Publikation Gesellschaftstheorie - Kultur / Medien Wir müssen uns alle zurückkaufen

Out of this World: Zum dritten Mal Science-Fiction, Politik & Utopie in Bremen 2003

Information

Reihe

Online-Publ.

Autor

Christoph Spehr,

Erschienen

Juni 2003

Thema:

Out of this World 3

Kongress zu Science Fiction, Politik, Utopie

Termin:

Bremen, 27.-29.06.2003

VeranstalterInnen:

Rosa-Luxemburg-Stiftung (Berlin),

in Zusammenarbeit mit IntKom (Bremen),

Medien-Coop Bremen, Rosa-Luxemburg-Initiative (Bremen)

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„Es ist wenig bekannt, dass ‚Empire‘ von Negri/Hardt ursprünglich noch 500 Seiten länger war – auf denen genau beschrieben wurde, wie man den Kapitalismus wirklich los wird und was alle dabei zu tun haben. Leider gingen diese Seiten durch einen bedauerlichen Unfall verloren, so dass für den Schluss nur der Verweis auf das gute alte Weltproletariat übrig blieb, das man jetzt ‚Multitude‘ nennt.“ Wo erfährt man solche bizarren „Enthüllungen“? Natürlich auf dem Kongress „Out of this world – Science-Fiction, Politik und Utopie“, der vom 27. bis 29. Juni bereits zum dritten Mal in Bremen stattfand!

Die enge Beziehung zwischen gesellschaftlichen Utopien und Popkultur, die den roten Faden von „ootw“ bildet, war diesmal besonders augenfällig. Adé Odukoya von den „Brothers Keepers“, Dachorganisation afrodeutscher KünstlerInnen, schilderte den Werdegang und die Arbeit seiner Organisation, nachdem er ein Musikvideo gezeigt hatte, das Rassismus durch vertauschte Rollen sichtbar macht: Ein junger weißer Mann bewegt sich durch ein „schwarzes“ Deutschland – zwischen Polizeikontrollen und Menschen, die einem das Wechselgeld lieber nicht in die Hand geben möchten. Auf dem Sonntags-Panel zu „Matrix Reloaded“ wurde ausgiebig beratschlagt, wie die Fortsetzung des Action-Blockbusters die historischen Möglichkeiten politischen Widerstands diskutiert: Ist die revolutionäre Organisation (ja, so was gibt es im Science-Fiction-Kino!) nur ein Kniff des Herrschaftssystems, um Widerstand zu bündeln und dadurch leichter wieder vernichten zu können – in einer historischen Endlosschleife? Oder führt die Geschichte der Niederlagen letztlich doch zum Sieg, weil auf Erfahrungen und Veränderungen aufgebaut werden kann? Ob wiederum das Erstarken patriarchaler Bildwelten und Handlungsmuster in gängigen Science-Fiction-Serien ein Ausdruck dafür ist, dass die utopische Kraft des Feminismus eben auch im Gesellschaftlichen derzeit etwas erlahmt ist, war – üppig bebildert mit Filmausschnitten – Thema von Alexandra Rainer und Nadja Sennewald in der Sektion zu „Gender Fiction“.

Das thematische Feld des Kongresses ist erneut breiter geworden: von der Phantastik in der afrikanischen Gegenwartsliteratur bis zur angelsächsischen Horror-Literatur, von Star Trek bis zu Joseph Beuys. Wem das alles zu blumig war, der konnte sich einem sehr konkreten und kollektiv erarbeiteten Workshop zu Utopien in der Arbeitswelt („Work fiction“) unterziehen.

Das klingt unzusammenhängender, als es ist. Das Thema des Horror-Referats, das Verdrängen und Wieder-Sichtbarmachen realer gesellschaftlicher Gewalt, hallte als ganz realer Horror im Brothers-Keepers-Vortrag wider, deren Gründung auf den rassistischen Mord an dem Mosambiquaner Alberto Adriano zurückgeht. Die schmerzliche Erkenntnis Franz Fühmanns, dass man sich dem Sozialismus nicht einfach „zur Verfügung stellen“ kann, sondern ihn in meist mühsamen Prozessen selber machen muss (in Lutz Kirschners kleinem, aber feinem Workshop zu Fühmanns „Saiäns-Fiktschen“-Erzählungen), nahm in überraschender Weise das Thema des Videos auf, das zu Beginn des Kongresses gezeigt wurde. „The p-files, Folge 1“ (wieder eine Eigenproduktion des Bremer Luxemburg-Clubs, in der eben auch Hardt und Negri „auftreten“), setzt sich schräg und lästerlich mit ökonomischen Fragen und linker Theorie-Verliebtheit auseinander, um zum Schluss zu kommen, dass die mühsame Arbeit der Wiederaneignung angesagt ist: „Wir müssen uns alle zurückkaufen.“

Die TeilnehmerInnen beklagten die späte Bewerbung des Kongresses, wünschten sich aber ansonsten unumwunden eine Fortsetzung mit „ootw4“ im nächsten Jahr. Dem schloss sich auch Science-Fiction-Autor Marcus Hammerschmitt, einer der Stammgäste des Kongresses, in seinem lesenswerten Teleopolis-Artikel zum Kongress an („Zukunftsschaffende wie du und ich“ in Telepolis, 1.7.2003). Oder, wie Bodo Palmer von transfiction.trek.net aus Frankfurt es zum Abschluss formuliert hatte: „Wir haben da eine fette Entwicklung am Start.“