Die Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten in Rostock haben die Diskussionen zur Rolle von physischer Gewalt in den politischen Auseinandersetzungen wieder aktuell werden lassen. Auf den ersten Vorbereitungstreffen zu dieser Demonstration spielte diese Frage bereits untergründig eine Rolle, ohne sie ernsthaft zu diskutieren. Bestimmend blieb im gesamten Prozess der Vorbereitung die gebilligte Unterschiedlichkeit der Haltung zur Frage der Gewalt als Mittel des Protestes. Der Protest gegen den G8-Gipfel sollte nicht durch eine harte Debatte unter den G8-KritikerInnen selbst in Frage gestellt werden. Dieses Herangehen ist in Rostock gescheitert.
Am 2. Juni dieses Jahres haben in Rostock die auf Gewalt setzenden Gruppen den anderen Gruppen und der großen Mehrheit der Demonstrantinnen und Demonstranten ihre Logik aufgezwungen und erreicht, dass nicht mehr die Globalisierungskritik, sondern die von wenigen ausgeübte Gewalt das Bild der Gegenaktivitäten prägte. Die Globalisierungskritik der Mehrheit ging in den Rauchschwaden brennender Autos, dem Steinewerfen einer Minderheit und den Wasserwerfern der Polizei unter, so dass Kritik und Protest von der Öffentlichkeit als Zerstörung und Gewalt wahrgenommen und mit ihr gleichgesetzt wurde.
Die bereits seit Wochen laufende polizeiliche Vorbereitung schuf eine Atmosphäre, in der sich der Staat als gewalttätiger Akteur der Durchsetzung einer ungerechten Globalisierung präsentierte. Die extensive Auslegung des Paragrafen 129a des Strafgesetzbuches stellte de facto jedes Denken außerhalb des Mainstreams unter den Generalverdacht des Terrorismus. So legt der erwähnte Paragraf nahe, dass physische Gewalt gegen Personen gleichgesetzt wird mit Formen des gewaltlosen Widerstandes, wie Sitzblockaden. An der öffentlichen Wahrnehmung änderte sich auch wenig durch einzelne gewalttätige Aktionen, die sich gegen Autos oder Gebäude richtete. Dies waren Aktionen, die durch die Bewegung letztlich auch nicht beeinflussbar waren.
Die globalisierungskritische Bewegung für Gerechtigkeit und Demokratie ist nun mit zwei Problemen konfrontiert: erstens damit, dass das Anliegen des Protestes hinter die Gewalt zurücktritt oder mit ihr gleichgesetzt wird, zweitens damit, dass ein Teil der Bewegung den anderen ungehemmt instrumentalisieren konnte. Die Toleranz wurde zu einem Nebeneinander, das dazu ausgenutzt wurde, Strategien durchzusetzen, die durch keinen Konsens gedeckt waren. Die in der frühen Phase unausgesprochene Vereinbarung gegenseitiger Achtung der Verschiedenheit erwies sich als Schein, als Illusion. Der Versuch, durch das Ausklammern der Frage der Formen von Protest eine größere Bereite und Akzeptanz zu gewinnen, war falsch.
Weltsozialforum und die Gewaltfrage
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