Publikation Globalisierung - International / Transnational Alternativen zum Neoliberalismus sind nicht nur möglich – sie sind bereits im Entstehen

Es ist jedoch fraglich, ob das Weltsozialforum in seiner gegenwärtigen Gestalt den adäquaten Raum für die Entwicklung und Verbreitung praktischer Alternativstrategien zu neoliberalen Wirtschaftkonzepten und imperialer Globalisierung bietet. Das Teil-Weltsozialform 2006 in Bamako hat derartige Zweifel eher bestärkt.

Information

Reihe

Online-Publ.

Autor

Arndt Hopfmann,

Erschienen

Februar 2006

Arndt Hopfmann ist Leiter des Regionalbüros südliches Afrika der Rosa Luxemburg Stiftung in Johannesburg.Bamako, angeblich die afrikanischste aller afrikanischen Hauptstädte, liegt lang ausgestreckt an beiden Seiten des Niger, der hier ein flaches Trogtal in die Halbwüste südlich der Sahara gegraben hat. Dort fand vom 19. bis 23. Januar eines der drei diesjährigen Teil-Weltsozialforen (neben Cararcas und Karatchi) statt. Teilgenommen haben nach Angaben der Organisatoren am »derzeit einzigen globalen Forum der Linken« (Wallerstein) ca. 18 bis 20 tausend Menschen, davon allerdings nur rund 7.000 aus Mali – damit dürfte dieses Teil-Weltsozialforum das erste sein, bei dem die Gastgeber deutlich in der Unterzahl waren. Zudem werden die offiziellen Teilnehmerzahlen nicht durch den Augeschein gestützt. Zum Eröffnungsumzug sind höchstens 8.000 Aktivisten eineinhalb Stunden durch Bamako zum Stadium Modibo Keїta marschiert. Auch wenn eine genauere Schätzung durch die Verstreutheit der Teilnehmer auf neun, zum Teil weit voneinander entfernt liegende Veranstaltungsorte erschwert wird, so darf mit einiger Gewissheit davon ausgegangen werden, dass die wirkliche Teilnehmerzahl zu keinem Zeitpunkt 15.000 – darunter ca. 10.000 ausländische – überschritten hat, damit wurden die Erwartungen der Organisatoren, die auf bis zu 30.000 Teilnehmer gehofft hatten, wohl herb enttäuscht.

Klagen und Ohnmächte

Vielleicht war dies auch ein Grund dafür, dass eine spezielle »Weltsozialforumseuphorie« nie und nirgends aufkam. Alles verlief sich vielmehr räumlich separiert und auf Kleingruppen reduziert in den Bahnen einer übergroßen internationalen Konferenz zu einem höchst allgemeinen Thema. Die meisten der ca. 650 Veranstaltungen waren mit 50 Aktivisten zwar gut, aber nicht übermäßig besucht. Die Ausfallquote war gering und die Sprachprobleme waren – trotz des mitunter aufopferungsvollen Engagements von Freiwilligen und Amateurdolmetschern – wie stets groß (die Angehörigen der englischsprachigen Teilwelt traten wie fast immer durch sprachliche Inkompetenz, aber dafür mit ziemlicher Beschwerdefreudigkeit besonders in Erscheinung). Obwohl der Gesamteindruck vom Veranstaltungsgeschehen keineswegs negativ ist, fällt – allerdings vielleicht nur dem erstmaligen WSF-Teilnehmer – auf, dass sehr oft das Klagen über die jeweiligen Zustände, Bedrohungen und politischen Ohnmächte die Diskussionsbeiträge beherrschte, was wiederum das Publikum sichtlich erschöpfte oder gar langweilte.
Dies ist jedoch nur ein Indiz dafür, dass diese Art Großveranstaltung nur allzu offensichtlich mit einigen tiefer liegenden Problemen, mit einer »Talsohle der Erschöpfung«, kämpft. Das WSF muss sich aus diesem Jammertal herausarbeiten, zu neuen Veranstaltungsformen und Themen finden oder es findet im ›Weiter- So‹ sein Ende. Insbesondere wird dies augenscheinlich darin:

(1)    dass die meisten Teilnehmer/Diskutanten keinerlei vorwärtsweisendes Konzept haben; Länderberichte und gegenseitige solidarische Rückversicherung über die Teilhabe an der allgemeinen Frustration beherrschen das Feld;
(2)    dass das WSF von einer kleinen Gruppe des NGO-Jetsets dominiert wird; dieses wird um so offensichtlicher, je kleiner der Teilnehmerkreis ist;
(3)    dass Alte, vor allem alte Männer, die Podien und Debatten dominieren; dieses Teil-Weltsozialforum hatte augenscheinlich ein (geschätztes) Durchschnittsalter von nahe 40;
(4)    dass folglich jede Menge »déjà-vu« und »déjà-dit« durch die Veranstaltungsräume weht, wodurch die allgemeine Ideenarmut und Erschöpfung nur noch umso beklemmender werden.

Wie schwierig es ist, dieser Art Lethargie auf ausgetretenen Wegen zu entkommen, zeigte nicht zuletzt die Vor-Auftaktveranstaltung unter dem Motto »Die Allianz des Südens wiederbeleben – 50 Jahre nach Bandung «, am 18. Januar; und »nur für geladene Gäste« (es erübrigt sich anzumerken, dass schon deshalb der Saal höchsten halb gefüllt war – Exklusivität macht eben einsam). Obwohl selbsternannte »éminentes personalités « (allein das hinterlässt schon einen faden Beigeschmack) von fünf Kontinenten – keiner jünger als 60 – ihr bestes gaben, indem sie noch ein weiteres Mal mit besonders angestrengter Stimme und hoch erhobenem Zeigefinger das wiederholten, was sie vorher schon unzählige Male wiederholt hatten, verlief das Ereignis ergebnis- und abschlußlos im Sande – die mehrfach angekündigte »Deklaration« war jedenfalls bis zum Ende des WSF nicht zu erhalten.

Imperialismus, Emotionen und konkreten Alternativen

Auch die Veranstaltungen, die das RLS-Regionalbüro südliches Afrika in Kooperation mit Partnerorganisationen auf dem Teil-WSF durchgeführt hat, wurden zum Teil erheblich vom demobilisierenden Klagebedürfnis heimgesucht. Durchgängig und in hohem Grade betroffen war vor allem der Workshop »Globalization and the Agrarian Question in Africa« (Kooperationsveranstaltung mit TCOE und ALARM). Auch wenn hier der inzwischen in den deutschen Medien meistzitierte Edward Asare von CIAD in Accra (Ghana) teilgenommen hat, war der Verlauf der Veranstaltung eher enttäuschend, wobei selbst Edwards Beitrag keine Ausnahme darstellt. Es dominierten langatmige »Länderberichte« zur Lage der Bevölkerung auf dem Lande – in Südafrika, Indonesien, Mocambique und Ghana. In der anschließenden Diskussion, für die infolge der länglichen Beiträge nur wenig Raum blieb, beschränkten sich einige der ca. 50 Teilnehmer auf mehr oder weniger dem Detail verhaftete Nachfragen – und das war’s.
Wesentlich lebhafter und zeitweise sogar sehr konfrontativ ging es auf der Vorstellung der Broschüre »NEPAD and South African Imperialism« – eine gemeinsame Veranstaltung mit Jubilee South Africa – zu. Hier zeigt sich in aller Deutlichkeit die in der Regel außerordentlich schwache und auf einige wenige, zum Teil ausgesprochen traditionelle, Grundprinzipien reduzierte theoretische Bildung der ca. 60 Diskutanten. Dies betrifft zunächst jene, die mit »Imperialismus« nichts als ein bequemes Feindbild – nämlich die USA (und vielleicht noch Großbritannien) – verbinden. Aus dieser Sicht ist es natürlich ein Sakrileg, wenn Südafrika als imperialistischer Staat präsentiert wird, für den NEPAD (die Neue Partnerschaft zur Entwicklung Afrikas) vor allem den Rahmen für seinen wirtschaftlichen Expansionsdrang abgibt. Imperialistisch dürfen nämlich nur Länder genannt werden, die hier und heute und unmittelbar der Feind der »progressiven Kräfte« in der Welt sind – so die Apologeten eines theoriefernen Politaktionismus. Das andere Lager wird von jenen gebildet, die die Leninische Imperialismustheorie umstandslos in die Gegenwart verlängern. Dazu zählt zweifellos auch der Autor der Broschüre, Ismael Lesufi, dem es in seiner Schrift vor allem darum geht zu zeigen, dass Südafrika ein ganz normaler kapitalistischer – und daher auch imperialistischer – Staat ist. Die moderne Diskussion über einen »neuen Imperialismus« und die von internationalen Finanzmärkten getriebene Aneignung ökonomischer Substanz durch Enteignung hat die Aktivisten des WSF offenbar noch nicht erreicht. Die Debatte wogte folglich zwischen Imperialismustheoretikern Leninscher Prägung und Imperialismus-Rhetorikern anti-US-amerikanischer Orientierung, in mitunter scharfen Wortwechseln und mit viel Emotionen geladen, aber auf der Stelle tretend, hin und her.
Einen möglichen Weg in die Zukunft des WSF – nämlich die Diskussion um und das gemeinsame Wirken für konkrete Alternativen – wies die gemeinsame Veranstaltung mit dem ANSA-Netzwerk (Alternative to Neo-Liberalism in Southern Africa) zum Thema »Concrete Alternative Policy to Neo-Liberalism For South Africa«. Obwohl die Veranstaltung zunächst unter einem schlechten Stern zu stehen schien – sie wurde nämlich im offiziellen Veranstaltungsprogramm vergessen –, fanden doch mehr als 50 Teilnehmer den Weg in den kurzfristig organisierten Seminarraum. Und die Diskussion war lebhaft und engagiert. Was allerdings wahrscheinlich noch von viel größerem Gewicht ist, ist der Umstand, dass daraus konkrete Aktivitäten abgeleitet und neue Partner gewonnen werden konnten. Hier wie auch in anderen, ähnlich gelagerten Veranstaltungen war nur allzu deutlich zu spüren, wie stark das Bedürfnis der Teilnehmer ist, vom schier endlosen Bejammern der Verhältnisse weg und hin zu gemeinsamer Aktion zu kommen. Daran muss das WSF anknüpfen – das ist das Positive im Sine von Erich Kästner.

Sprachlosigkeiten und Verwunderungen

Natürlich war, nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen vorangegangener Weltsozialforen, von vorn herein zu erwarten, dass das derartigen Großveranstaltungen eigene Chaospotential auch in Bamako zum Tragen kommen würde. Die Überraschung war folglich eher die, dass es weniger gravierend zutage trat als befürchtet. Dies mag freilich der relativ kleinen Teilnehmerzahl geschuldet sein. Neben den wohl unvermeidlichen Absagen, Ausfällen und Verschiebungen von Veranstaltungen (die sich vor allem gegen Ende zu häufen begannen) waren die Probleme mit der Übersetzung wohl die gravierendsten. Angesichts der zwar bedauernswerten, aber offenbar nicht bearbeitbaren Tatsache, dass die Angehörigen der englischsprachigen Teilwelt nur im Ausnahmefall eine zweite Welt-Fremd-Sprache sprechen, fallen alle Veranstaltungen von vorn herein weitgehender Ignoranz zum Opfer, bei denen keine adäquate Übersetzung gewährleistet werden kann. Dieses Problem wurde von den Teil-WSF-Organisatoren offenbar gleich in zweierlei Hinsicht falsch eingeschätzt. Einmal wurden bei bestimmten – für besonders wichtig erachteten – Veranstaltungen hochbezahlte professionelle Dolmetscher eingesetzt, die dann mitunter zusammen mit freiwilligen, kaum oder gar nicht bezahlten, aber keineswegs schlechteren Kolleginnen und Kollegen arbeiteten. Dies hatte heftige Kontroversen und zeitweise sogar einen Streik der freiwilligen Dolmetscher zur Folge. Zum anderen waren die technischen Voraussetzungen oft völlig unzureichend. Weder konnte eine hinreichende (Übertragungs-)Qualität gesichert noch die nötige Zahl von Endgeräten bereitgestellt werden.