Aus linker Perspektive sind Rekommunalisierungen im Energiesektor eine gute Sache. Gegen die Privatisierung setzen sie das Öffentliche, gegen fossile Energieträger die dezentrale und gerechte Energiewende.
Ob sinkende Preise und bessere Qualität, mehr regionale Wertschöpfung und mehr gute Arbeitsplätze, ob mehr Demokratie und ökologische Steuerungsfähigkeit – es gibt wenig Wahres, Schönes und Gutes, das in der linken Aufzählung der positiven Effekte von Rekommunalisierungsvorhaben fehlt. Hamburg und Berlin haben im vergangenen Jahr über kommunale Stromnetze abgestimmt. In Deutschlands größten Städten gab es Volksentscheide über den Rückkauf der privatisierten Stromnetze durch die öffentliche Hand. Während das Vorhaben in Berlin knapp scheiterte, votierten die HamburgerInnen für die Rekommunalisierung, den vollständigen Rückkauf des Stromnetzes vom Vattenfall-Konzern. Die Initiativen in Hamburg und Berlin wurden mit großem Aufwand von sozialen Bewegungen vorangetrieben und zogen viel Aufmerksamkeit auf sich. Deutlich weniger Beachtung finden Rekommunalisierungen von Regierungsseite, die im weitgehenden Einvernehmen mit den verkaufenden Unternehmen stattfinden. Die Rede ist von Thüringen, wo der regionale Netzbetreiber (vormals Eon) seit Frühjahr 2013 in kommunaler Hand ist. Wie kam es dazu, dass der Prozess, der in Hamburg und Berlin so umkämpft ist, in Thüringen auf so wenig Widerstand stieß? Die relativ konfliktfreie Rekommunalisierung ist ein spezifisch ostdeutsches Phänomen.
Um das zu verstehen, müssen wir den Prozess betrachten, der in Thüringen Pate stand: die Überführung des mecklenburgischen Netzbetreibers Wemag in kommunale Hände. Die Geschichte beginnt in der Nachwendezeit. Da die Kommunalverfassung von Mecklenburg-Vorpommern, der DDR-Verfassung folgend, die örtliche Energieversorgung als Gemeindeaufgabe definierte, standen den Kommunen Anteile an den alten Bezirksenergiekombinaten zu. Weil die Treuhandanstalt mit der Zuteilung der Anteile überfordert gewesen wäre und die Kommunen Schwierigkeiten gehabt hätten, sie zu verwalten, wurde ein kommunaler Zweckverband gegründet. Ihm wurden die Anteile übereignet. Diese Rechtsform erlaubte es den Kommunen, einen energiewirtschaftlich kompetenten Kollektivakteur zu schaffen, der ein Gegengewicht zum Mehrheitsaktionär Vattenfall bilden konnte.
Die Ausgangslage vor der Rekommunalisierung in den Jahren 2008 und 2009 war: Die Vattenfall Europe AG hielt 80,29 Prozent der Wemag-Anteile, der kommunale Anteilseignerverband 19,71 Prozent. Im Sommer 2008 entschied sich Vattenfall, seine Anteile zu veräußern. Warum? Firmen wie Vattenfall sind nicht bloß daran interessiert, profitabel zu wirtschaften, sondern ihre Profite zu maximieren. Eine Sparte wie die lokalen Netze, die – von der Bundesnetzanstalt garantiert – sechs bis acht Prozent Rendite erzeugen, kann für klamme Kommunen attraktiv sein, aber für große Konzerne, die ganz andere Profitmargen gewöhnt sind, auch eine Last. Vattenfall brauchte seinerzeit Geld für eine Investition in den Niederlanden, außerdem war die Wemag aufgrund der kommunalen Beteiligung nie voll in die Vattenfall-Unternehmenssteuerung integrierbar. Am Ende sah ein verkaufswilliger Netzbetreiber, mit dem es nach fast 15 Jahren gemeinsamer Eigentümerschaft gute Beziehungen gab, in der Rekommunalisierung die einfachste Möglichkeit, eine ungeliebte Tochter loszuwerden. So mussten sich die mecklenburgischen Rekommunalisierer (eine breite Koalition aus Kommunen, Gewerkschaften, Finanzakteuren, Parteien und Landesregierung) nicht mit den Gegenstrategien herumschlagen, die die großen vier Energiekonzernen (RWE, Eon Vattenfall und EnBW) hierzulande oft gegen solche Vorhaben ins Feld führen, zum Beispiel die Veröffentlichung eines völlig überhöhten Kaufpreises.
Und die Resultate? Eigentlich scheint bei der Wemag alles gut zu laufen. Die KundInnen sind zufrieden, die Stiftung Warentest lobt das angebotene Ökostrompaket, es laufen Investitionen in den Ausbau der Produktion und Speicherung erneuerbarer Energien. Sogar Dividenden an die Kommunen hat das Unternehmen ausgeschüttet. Die Thüringer Allgemeine urteilt, das Beispiel aus Mecklenburg-Vorpommern zeige, «dass Kommunen sehr wohl in der Lage sind, erfolgreich die Marktführerschaft auf dem regionalen Energiesektor erst zu kaufen – und dann zu verteidigen. Im Jahr 2010 erwarben rund 500 Kommunen den Energieversorger Wemag von der Vattenfall AG. Seitdem ist die Mitarbeiterzahl gestiegen, die Umsätze auch, und der Gewinn blieb konstant.» Wirtschaftlich und ökologisch ist die Rekommunalisierung der Wemag also beinahe ein Erfolg auf ganzer Linie. Aber was ist mit der Bürgerbeteiligung? Die Volksentscheide in Berlin und Hamburg warben für ihre Vorhaben auch mit dem Versprechen, die Energieversorgung zu demokratisieren. Hier fällt die Bilanz der Wemag zwiespältiger aus. Ein Aktivist der BioEnergieDörfer-Bewegung beklagte, die Wemag sei mittlerweile so groß und so weit weg: «Die sind fast schon wie Vattenfall.»
Ob man die Rekommunalisierungen für erfolgreich hält, bemisst sich also vor allem an den Erwartungen an ihre Effekte. Während in Mecklenburg-Vorpommern ein ökologisch arbeitender und wirtschaftlich leistungsstarker kommunaler Energieversorger geschaffen wurde, wurde in der Berliner Bewegung für den Energie-Volksentscheid sicherlich ungleich mehr basisdemokratische Energie freigesetzt – allerdings ohne dass am Ende ein kommunaler Energieversoger stand. Aus linker Sicht ist beides unverzichtbar, sowohl die Existenz eines betriebswirtschaftlich effizienten Energieversorgers als auch die Frage, ob ein solcher eine echte Demokratisierung der Energieversorgung ermöglicht. Zum Gelingen sollte eine linke Praxis in diesem Bereich beitragen.