Publikation Globalisierung - Soziale Bewegungen / Organisierung Viertes Europäisches Sozialforum. In Wien wurden jetzt die Weichen gestellt

von Erhard Crome. Text der Woche 02/2006

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Erhard Crome,

Erschienen

Januar 2006

Das vierte Europäische Sozialforum war ursprünglich für Anfang April geplant. Dann wurde der Termin für die Wahlen in Italien festgelegt. Die italienischen Linken wünschten nun eine Terminverschiebung des Forums; immerhin ist die Abwahl des Berlusconi ein gesamteuropäisches Anliegen. Dem stimmten die meisten ESF-Aktivisten in Europa zu, auch im griechischen Vorbereitungskomitee, nur wurde dann die obligate Frage der Basisdemokratie gestellt: wer ist wie berechtigt, einen solchen Änderungsbeschluss zu fassen? Das könne nur eine ordentlich einberufene Europäische Vorbereitungsversammlung tun. Die fand nun vom 5. bis 8. Januar in Wien statt. Nach mehreren Konsultationsrunden wurde hier Konsens erzielt: das vierte Sozialforum Europas findet vom 4. bis 7. Mai in Athen statt.
Die Formate wurden bei den bisherigen Foren in Florenz, Paris und London erprobt: viele Seminare und Workshops zu den unterschiedlichsten Themen der Globalisierungskritik und des Kampfes für Frieden, demokratische und Menschenrechte sowie Gerechtigkeit. Im Unterschied zu den früheren Foren sollen jedoch weniger Großveranstaltungen stattfinden, zumindest weniger große Plenarveranstaltungen, auf denen mehr oder weniger berühmte Leute aneinander vorbeireden oder zumindest nicht miteinander reden. Großveranstaltungen werden stärker als künstlerische Ereignisse gedacht oder als politische Bekundungen. Über Themen wie Gestaltung dieser Großveranstaltungen wurde noch kein Einvernehmen erzielt. Das soll in der nächsten Etappe der Vorbereitung geschehen.

Einerseits hoben viele hervor, dass Diskussionen über „nationale“ Rednerquoten und ihre Ausfüllung, die die Vorbereitungsdebatten der internationalen Programmgruppe für Paris und London oft so unerquicklich bis in die tiefe Nacht geprägt hatten, nicht wiederholt werden sollen und von den griechischen Vorbereitungsnetzwerken kreative Ideen erwartet werden. Andererseits wurde auch in Wien nochmals betont, die letztlichen Entscheidungen dazu müssten auf europäischer Ebene fallen. Die Inhalte sollen in die europäischen Kontexte passen und zugleich in die aktuellen politischen Auseinandersetzungen in Griechenland.
Die Themenvielfalt der bisher bereits angemeldeten Seminare und Workshops ist bereits jetzt sehr groß, darunter: Krieg und Frieden; die Rolle Europas in der Globalisierung; Migranten in Europa; Rassismus und Rechtsextremismus; soziale Menschenrechte; Gemeingüter und öffentliche Dienstleistungen; Arbeitslosigkeit und Rechte der Arbeitenden; Umwelt, Landwirtschaft und Nahrungssicherheit. Bis zum 20. Februar besteht weiter die Möglichkeit, Veranstaltungen anzumelden, sollen ähnlich gelagerte Themen aber auch zusammengeführt werden.

Ein Themenbereich wurde in Wien besonders herausgehoben: Wie soll es mit den sozialen Bewegungen weitergehen, seit den Zapatistas und seit in Seattle vor sieben Jahren anlässlich einer Tagung der Welthandelsorganisation erstmals gegen die selbsternannten Herren der Welt und ihre Politik massenhaft demonstriert wurde. Sozialforum könne nicht nur heißen, freundlich zu reden, während jene die Welt durchgreifend in ihrem Sinne zu ändern trachten.
Ein anderes zentrales Diskussionsthema war die Verfasstheit Europas. In den Debatten zur politischen Lage wurde deutlich, die Äußerungen von Frau Merkel zur EU-Verfassung werden sehr ernst genommen. Offenbar will die deutsche Regierung den Franzosen doch ein erneutes Plebiszit aufzwingen, um es passend zu machen. Die sozialen Bewegungen stellen dem das Projekt einer „Charta für ein anderes Europa“ entgegen. Sie soll nicht geographisch begrenzt sein, sondern ein Gesamteuropa sozialer und politischer Werte umreißen, Prinzipien, auf denen ein Europa der Gerechtigkeit in einer Welt des Friedens errichtet werden soll. Eine internationale Konferenz hatte im November 2005 in Florenz erste Ergebnisse gebracht. Die so entstandenen Texte wurden in Wien erneut diskutiert. Sie sollen dann in Athen in größerem Rahmen debattiert und schließlich einer breiten europäischen Öffentlichkeit unterbreitet werden.

Die nächste Vorbereitungsversammlung für das vierte ESF wird vom 2. bis 5. März in Frankfurt am Main stattfinden. Freunde aus verschiedenen Ländern stellten in Wien auch die Frage, ob nicht das fünfte Europäische Sozialforum ebenfalls in Deutschland veranstaltet werden könnte. Die Rolle der in Deutschland Herrschenden in Europa einerseits und der nunmehrige Stand der Linken hierzulande andererseits müssten dies doch nahe legen. Dies ernsthaft zu prüfen, wurde den Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Deutschland dringend angeraten.