilanztechnisch gemachte Haushaltsprobleme

Lindners ideologisch motivierter Sparkurs zeigt sich vor allem dann, wenn man auf die finanziellen Alternativen schaut, die es gegeben hätte. Achim Truger weist darauf hin, dass durch die Rückkehr zur Schuldenbremse in 2023 Rücklagen in Höhe von 40,5 Milliarden Euro aufgebraucht werden müssen, die nun in den Folgejahren nicht mehr zur Verfügung stehen. Zudem sorgt das in 2022 verabschiedete Inflationsausgleichsgesetz mit dem Abbau der kalten Progression, von der vor allem Besserverdienende überproportional profitieren, für erhebliche Steuermindereinnahmen. Hätte man diese Entlastungsmaßnahme angesichts der Inflation nur auf niedrigere und mittlere Einkommen fokussiert, hätten weitere sechs Milliarden Euro, insgesamt also 46,5 Milliarden Euro, für den Haushalt in 2024 oder in den Folgejahren zur Verfügung gestanden, so Truger.

Es gibt noch andere Stellschrauben, auf die die Koalition verzichtet bzw. die der Finanzminister gezielt für seine Stimmungsmache in der Haushaltsdebatte nutzt. So geht Lindner seit geraumer Zeit damit hausieren, dass sich die Zinsbelastungen des Bundes aufgrund der Zinswende der EZB innerhalb kurzer Zeit verzehnfacht hätten, von vier Milliarden Euro in 2021 auf 40 Milliarden Euro in 2023 (im Haushaltsentwurf stehen für 2024 nun 37 Milliarden Euro Zinskosten). Das klingt einigermaßen dramatisch, geht allerdings auf mittelalterliche Buchungsregeln zurück, die selbst der wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium aber auch die Bundesbank kritisieren. Kurz gesagt verbucht das Finanzministerium derzeit Auf- oder Abschläge auf Staatsanleihen jeweils komplett im Ausgabejahr, statt über die gesamte, mehrjährige Laufzeit der Anleihe (siehe dazu ausführlicher hier). Würden die Buchungsregeln umgestellt, könnte der Bundeshaushalt 2024 laut Truger um zehn Milliarden Euro entlastet werden.[2] Ebenso uneingelöst ist das im Koalitionsvertrag festgehaltene Vorhaben, das sogenannte Konjunkturbereinigungsverfahren der Schuldenbremse zu reformieren. Kritiker*innen monieren schon länger, dass in der Berechnung der Schuldenobergrenze konjunkturelle Krisen und Aufschwünge nicht angemessen erfasst werden, so dass in einer Stagnation oder Rezession der Spielraum für neue Kredite zu niedrig ausfällt. Eine Reform hätte laut Truger rund fünf Milliarden Euro mehr für den Haushalt 2024 ergeben. Zählt man all diese Posten zusammen, kommt man auf 61,5 Milliarden Euro, die für den Haushalt 2024 oder die Folgejahre zur Verfügung gestanden hätten.[3]

FDP und SPD blockieren Vereinbarung des Koalitionsvertrags

Erhebliches Potenzial gibt es auch in der Frage, umweltschädliche Subventionen abzubauen. Die Ampel hatte sich darauf im Koalitionsvertrag verständigt, die Grünen forderten im Zuge des Haushaltsstreits erneut, die Pendlerpauschale, das Dienstwagenprivileg oder Subventionen für den Flugverkehr um- bzw. abzubauen. Ähnlich sieht es der Sachverständigenrat. Laut Monika Schnitzer, Vorsitzende des Rats, könnten die Abschaffung der Steuervergünstigungen für Kerosin und internationale Flüge, für Diesel sowie für die steuerliche Begünstigung von privat genutzten Dienstwagen jährlich 30 Milliarden Euro einsparen. Doch auch in der Frage geht es aufgrund der Blockaden von FDP und SPD nicht voran. Es ist nicht die einzige Baustelle. So stemmt sich Lindner auch dagegen, nicht verbrauchte Mittel aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds für andere Ausgaben einzusetzen. Zudem ist bisher auch die im Koalitionsvertrag vorgesehen Möglichkeit, die staatseigene Deutsche Bahn AG mit – schuldenbremsenneutral zu nutzenden – Kreditermächtigungen auszustatten, bisher von der Ampel nicht genutzt worden. Stattdessen werden immer mehr Finanzierungsaufgaben dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) zugeordnet, der Robert Habeck untersteht. So soll laut Haushaltsentwurf nun geprüft werden, ob 15 Milliarden Euro für die Bahn aus dem Topf kommen. Die Finanzierung der rund zehn Milliarden Megasubventionen für Intel ist bereits in den KTF verschoben, zusätzliche Ansiedlungshilfen für weitere Chipfabriken könnten folgen. Der KTF ist der Fonds, aus dem maßgeblich die Klimatransformation gestemmt werden muss. Über ihn soll die Förderung für die gerade in Gesetz gegossene, vergeigte Heizungsenergiewende laufen – aber noch etliche große Posten mehr.

Die Ampel im FDP-Modus: Öffentliche Investitionen kleinhalten und weniger Sozialausgaben

Die Weigerung der FDP, die aufgeführten finanziellen Spielräume zu nutzen spricht dafür, dass Lindner auf Teufel komm raus die disziplinierende Rhetorik der angeblich bedrohlich gewachsenen Staatsverschuldung einsetzen will, um wirtschaftsliberale Kernvorhaben durchzusetzen: Öffentliche Investitionen kleinhalten und weniger Sozialausgaben. Darunter müssen wieder einmal die Ärmsten und Verwundbarsten in dieser Gesellschaft leiden. Aber auch wirtschaftspolitisch schadet Lindners Politik dem «Standort Deutschland», für den die Liberalen doch angeblich Politik machen wollen (das zeigt sich auch bei der ablehnenden Haltung von FDP und Bundeskanzler Scholz in der Frage eines subventionierten Industriestrompreises).

Sparen bei den Armen, Griff in die Sozialkassen

Wie schlank die Ampel den Haushalt bei entscheidenden Posten aufstellt, dazu ein paar Beispiele. Die Kindergrundsicherung bekommt statt 12 Milliarden Euro, wie es die Bundesfamilienministerin gefordert hatte, nur zwei Milliarden im Jahr 2025. Und das auch nur als «Merkposten», wie Lindner betont. Ein angebliches Herzensanliegen der Grünen – nicht nur eine bessere Verzahnung der sozialpolitischen Leistungen für finanziell benachteiligte Kinder, sondern auch deutlich mehr Geld für sie –, wäre damit bitter gescheitert. Zur Erinnerung: Die Armut ist als Folge der Pandemie zuletzt im Rekordtempo angestiegen, von 15,9 (2019) auf 16,9 Prozent (2021). 840.000 mehr Menschen sind seither unter die Armutsschwelle gerutscht, 21,3 Prozent oder rund drei Millionen Kindern leben in Armut. Lindner kontert Kritik daran unter anderem mit dem bei Liberalen so beliebten Verweis auf Projekte für mehr Bildungsgerechtigkeit, konkret: Mit dem Startchancen-Programm. Dafür will der Bund 4.000 Schulen in 2024 Geld für bessere Infrastruktur, ein «Chancenbudget» und mehr Sozialarbeiter*innen geben. Allerdings hat die Ampel auch dafür die Gelder gekürzt. Ursprünglich waren eine Milliarde Euro jährlich vorgesehen, jetzt sollen in 2024 nur 500 Millionen Euro fließen. Gerade einmal 2.400 von über 15.000 Grundschulen sollen aus dem Programm Gelder erhalten. Das ist nicht nur zu wenig, solche Projekte ersetzen auch keine angemessene Sozialpolitik für Familien und Kinder in Armut. Zudem zeigt sich auch hier wieder, wie wirtschaftspolitisch dysfunktional die Ampel agiert. Sie lässt es zu, dass ein Teil der uns nachwachsenden Generation systematisch sozialpolitisch vernachlässigt wird – und unterspült damit trotz demografischen Wandels die gute Qualifikation und Motivation dringend benötigter Beschäftigter und Fachkräfte von morgen.

Ebenso beim finanziellen Existenzminimum für die etwas Älteren, an dem gespart wird. So soll es 2024 rund 440 Millionen Euro weniger BAföG für Studierende und rund 210 Millionen Euro weniger für Schüler*innen geben. Zwar soll sich an der Höhe der existierenden BAföG-Sätzen nichts ändern – aber für den dringend benötigten Ausbau der Leistung angesichts von Inflation, Mietpreiskrise und rund einer Million prekär lebender Studierender ist nichts vorgesehen. Das Bundesverwaltungsgericht wertet die BAföG-Höhe mittlerweile als verfassungswidrig. Die Höhe sei nicht vereinbar mit dem Teilhaberecht auf gleichberechtigten Zugang zu staatlichen Ausbildungsangeboten. Der Fall liegt nun dem Bundesverfassungsgericht vor.

Kürzungen treffen auch die Etats zur Vermittlung von Arbeitslosen. Bereits von 2022 auf 2023 sank der Etat für Eingliederungshilfen im Bürgergeld um 300 Millionen Euro, nun soll es im kommenden Jahr noch einmal 400 Millionen Euro weniger geben. Noch dazu wächst das Budget für die Verwaltungskosten der Jobcenter kaum, aber Inflation und Tarifabschlüsse treiben die Ausgaben hoch. Die Jobcenter schichten deswegen schon jetzt Gelder aus der Eingliederungshilfe in hohem Umfang in Verwaltungskosten um, im laufenden Jahr etwa eine halbe Milliarde Euro.

Auch bei den Posten Gesundheit und Pflege wird gespart. Die Pflegekasse soll eine Milliarden Euro weniger erhalten, der Bundeszuschuss zur gesetzlichen Krankenkasse wird eingefroren statt ihn zu dynamisieren – und das bei einem geschätzten Defizit der Kassen von rund sieben Milliarden Euro in 2024. Auch der Bundeszuschuss zur Rentenkasse soll ab 2024 jährlich um 600 Millionen Euro sinken. Bei einer steigenden Zahl von Rentner*innen und angesichts des sinkenden Rentenniveaus bräuchte es aber – neben weiterer rentenpolitischer Stellschrauben – mehr Steuerfinanzierung für die Rentenkasse.

Verkehrswende? Rückschritte statt Fortschritte

Der Haushalt für 2024 zeigt darüber hinaus deutliche Rückschritte in Sachen Verkehrswende. Zwar hatte sich die Ampel im Koalitionsausschuss Ende März noch dazu bekannt, der Bahn bis Ende 2027 45 Milliarden Euro zusätzlich für Sanierung und Ausbau der Schiene zur Verfügung stellen. Allerdings koppelte die Bundesregierung diesen Posten an eine entsprechende Haushaltslage. Die Folge: Bisher ist wohl allenfalls die Hälfte der Summe, die zum Teil über LKW-Mauteinnahmen eingespielt werden soll, gesichert. Auch deswegen nimmt die Ampel nun wie erwähnt den KTF in den Blick, um einen Teil der Gelder vorbei am regulären Haushalt zu mobilisieren.

Und damit nicht genug des Elends, stehen beim Radverkehr drastische Kürzungen an. Nur noch rund 400 Millionen Euro Investitionen sind vorgesehen, damit haben sich die Mittel gegenüber 2022 (750 Millionen Euro) fast halbiert, 2023 lag der Posten noch bei 560 Millionen Euro. Vor allem die Finanzhilfen für Länder und Kommunen sinken deutlich auf rund 260 Millionen Euro.[4] Dabei hatte die Verkehrsministerkonferenz der Länder den Bund im Frühjahr 2022 dazu aufgefordert, bis 2030 jährlich eine Milliarde Euro für den Ausbau der Radwegenetze bereit zu stellen, um die Klimaziele zu erreichen. Stattdessen fließt im neuen Haushalt viel Geld in fossile Energieträger. So wird der Posten für Flüssiggasterminals um fast 900 Millionen Euro erhöht – während Experten warnen, dass die geplanten LNG-Kapazitäten den klimakompatiblen Bedarf überschreiten und fordern, dass Reservekapazitäten in Nicht-Krisenzeiten regulatorisch eingeschränkt werden. Geschieht das nicht, zementieren wir auf Jahre hinaus das fossile Energiesystem. Vielmehr: Wir scheinen bereits mitten on the road to ...

Geld für humanitäre Hilfe sinkt, Militäretat wächst

Ernüchternd fällt auch die Bilanz beim Thema internationale Krisenhilfe aus. Trotz wachsender Armut und Flüchtlingskrisen werden die Mittel des Auswärtigen Amtes für humanitäre Hilfsmaßnahmen im Ausland in 2024 um rund eine Milliarde Euro gekürzt. Auch der Krisentopf des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit bekommt 2024 rund 277 Millionen Euro weniger. Es lässt sich festhalten: Für Sozial- und Bildungspolitik, für klimapolitisch sinnvolle Verkehrspolitik und für humanitäre Hilfen wird das Geld zusammengestrichen (es ließen sich weitere Beispiele finden). Gleichzeitig sprudeln die Mittel für Militär und Rüstung. So soll das Bundesverteidigungsministerium in 2024 1,7 Milliarden Euro mehr erhalten, bis 2027 soll der reguläre Etat auf insgesamt 7,3 Milliarden Euro anwachsen. Dazu kommen in 2024 rund 19 Milliarden Euro aus dem 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr.

Höhere Sozialbeiträge statt höhere Steuern für die Reichen

Christian Lindner feiert sich gerne für seinen Erfolg, dass es keine Steuererhöhungen gibt. Was er allerdings verschweigt: Teurer wird es trotzdem – allerdings nicht für die Besserverdienenden bzw. Vermögenden. Da die Ampel durch ihren Haushalt die Sozialkassen unter Druck setzt, werden steigende Abgaben die Folge sein, sowohl in der Pflegekasse (für die die Beiträge gerade zum 1. Juli angehoben wurden), als auch in der gesetzlichen Krankenkasse (wo viele Kassen bereits Anfang des Jahres die Zusatzbeiträge angehoben hatten). Die Folgen eines restriktiven Haushalts auf die Sozialkassen abzuwälzen, belastet vor allem untere und mittlere Einkommen. Denn über die Beitragsbemessungsgrenzen, die Lindner trotz zaghafter Forderungen von SPD und Grünen nicht anheben will, sind die Beiträge für Besser- und Hochverdiener*innen gedeckelt.

Teurer wird es absehbar auch, weil die Ampel die CO2-Abgabe auf fossile Heiz- und Kraftstoffe erhöhen will. Diese regulär geplante Anhebung war im Zuge von Krieg und Energiepreiskrise ausgesetzt worden. Nun soll sich der Aufschlag zum 1. Januar 2024 vermutlich von 30 Euro pro Tonne auf 45 Euro erhöhen.[5] Die Preiserhöhungen für Kraftstoffe oder das Heizen fallen damit zwar nicht dramatisch aus, stellen für Haushalte mit niedrigen Einkommen aber dennoch ein Problem dar. Daneben könnten die Netzentgelte zum Jahreswechsel steigen, da den Betreibern für den Ausbau der Netzte eine höhere Rendite gewährt werden soll, wie die Bundesnetzagentur fordert.[6] Blickt man auf diese Entwicklungen, wird deutlich, wie grob fahrlässig es ist, dass die Ampel das im Koalitionsvertrag gesetzte Klimageld nicht angeht. Sowohl verteilungspolitisch als auch für die Akzeptanz weiterer klimapolitischer Maßnahmen angesichts wachsender Stimmungsmache von Rechten und Konservativen gegen Klimaschutzmaßnahmen braucht es dringend einen sozialen Ausgleichsmechanismus.

Und natürlich muss vor allem der Kampf gegen die Schuldenbremse und für eine Umverteilung des Reichtums von oben nach unten stärker auf die Tagesordnung gesetzt werden. Die Partei DIE LINKE hat im Juli ihre Kampagne «Umsteuern – holen wir uns den Reichtum zurück» gestartet. Es ist wichtig, diese Kampagne gemeinsam zu einem Erfolg zu machen, in der Öffentlichkeit das verteilungspolitische Profil der LINKEN zu stärken und Druck zu machen für eine andere Politik. Denn der Finanzminister stimmt im aktuellen Haushaltsentwurf schon deutlich darauf ein, wohin die Reise noch gehen soll. Der «eingeleitete haushalts- und finanzpolitische Priorisierungsprozess» sei eine dauerhafte Aufgabe. Lindner erinnert dafür auch an die Tilgungen, die in den nächsten Jahren anstehen: Ab 2028 der Kredite, die der Bund bei der Aussetzung der Schuldenbremse 2020 bis 2022 aufgenommen hatte (Tilgung von rund 12 Milliarden Euro jährlich), ab 2031 der Kredite des Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds Energie und des Sondervermögens der Bundeswehr. Gelingt der gesellschaftlichen Linken gegen diese Haushalts- und Steuerpolitik kein kraftvoller Druck von unten, laufen wir in eine weitere Zuspitzung der verteilungspolitischen Situation – mit entsprechenden Folgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Vertrauen in die Demokratie.


[1] Lindner verweist darauf, dass die Investitionen 2024 mit 54,2 Milliarden Euro deutlich höher lägen als 2019 (38,1 Milliarden Euro). Aber schon damals war die Investitionsquote nicht ausreichend. Gegenüber 2019 gibt es allein für 2024 einen Mehrbedarf von rund 100 Milliarden Euro, haben Philippa Sigl-Glöckner et al. berechnet.

[3] Philippa Sigl-Glöckner et al. weisen in einer sehr lesenswerten Analyse des neuen Budgets auf weitere bisher ungenutzte Haushaltsmittel hin.

[4] Wie mit brachialer Gewalt schon eingeleitete Radwegeprojekte und Pläne für den weiteren Radwegeausbau abgeräumt werden, zeigt derzeit ganz praktisch der CDU-SPD-geführte Senat in Berlin.

[5] Die Erhöhung auf 45 Euro scheint noch nicht ganz sicher, dass die Erhöhung kommt, allerdings schon. Es steht ausdrücklich im Haushaltsentwurf des Bundesfinanzministeriums. Was Lindner nicht daran hinderte, die Erhöhung trotzdem erst einmal zu dementieren

[6] Die Bundesnetzagentur begründet das mit den gestiegenen Kapitalmarktzinsen. Die machten es für die Energieunternehmen lukrativer, das Geld für mehr Profit anzulegen, statt es in den dringend benötigten Ausbau der Erneuerbaren zu stecken. Diese Ankettung an die Logik des zuerst und immer zu erfüllenden Renditeziels zeigt wie unter dem Brennglas, dass zentrale Umbauprojekte der sozial-ökologischen Transformation dringend gemeinwohlorientiert umgesetzt und dem Markt entzogen gehören. Dazu zählt der Auf- und Ausbau des auf eine klimapolitisch Energiewende ausgerichteten Energienetzes bzw. der wichtigen Infrastrukturen für unsere zukünftige Energieversorgung.