Im Schatten der medial viel beachteten Europawahlen fanden am 9. Juni 2024 auch Kommunalwahlen in den Bundesländern Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen (bereits am 26. Mai) statt. Trotz Correctiv-Recherche, zahlreichen Demonstrationen gegen Rechts, Skandale rings um die beiden Europalisten-Erstplatzierten Maximilian Krah und Petr Bystron erreichte die extrem rechte AfD bei der Europawahl mit 15,9% der Stimmen den zweiten Platz hinter der Union.
Anika Taschke ist Politikwissenschaftlerin. Sie arbeitet bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung als Referentin für Neonazismus und Strukturen/Ideologien der Ungleichwertigkeit.
Steven Hummel ist Politikwissenschaftler. Er arbeitet als Bildungsreferent bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen und ist ehrenamtlich bei der Dokumentations- und Rechercheplattform chronik.LE aktiv. Sein Schwerpunktthema ist die extreme Rechte.
Doch wie sieht es eigentlich auf der kommunalen Ebene aus? Dieser Text wertet das Abschneiden der extremen Rechten in der Kommune aus, blickt auf die Brandmauer und fragt was jetzt eigentlich zu tun ist.
Kommunalwahlergebnisse mit Blick nach Rechts
Die Ergebnisse der Kommunalwahlen sind nicht identisch mit den Ergebnissen der Europawahlen. Ein detaillierter Blick auf die Kreis- und Städte-/Gemeindeebene lohnt sich.
Die AfD hat es im Vergleich zu den Kommunalwahlen 2019 geschafft circa 60% mehr Kandidat*innen aufzustellen, ein enormer Zuwachs. Von den gewonnenen Mandaten wird eine mittlere dreistellige Zahl freibleiben, da die AfD in den entsprechenden Kommunen nicht genug Kandidat*innen aufstellen konnte.
Die Kommunalwahlergebnisse nach Bundesländern
Brandmauer? Jetzt? Wie soll das gehen?
Mit Blick auf die Wahlergebnisse sprechen auch progressive Akteur*innen davon, dass «die Brandmauer auf der kommunalen Ebene endgültig gefallen» sei. Dass die Brandmauer löchrig ist und Risse hat, haben wir bereits in einer Studie nachgewiesen. Die Brandmauer, also die konsequente Abgrenzung zur extremen Rechten, sollte allerdings aus unserer Sicht nicht leichtfertig fallengelassen werden. Wer die Brandmauer zur Vergangenheit erklärt, beschleunigt ihren bundesweiten Abriss und damit auch die Normalisierung und Akzeptanz der AfD auf der kommunalen Ebene – und unterschätzt gleichzeitig die progressiven Kommunalpolitiker*innen, die sich vor Ort nicht unterkriegen lassen und sich mutig mit eigener Politik und eigenen Forderungen in der Kommune einbringen.
Bis auf einige Gemeinden in Thüringen lassen sich theoretisch überall demokratische Mehrheiten finden. Ob diese auch in der Praxis umgesetzt werden, hängt von den handelnden Akteur*innen vor Ort sowie den Parteien und Wähler*innenvereinigungen ab. (Neben der CDU kommt auch der neuen Partei «Bündnis Sarah Wagenknecht» eine besondere Rolle zu. Im Saarland trat der Co-Vorsitzende der BSW wegen Äußerungen seiner Co-Vorsitzenden zur AfD zurück. Diese hatte auf mehrfache Nachfrage eine Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene nicht ausgeschlossen). Für linke und andere demokratische Kräfte werden die kommenden fünf Jahre im Rat keine einfachen. Vielerorts gibt es nur noch einzelne Vertreter*innen oder kleine Fraktionen unterschiedlicher progressiver Parteien.
Risse in der Brandmauer melden
Konsequenzen hat die Zusammenarbeit mit der AfD vor allem dort, wo es Leute gibt die hinschauen: sei es eine kritische Zivilgesellschaft, Lokalpresse oder andere Parteien. Wir sammeln alle Fälle der Kooperationen zwischen demokratischen und extrem rechten Parteien/Fraktionen und arbeiten diese systematisch auf.
Meldungen per Mail an: brandmauer@rosalux.org
Für Beratungen, Workshops und Fragen stehen wir ebenfalls unter dieser Emailadresse zur Verfügung.
Was tun?
Handlungsmöglichkeiten für Kommunalpolitiker*innen
- Austausch in der eigenen Fraktion/Partei zur Entwicklung einer Haltung die auch nach außen kommuniziert werden kann. Gegenseitige Unterstützung bei Anfeindungen und Angriffen.
- Vernetzung mit anderen demokratischen Fraktionen und Parteien im kommunalen Gremium. Austausch zum Umgang mit der AfD oder anderen extrem rechten Akteur*innen. Gegenseitige Unterstützung bei Anfeindungen und Angriffen.
- Umgang mit extrem Rechten Anträgen: «Schweriner Weg»
Mit diesem Ansatz sollte verhindert (oder zumindest eingeschränkt) werden, dass extrem rechte Akteur*innen das Parlament als Bühne nutzen können. Daher reagiert jeweils nur eine demokratische Fraktion auf einen extrem rechten Antrag oder entsprechende Äußerung. Damit verzichteten die anderen Fraktionen auf ihr Rederecht und begrenzten die Debatte. - Sicherheit bieten: Mapping progressiver und solidarischer Orte, Gruppen, Projekte, die als erstes einer Politik der AfD zum Opfer fallen werden. Nun heißt es genau diesen Akteur*innen Räume und Unterstützung auf verschiedenen Ebenen anzubieten.
- Zuhören: Offene Ohren für die Anliegen der Menschen haben.
- Bündnisse schmieden: Erarbeiten und Fortführen breiter Bündnisse für eine demokratische Zivilgesellschaft
Was tun bei vermeintlich sinnvollen Anträgen?
Immer wieder argumentieren Personen, dass es schwierig sei, vermeintlich sinnvollen Anträgen der AfD nicht zuzustimmen. Wir empfehlen zwei Dinge:
- Das Veröffentlichen eines Statements am Anfang der Wahlperiode welche das Verhältnis zur extrem rechten AfD deutlich macht. Dies könnte beispielsweise folgenden Tenor haben: «Wir, die Fraktion X, lehnen jegliche Zusammenarbeit mit der AfD ab. Wir verstehen die AfD als eine extrem rechte Partei welche die Demokratie abschaffen will. Sie will millionenfach Menschen – mit und ohne deutsche Staatsbürgerschaft – entrechten und deportieren. Mit einer solchen Partei lässt sich keine gemeinsame Zukunft für unsere Kommune gestalten.»
- Auf Grundlage einer solchen Erklärung ist eine Ablehnung rechter Anträge stets möglich. Selbstverständlich gibt es die «harmlosen Anträge» zum Zebrastreifen oder der Ampel in der Kommune. Aber auch das Beschließen dieser Anträge führt zu einer Normalisierung der AfD und damit zu einer Akzeptanz ihrer Politik sowie ihrer Forderungen. Die AfD gilt es hier daran zu hindern, dass sie gleichberechtigter Teil des parlamentarischen Spielfeldes wird und dadurch an einen Punkt kommt, an dem sie die Spielregeln bestimmt und verschiedene Akteure ausgrenzen kann.