Erklärung des Vorsitzenden des Vorstands der Rosa-Luxemburg-Stiftung Heinz Bierbaum und der Geschäftsführerin der Rosa-Luxemburg-Stiftung Daniela Trochowski zum Krieg in Israel und Palästina:
Knapp 120 Tage sind seit dem Überfall der Hamas auf Israel vergangen – einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit über 1200 Toten und mehr als 200 Entführten. Diesem Verbrechen der Hamas folgen seitdem unerbittlich andauernde Bombardierungen Israels im Gazastreifen, inklusive einer Bodenoffensive. Dies bedeutet fast vier Monate von immensem menschlichen Leid, unbegreiflicher Zerstörung sowie schwerwiegender Völker- und Menschenrechtsverbrechen der israelischen Armee. Über 26.000 Palästinenser*innen hat dieser Krieg in Gaza bisher das Leben gekostet, die überwiegende Mehrheit davon unschuldige Frauen und Kinder. Tausende weitere Tote werden unter den Trümmern vermutet, eine ganze Bevölkerung ist traumatisiert. 1,9 von 2,2 Millionen Bewohner*innen des Gazastreifens sind auf der Flucht und leben überwiegend in Zeltstädten, nachdem fast 65 Prozent der zivilen Infrastruktur im bereits zuvor kaum noch bewohnbaren Gazastreifen zertstört wurden. Die Folge ist eine humanitäre Katastrophe ungeahnten Ausmaßes, Krankheiten und Hunger breiten sich aus.
Führende rechte Politiker*innen in Israel rufen offen zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Gaza auf, Regierungsmitglieder befürworten eine Vertreibung der Bevölkerung Gazas ins benachbarte Ägypten mit der Absicht, in Gaza völkerrechtswidrige israelische Siedlungen zu errichten. Während die israelische Bevölkerung mit dem kollektiven Trauma des Angriffs der Hamas konfrontiert ist, hat eine genozidale Sprache gegenüber den Palästinenser*innen in Gaza Eingang in den öffentlichen Diskurs rechter israelischer Politiker*innen gefunden. Diese genozidale Sprache und das brutale Vorgehen der israelischen Armee in Gaza haben zu einer Ermahnung durch den Internationalen Gerichtshof geführt, alles zu tun um einen möglichen Völkermord zu verhindern.
Bisher konnte genau eine israelische Geisel mit militärischen Mitteln aus den Händen der Hamas befreit werden. Andere sind durch das Feuer der israelischen Armee ums Leben gekommen. In einer ersten Feuerpause im November konnten über 100 von ihnen durch einen Gefangenenaustausch mit Palästinenser*innen in israelischen Gefängnissen, die meisten von ihnen Frauen und Jugendliche, die ohne ordentliche Gerichtsverfahren inhaftiert waren, befreit werden. Immer mehr israelische Soldat*innen, die meisten von ihnen Reservist*innen mit Familien, verlieren in diesem Krieg ihr Leben. Über hunderttausend Israelis sind derzeit Binnenflüchtlinge im eigenen Land. Dieser zerstörerische Krieg mit all seinen katastrophalen, unerträglichen Folgen für die Menschen in Gaza dient also keinem gerechten Frieden und keiner Sicherheit – für niemanden in der Region.
Als Grundlagen für eine Überwindung der strukturellen Gewaltverhältnisse in Israel und Palästina sehen wir folgende Punkte als unumgänglich an:
- Einen sofortigen Waffenstillstand aller Kriegsparteien.
- Die sofortige und bedingungslose Freilassung aller israelischer Geiseln in den Händen der Hamas und anderer Organisationen sowie unschuldiger Palästinenser*innen in israelischen Gefängnissen. Gegebenenfalls mittels eines Gefangenenaustausches.
- Die Rücknahme der kürzlich entschiedenen Kürzungen von Zuwendungen an Flüchtlingsorganisationen in Palästina, wie etwa UNRWA, durch die Bundesregierung.
- Eine Untersuchung aller Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie mutmaßlicher anderer Völker- und Menschenrechtsverbrechen aller Kriegsparteien durch internationale Gerichte.
- Den Stopp der völkerrechtswidrigen Siedlungspolitik der israelischen Regierung, des israelischen Militärs und militanter Siedler*innen im besetzten Westjordanland und Ost-Jerusalem, einschließlich der beinahe täglichen israelischen Militärinvasionen in palästinensischen Städten und Dörfern, sowie der seit dem 7. Oktober weiter eskalierten Vertreibung von Palästinenser*innen von ihrem Land und ihren Häusern durch militante Siedler*innen unter Schutz der israelischen Armee.
- Die unmittelbare Anerkennung des Staates Palästina durch die Bundesregierung sowie die Vereinten Nationen.
- Die Wiederaufnahme von international begleiteten und vermittelten Verhandlungen zu einer politischen Lösung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinenser*innen mit dem zeitnahen Ziel eines souveränen palästinensischen Staats in den Grenzen von 1967.
Wir unterstützen im Zusammenhang mit dem Krieg und der damit verbundenen humanitären Katastrophe im Gazastreifen alle Maßnahmen, die das Leid der Zivilbevölkerung lindern. Dafür braucht es vor allem einen sofortigen Waffenstillstand. Die ebenfalls unerlässliche humanitäre Hilfe für die palästinensische Bevölkerung darf nicht gegen das völkerrechtlich verbriefte Recht auf Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes in den Grenzen von 1967 ausgespielt werden! Für Palästinenser*innen impliziert eine Öffnung der Grenze nach Ägypten nicht nur die Möglichkeit von humanitärer Hilfe, sondern auch die Gefahr einer erneuten Vertreibung.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung wird mit ihrer Arbeit in Israel und Palästina mittels unserer Büros in Tel Aviv und Ramallah weiterhin zivilgesellschaftliche und politische Akteur*innen unterstützen, die sich für eine gewaltfreie, einvernehmliche und friedliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes einsetzen, die beiden Völkern das Recht auf Freiheit, Gerechtigkeit und ein Leben in Würde ermöglicht.
Berlin, 07.02.2024