Euro-Krise und Schuldenkrise sind in aller Munde. Und viele fragen sich, wie es mit der Europäischen Union (EU) insgesamt weitergehen soll.
Kein Wunder also, dass dies auch die beherrschenden Themen auf dem 4. Parteitag der Europäischen Grünen Partei (European Green Party – EGP) waren, der vom 11. bis zum 13. November 2011 in Paris stattfand. Im Zentrum des Kongresses, der von rund 700 Teilnehmern, darunter ca. 450 Delegierte aus den nationalen Mitgliedsparteien, besucht wurde, stand der Anspruch, auf die mit einander verflochtenen ökonomischen, sozialen und ökologischen Krisen, die Europa erfasst haben und sich aktuell in der Euro- und Griechenland-Krise äußern, eine grüne Antwort zu geben. Die Führungskräfte der europäischen Grünen wollten eine grüne Vision der Zukunft Europas präsentieren. Nicht zuletzt ging es aber auch darum, der Mitgliedspartei Europe Ecologie – Les Verts (EELV) Rückenwind für die 2012 in Frankreich anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zu verleihen.
Personell waren die Veranstaltungen des Kongresses hochkarätig besetzt: Der Bogen reichte vom populären alternativ-linken Bauernführer Jósé Bové (MdEP) über die Präsidentschaftskandidatin der französischen Grünen, Eva Joly, die Vizepräsidentin des italienischen Senats, Emma Bonino, und die National-Sekretärin von EELV, Cécile Duflot, bis zu Aurélie Trouvé von d’Attac France oder zu dem weltbekannten britischen Soziologen Anthony Giddens, der einst einen „Dritten Weg“ zwischen Laissez-faire-Liberalismus und Sozialismus postulierte und versucht hatte, Modernität und Globalisierung als Leitvorstellungen jeder soziologischen Zeitdiagnose zu profilieren. Gerade er goss etwas Wasser in den grünen Wein, als er bezweifelte, dass der von den grünen Spitzenpolitikern gepriesene Green New Deal unter dem Strich wirklich zu mehr Arbeitsplätzen führen werde. Arbeitslos seien vor allem junge Menschen auf der einen Seite und ältere Arbeitnehmer auf der anderen Seite, für die passgenaue Arbeitsplätze geschaffen werden müssten.
Überblick über die Plenardebatten
Eva Joly, international bekannt geworden als Untersuchungsrichterin in der Elf-Aquitaine-Schmiergeldaffäre und als gnadenlose und unbestechliche Kämpferin gegen Korruption, war zweifellos der Star des Kongresses. Ihr mit viel Medienöffentlichkeit bedachtes Statement wurde von den Kongress-Teilnehmern mit Standing Ovations gefeiert. Die gebürtige Norwegerin, derzeit Abgeordnete des Europäischen Parlaments, präsentierte sich als überzeugte Europäerin. In Erinnerung an den Ersten Weltkrieg, dessen Opfer führende europäische Grüne am 11. November an der Mur de la Paix, der Mauer des Friedens, in Paris gedacht hatten, nannte sie die Erhaltung des Friedens in Europa ein erstrangiges Verdienst der Europäischen Union (EU): „Über Europa zu sprechen, heißt über den Frieden zu sprechen.“ Joly sprach sich für einen sozialen und ökologischen Pakt in der EU aus und plädierte für einen zweiten Anlauf zu einer europäischen Verfassung, anzunehmen in einer Volksabstimmung mit der doppelten Mehrheit der Staaten und der Bürger. Die Welt brauche ein Europa des Friedens, ein starkes und solidarisches Europa und nicht zuletzt ein demokratisches Europa.
Auf die Verhandlungen der EELV mit der französischen Sozialistischen Partei (PS) in Vorbereitung der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2012 eingehend, machte Eva Joly einen Baustopp des ersten europäischen Druckwasserreaktors (EPR) in Flamanville in Nordfrankreich zur Bedingung für eine Zusammenarbeit der Grünen mit den Sozialisten. Sie betonte, es gebe keinen „Plan B“ zu einer Einigung mit den Sozialisten.
In den Debatten des Kongresses zu grünen Auswegen aus ökonomischen, sozialen und ökologischen Krisen, die Europa erfasst haben, und zu den grünen Visionen für ein zukünftiges demokratisches, ökologisches und solidarisches Europa warnten prominente Redner – so die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europäischen Parlament, Rebecca Harms, die Co-Vorsitzenden der EGP, Monica Frassoni und Philippe Lamberts, oder der Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, Ralf Fücks, – vor den Gefahren, die aus der gegenwärtigen Krisensituation für das europäische Projekt erwachsen. Sie machten ein Erstarken nationalistischer, rechtspopulistischer, euroskeptischer und anti-demokratischer Tendenzen in verschiedenen Ländern Europas (insbesondere in Italien und in Ungarn) aus. Scharf kritisierten sie das Agieren des Duos Angela Merkel / Nikolas Sarkozy in der Krisensituation: Durchwursteln und Manövrieren, wie es die beiden Politiker praktizieren, sei der Gefahr nicht angemessen. Ihre Schlussfolgerung: Wir haben es also auch mit einer Krise der europäischen Regierungsfähigkeit zu tun.
Rebecca Harms unterstrich, dass im Resultat von Euro-Krise, Schuldenkrise, Wirtschaftskrise, politischer Krise usw. der Verlierer die europäische Demokratie sei: „Denn was bedeuten »technische Regierungen«, wie sie in Griechenland und Italien auf der politischen Agenda stehen, anderes für die Demokratie?“ Angesichts der Krisen gerate die Demokratie unter Druck, werde sie ausgehöhlt. Die Europa-Politikerin betonte: „Wir brauchen eine nachhaltige Finanzstrategie in der EU.“ Die Schuldenkrise werde nicht bewältigt werden können, wenn nur auf die Ausgabenseite und nicht auf die Einnahmeseite geschaut werde.
Philippe Lamberts (MdEP) sagte: „Diese Krisen erodieren den sozialen Zusammenhalt und führen zur politischen Desintegration des Kontinents. Sie treiben uns im 21. Jahrhundert in die Irrelevanz. Jedes Szenario, das zum Auseinanderbrechen der Euro-Zone führt, welches der erste Schritt zum politischen Zerfall Europas werden würde, ist für uns inakzeptabel.“ Umgekehrt dürfe aber eine stärkere politische Integration der Euro-Zone nicht zur Kristallisation eines „Europas der zwei Geschwindigkeiten“ führen. Als Gegenentwurf pries der Europa-Abgeordnete den Green New Deal als Blaupause für ein ökologisches Europa.
Und Monica Frassoni akzentuierte: „Der Kampf für die europäische Demokratie ist noch nicht vorbei. Die Entfremdung der öffentlichen Meinung gegenüber der EU wächst wegen der Unfähigkeit der 27 Mitgliedsstaaten, nachhaltige und progressive gemeinsame Lösungen für die vielfältigen Krisen-Auswirkungen auf die Bürger zu finden.“ Der bestehende Mechanismus des „Regierens“ sei völlig unzureichend. Aber die zunehmende Schwächung der gemeinsamen Institutionen zugunsten eines altmodischen Direktorats unter der Leitung von „Merkozy“ werde nicht dazu führen, die Situation zu verbessern.
Als Sprecherin der Basisbewegungen, mit denen sich die europäischen Grünen auf dem Kongress mehrfach solidarisch erklärten, definierte Aurélie Trouvé die Schuldenkrise als Krise der öffentlichen Einnahmen, die durch die Entlastung der großen Konzerne entstanden sei. Dadurch seien auf der einen Seite gewaltige Profite angehäuft worden, was auf der anderen Seite eine Austeritäts-Politik nach sich gezogen habe. Aurélie Trouvé unterstrich, dass das kurzfristige Handeln der internationalen Finanzmärkte nicht mit den langfristigen ökologischen Erfordernissen in der Welt kompatibel sei, und verlangte eine Harmonisierung der Wirtschafts- und der Steuerpolitik in der EU und eine Beschneidung der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank.
Cécile Duflot betonte, ökologische Politik sei keine Austeritäts-Politik. Soziale Gerechtigkeit und Umweltgerechtigkeit würden zusammen gehören. Auf die Kritik von Anthony Giddens eingehend, hob sie hervor, es komme darauf an, in welche Jobs investiert werde. Die gleiche Summe an Investitionen bringe in verschiedenen Feldern der Wirtschaft unterschiedlich viele Jobs und natürlich auch unterschiedliche Arbeitsplätze.
Die „Deklaration von Paris“
Als Hauptdokument beschloss der 4. Parteitag der Europäischen Grünen Partei eine „Deklaration von Paris“. Sie enthält einen aus zwölf Punkten bestehenden Vorschlag, dessen Umsetzung aus der aktuellen fiskalischen, sozialen und wirtschaftlichen Krise in Europa herausführen soll, und einen Fahrplan für die Neubegründung des europäischen Projekts. Die Vorschläge der Grünen für eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Lösung der Krise bestehen vor allem aus folgenden Punkten:
- Die griechische Schuldenlast soll nachhaltig bewältigt werden. Die angekündigte freiwillige Reduzierung der griechischen Schulden durch den privaten Sektor um 50 Prozent sei unzureichend.
- Der Europäische Finanz-Stabilisierungs-Fond (EFSF) – und zukünftig der Europäische Stabilitäts-Mechanismus (ESM) – müssten effektiv gestaltet werden. Dazu müsse der EFSF zu einer Bank gemacht werden, die in der Lage ist, die Liquiditätsfazilitäten[1] der Europäischen Zentralbank in Anspruch zu nehmen.
- Eine Rekapitalisierung der europäischen Banken sei notwendig.
- Notwendig sei ein Wechsel von der einseitigen Sparpolitik zu sozial gerechten und nachhaltigen Strukturreformen und Investitionen, um die nationalen Wirtschaften zu stärken.
- Erforderlich sei weiter eine starke Re-Regulierung der Finanz-Industrie Europas.
- Eine umfassende europäische Steuer-Strategie, einschließlich der aktiven Bekämpfung von Steuerhinterziehung und der Begrenzung der Möglichkeiten zur Steuervermeidung, müsse entwickelt werden.
- Ein Europäischer Währungsfonds müsse etabliert werden.
- Der makroökonomische Überwachungsrahmen müsse operativer und ausgeglichener werden.
- Der EU-Haushalt müsse zu einem Instrument der Wirtschaftspolitik gemacht werden. Keine Währungsunion sei ohne einen glaubwürdigen gemeinsamen Haushalt als Instrument der Wirtschaftspolitik erfolgreich. Daher sei ein wesentlich ambitionierterer EU-Haushalt notwendig, der sich aus einer Finanztransaktionssteuer und aus einem Klima- bzw. Energie-Beitrag speist, so dass die Beiträge der Mitgliedsstaaten reduziert werden könnten.
- Erforderlich sei ein Green New Deal für Europa. Die einseitige Konzentration auf einen Sparkurs sei eine selbst zerstörerische Strategie. Es müsse vielmehr in die ökologische Erneuerung der Energie-, Verkehrs- und Produktions-Infrastrukturen und in Bildung, Forschung und Innovation investiert werden, um die natürlichen Ressourcen wiederherzustellen und den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Unter anderem soll der Europäischen Zentralbank erlaubt werden, Anleihen, die von der Europäischen Investitionsbank ausgegeben werden, unter der Bedingung zu refinanzieren, dass diese Anleihen nachhaltige Investitionen unterstützen. Nicht zuletzt soll eine Energiewende implementiert werden, um aus dem heutigen atomar und fossil basierten Energiesystem in eine erneuerbare Energie-Zukunft zu gelangen.
- Künftig sollen die Grundzüge der Wirtschaftspolitik im Mitentscheidungsverfahren von EU-Kommission, EU-Rat und EU-Parlament angenommen werden, um so diese Politik demokratisch zu untermauern.
- Schließlich schlagen die europäischen Grünen einen Konvent für ein neues Europa vor, in dem Vertreter der europäischen und der nationalen Parlamente sowie der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft vertreten sind. Es könne in keiner Weise hingenommen werden, dass Vertragsänderungen von EU-Staats- und Regierungschefs hinter verschlossenen Türen verhandelt und dann den Parlamenten aufgezwungen werden.
In ihrer „Deklaration von Paris“ setzt sich die EGP für eine Neubegründung des europäischen Projekts ein. Die europäischen Grünen sind davon überzeugt, dass das europäische Projekt der Notwendigkeit bedarf, einen neuen Sinn für Richtung und Ziel zu finden. Die massive Mobilisierung von Bürgern in ganz Europa in der jüngsten Zeit zeige, dass die Zukunft des europäischen Projekts mit ihnen und nicht über ihre Köpfe hinweg entschieden werden müsse.
Überblick über weitere Dokumente und Veranstaltungen des Kongresses
In anderen Veranstaltungen des Kongresses wurde der Focus auf die Rio+20-UNO-Konferenz zu Nachhaltiger Entwicklung, auf den Entwurf einer grünen Landwirtschaftspolitik und auf das Aufflammen des „Arabischen Frühlings“ gelegt. Um die Plenardebatten rankte sich eine Vielzahl von Workshops, Trainings-Veranstaltungen, Erfahrungsaustauschen und Treffen, die Vermittlung grüner Erfolge und Erfahrungen dienten. Die Spannweite der Themen reichte von den sozialen, ökonomischen und ökologischen Aspekten der aktuellen Krise über die Fischerei-Politik und die Industrie-Politik bis zu den Menschenrechten, von Gender-Fragen über solche der Migration bis zur Außenpolitik und von der Kommunalpolitik über die Frage digitaler Rechte bis zur (grünen) Öffentlichkeitsarbeit. In einem eigenen Workshop wurde die Studie der Heinrich-Böll-Stiftung „Solidarität und Stärke: Die Zukunft der Europäischen Union“ vorgestellt. Sie soll demnächst auch in deutscher Sprache vorliegen.
Im Plenum des Kongresses wurden insbesondere eine Resolution „Rio+20 – eine Möglichkeit und eine Herausforderung“, eine Resolution zur Reform der Fischereipolitik und eine Resolution zur 17. Vertragsstaatenkonferenz der Klima-Rahmenkonvention (COP 17) im Dezember 2011 in Durban in Südafrika „COP 17 Durban – Die verlorene Zeit wieder aufholen“ beschlossen. Dringlichkeits-Erklärungen wurden unter anderem zum „Arabischen Frühling“, zur Unterstützung der „neu geborenen“ spanischen grünen Partei EQUO zur Parlamentswahl am 20. November 2011 sowie gegen den Bau neuer Kernkraftwerke und gegen die Einrichtung von Zwischen- bzw. End-Lagern von nuklearen und radioaktiven Abfällen angenommen.
Kritik übten Delegierte am „Durch-Stimmen“ der Änderungsanträge zu den vorgelegten Dokumenten. Zwar waren kurze Beiträge zur Erläuterung der Anträge möglich, jedoch keine Pro- und Contra-Reden, die den Teilnehmern Gründe für ihr anschließendes Stimmverhalten geliefert hätten. Zudem war vorab in den getrennten Beratungen der Delegierten der einzelnen Länder faktisch das Stimmverhalten der jeweiligen Delegationen weitgehend festgelegt worden.
Das im Vorfeld des Kongresses als Hauptdokument des 4. Parteitags gehandelte Papier „Die soziale Dimension des Green New Deal“ wurde nur in einer Arbeitsgruppe behandelt, die sich mit den eingegangen 50 Änderungsanträgen zu diesem Papier befasste. Im Plenum des Kongresses wurde dieses Papier jedoch nicht behandelt. Es soll erst Gegenstand des nächsten Council Meetings der EGP werden.
In der Entwurfs-Fassung des elf Seiten umfassenden Papiers, stellen die europäischen Grünen insbesondere fest, dass die finanziellen, wirtschaftlichen und sozialen Krisen gezeigt hätten, dass die liberale Marktwirtschaft – sich selbst überlassen – zu wachsender Ungleichheit führe. Die EGP betont: „Obwohl wir glauben, dass der Wohlfahrtsstaat nachhaltig und effektiv sein sollte, glauben wir nicht, dass fiskalische Disziplin allein die Antwort (auf die Finanz- und Wirtschaftskrise – J.W.) sein kann, besonders wenn staatliche Sparpläne sozial und ökologisch blind sind, oft die am stärksten gefährdeten Gruppen in der Gesellschaft am härtesten treffen und so die Ungleichheits-Lücke noch weiter vergrößern.“ In diesem Kontext treten die Grünen für „garantierte Mindesteinkommen“ ein, die mindestens 60 Prozent der mittleren Einkommen ausmachen sollen, und für die Einführung von menschenwürdigen Mindestlöhnen in den einzelnen Ländern in Höhe von mindestens 60 Prozent des jeweiligen Durchschnittslohns.
In einzelnen Diskussionsbeiträgen im Plenum und in Arbeitsgruppen sowie in Änderungsanträgen zu Kongress-Dokumenten wurde eine scharfe radikale Kritik am kapitalistischen System geübt, in der sich eine undifferenzierte Sicht auf den Kapitalismus offenbarte, die faktisch mögliche Veränderungen hin zu ökologischen und sozialen Fortschritten im Rahmen des Systems ausblendete. Eine griechische Delegierte rügte, dass die Beteiligung der engagierten Umweltwissenschaftlerin Tina Birbili an der Regierung Papandreou als Ministerin für Umwelt, Energie und Klimawandel nicht zu einer Richtungsänderung in der Umweltpolitik des Landes geführt habe. Die Regierungsbeteiligung sei letztlich nutzlos gewesen.
Auf dem Pariser Kongress wurde die ungarische Partei Lehet mas a politika (LMP – Die Politik kann anders sein) als neues Voll-Mitglied in die EGP aufgenommen. Die EGP hat damit 39 Voll-Mitglieder aus 33 Ländern. Dazu kommen acht Parteien mit Beobachterstatus (siehe Übersichten im Anhang!). Die European Green Party ist in ganz Europa vom Nordkap bis zum Kaukasus, von Portugal bis Russland präsent.
Dies allerdings in den einzelnen Ländern in unterschiedlicher Stärke, mit unterschiedlichem politischem Einfluss und mit unterschiedlicher politischer Orientierung. Die Bandbreite reicht dabei von Organisationen traditionell linker Prägung bis zu solchen eher bürgerlichen Zuschnitts. Da – neben wenigen Grundmandaten für jede Partei – die Anzahl der Delegierten-Mandate auf EGP-Parteitagen in einem komplizierten Schlüssel nach dem Stimmenanteil der Parteien bei nationalen Wahlen vergeben wird, dominieren die deutschen und die französischen Grünen (gemeinsam mit den Grünen aus Belgien, Großbritannien, den Niederlanden, Luxemburg, Österreich und Schweden) ziemlich eindeutig das Kongress-Geschehen und drücken den verabschiedeten Dokumenten ihren politischen Stempel auf.
* * *
Bilanziert man den 4. Parteitag der European Green Party in Paris, bleibt festzuhalten:
Erstens zeigte sich, dass der Weg der EGP zur europäischen Partei mit wirklichem Parteicharakter offenbar schwieriger ist als ursprünglich angenommen. Bei der Ausarbeitung und Aushandlung der Kongress-Dokumente (insbesondere bei der „Deklaration von Paris“) spielten die osteuropäischen Grünen faktisch keine Rolle – Ausdruck des Ungleichgewichts der europäischen grünen Parteien in der EGP und des starken West-Ost-Gefälles bei Mitgliederzahlen und politischem Einfluss der einzelnen Mitgliedsorganisationen.
Zweitens war festzustellen, dass besonders im Vergleich zum 2. Parteitag der EGP in Genf 2006 neoliberale Positionen weiter zurückgedrängt wurden, dafür aber zum Teil linksradikale Töne zu hören waren. Dies kam insbesondere in einer undifferenzierten Sicht auf den Kapitalismus und in einer negativen Beurteilung der Beteiligung grüner Parteien an nationalen Regierungen zum Ausdruck.
Drittens markierte der Parteitag die Hälfte des Weges zwischen den Europa-Wahlen von 2009 und denen von 2014, auf die sich die europäischen Grünen mit ihren Beschlüssen zur Verbindung von Wirtschafts-, Umwelt- und Sozialpolitik langfristig vorbereiten wollten. Als Ausweg aus der gegenwärtigen Krisensituation präsentierten sie ihren Green New Deal als in sich stimmige und damit glaubwürdige Antwort. Eine Antwort, an der sich andere europäische Parteifamilien – auch ihre politischen Konkurrenten im weit gefassten linken Spektrum, die Sozialdemokratische Partei Europas und die Europäischen Linken – messen lassen müssen.
Jochen Weichold
Anhang
1. Mitgliedsparteien der European Green Party
Land | Mitgliedspartei(en) |
Albanien | Partia e Gjelber |
Andorra | Partit Verds d’Andorra |
Belgien | Ecolo |
Belgien | Groen! |
Bulgarien | Zelena Partija / B’’lgarskite Seleni – Bulgarian Green Party |
Deutschland | Bündnis 90/Die Grünen |
Estland | Eestimaa Rohelised |
Finnland | Vihreät de Gröna / Vihre Liitto / Gröna Förbundet |
Frankreich | Europe Ecologie – Les Verts |
Georgien | Sakartvelo’s mtsvaneta partia |
Griechenland | Ecologoi-Prasinoi |
Großbritannien | Green Party of England & Wales |
Großbritannien | Scottish Green Party |
Großbritannien | Green Party Northern Ireland |
Irland | Green Party / Comhaontas Glas |
Italien | Federazione dei Verdi |
Lettland | Latvijas Zala Partija |
Luxemburg | Déi Gréng / Les Verts / Die Grünen |
Malta | Alternattiva Demokratika / The Greens |
Moldova | Partidul Ecologist din Moldova „Aliante Verde“ (PEM AVE) |
Niederlande | De Groenen |
Niederlande | GroenLinks |
Norwegen | Miljøpartiet De Grønne / Miljøpartiet Dei Grøne / Birasbellodat Ruona |
Österreich | Die Grünen |
Polen | Zieloni 2004 |
Portugal | Partido Ecologista „Os Verdes“ |
Rumänien | Partidul Verde |
Russland | Zelenaya Alternativa (GROVA) |
Slowakei | Strana Zelených (SZ) |
Slowenien | Stranka mladih – Zeleni Evrope (SMS-ZELENI) |
Spanien | Los Verdes |
Spanien | Iniciativa per Catalunya Verds (ICV) |
Schweden | Miljöpartiet de Gröna |
Schweiz | Grüne / Les Verts / I Verdi |
Tschechische Republik | Strana Zelených |
Ukraine | Partija Zelenykh Ukrainy (PZU) |
Ungarn | Zöld Demokraták |
Zypern | Cyprus Green Part |
2. Beobachterparteien der European Green Party
Land | Beobachterpartei(en) |
Aserbaidschan | Azərbaycan Yaşıllar Partiyası |
Belorussland | Bielaruskaja Partyja „Zialonye“ |
Bulgarien | Zelenite |
Dänemark | Socialistisk Folkeparti (SF) |
Kroatien | Zelena Lista (Green List of Croatia) |
Russland | Zelenaja Rossija – Green Russia |
Serbien | Zeleni |
Türkei | Yeşiller (Partisi) – Green Party of Turkey |
Ungarn | Lehet mas a politika (LMP) |
European Network of Green Senio |
Berlin, 15. November 2011
[1] Unter Liquditätsfazilität (liquidity facility) wird allgemein die Verpflichtung verstanden, einem Vertragspartner (kurzfristig) Liquidität zur Verfügung zu stellen, auch Liquiditätslinie genannt.