Beitrag zur Rosa-Luxemburg-Konferenz der RLS (3./4. März 2005)
Das Problem der Beteiligung von Sozialisten und Kommunisten, also jenen, deren Ziel die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft ist, an bürgerlichen Regierungen geht anders, als viele meinen, nicht auf das Jahr 1899 zurück, als der französische Sozialist Étienne-Alexandre Millerand der bürgerlichen Regierung in Frankreich unter Waldeck-Rousseau beitrat, sondern auf das Jahr 1848, als Louis Blanc in die Provisorische Regierung eintrat, die in der Februarrevolution gebildet wurde. Seine Versuche der Umgestaltung der Arbeitsverhältnisse (Aufkauf von Bergwerken und Eisenbahnen, Zentralisierung des Versicherungswesens, Gründung von Genossenschaften, Abschaffung freier Preise, Nationalwerkstätten zur Arbeitslosenversorgung und Recht auf Arbeit) blieben weitgehend erfolglos. Sein Balanceakt zwischen der deutlichen Vertretung der Arbeiterforderungen und des Versuchs, die „Ordnung“ im Sinne der Regierung aufrechtzuerhalten, kostete ihm die Unterstützung der Massen. Schon im Mai 1848 musste er sein Amt verlassen. Mit der Niederschlagung des Arbeiteraufstandes vom Juni 1848 wurde auch die Durchsetzung seiner letztlich über den Kapitalismus hinauszielenden Reformen unmöglich.
Beteiligungen der Linken an Regierungen, die von anderen Kräften dominiert werden, sind immer umstritten gewesen. Es wurden vor allem fünf Einwände gegen die Regierungsbeteiligung der Linken formuliert – (1) der Kapitalismus könne nicht wesentlich verändert werden; (2) nur eine Revolution könne die grundlegenden Probleme lösen, (3) der Staat sei nur das politische Herrschaftsinstrument der ökonomisch herrschenden Klasse; (4) Regierungsbetei-ligung schwäche zwangsläufig die Linke und (5) die Linke mache durch ihre Regierungsbe-teiligung erst die Fortsetzung rechter Politik möglich.
Beitrag als Vortragsfolien:
in englischDie Linke will einen Richtungswechsel der Politik einleiten. So unterschiedlich die Forderungen im Einzelnen sein mögen, so stehen soziale Gerechtigkeit, Demokratisierung und friedliche Konfliktlösung in Auseinandersetzung mit dem Neoliberalismus auf der Tagesordnung. Welches aber sind die realen Grundlagen für einen solchen Konsens? Ist er mehr als eine Schimäre oder bloßes Wunschdenken? Was ist der reale neue Inhalt dieser Forderungen in der Gegenwart? Lässt sich dieser Konsens in reale strategische Optionen übersetzen, die konsistent sind – bezogen auf soziale Kräfte, Einstiegsprojekte in den Wandel, absehbare erste Ergebnisse und Übergang zu einem neuen Entwicklungspfad? Alle diese Fragen lassen sich nur beantworten, wenn ein realistisches Verständnis der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse und möglicher Alternativen besteht.
Erfahrungen wie die von 1989 im östlichen Mitteleuropa und der früheren Sowjetunion oder in Argentinien nach 2002 zeigen, wie schnell sich eine offene historische Situation wieder schließt und die Akteure sich hinterher verwundert die Augen reiben und sich fragen, ob es überhaupt jemals eine wirkliche alternative Situation gegeben hat. Genauso erging es jenen Akteuren, die ein neues historisches Projekt von „Rot-Grün“ in Deutschland beginnen wollten und eine „Agenda 2010“ der Regierung Schröder-Fischer erhielten. Selbstaufklärung ex ante oder zumindest doch im Augenblick des Handelns, des tätigen Eingreifens, ist gefordert.
Was also kann die Linke überhaupt wirklich wollen? Eine sachliche Selbstverständigung der Linken, in welcher Gesellschaft wir leben, welches die dominanten Widersprüche sind, welche realistischen Alternativen auf der Tagesordnung stehen, ist dringend notwendig. Die Antwort darauf kann nur eine komplexe Analyse und ein umfassendes Studium der praktischen Erfahrungen bringen.
Die Linke in Deutschland, in Europa und international steht vor einer neuen Epochendiskussion. Dieser Artikel soll einen Beitrag dazu leisten. Es handelt sich weniger um eine systematische Ausarbeitung als um eine Skizze und einen Versuch, fragend voranzugehen und Thesen für eine offene Diskussion bereitzustellen. Viele Argumentationen in diesem Artikel tragen unvermeidlich einen hypothetischen und verdeutlichenden Charakter.
>>mehr als pdf
Inhalt:
1. Am Beginn einer neuen Diskussion
2. In welchem Kapitalismus leben wir?
3. Stärken und Schwächen des neoliberal geprägten Finanzmarkt-Kapitalismus
4. Die Krise des Finanzmarkt-Kapitalismus und alternative Wege ihrer Lösung
5. Die Unterschiede zwischen einer aggressiv neoliberal-imperialen und einer sozialdemokratischen Gestaltung des Finanzmarkt-Kapitalismus 6. Die Instabilität des Finanzmarkt-Kapitalismus und die Grenzen seiner Gestaltung 7. Die Hauptkonflikte der Epoche und die linke Alternative 8. Epochekonstellation und strategische Ausrichtung der Linken
9. Zusammenfassende Thesen zu den Abschnitten 1 bis 8