Publikation Globalisierung Wer regiert das Geld?

Die Europäische Zentralbank - Macht außer Kontrolle. Gemeinsame internationale Konferenz der Fraktion GUE/NGL und der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Information

Reihe

Online-Publ.

Autorin

Sabine Reiner,

Erschienen

Dezember 2001

Materialien zur Konferenz

Konferenz im Offenen Kanal Berlin (Sonderkanal 8 im Berliner Kabelnetz):

5. November 2001, ab 10:00 Uhr (Teil 1)

16. November 2001, ab 10:00 Uhr (Teil 2)

eine Wiederholung wird gesendet am

13. Dezember 2001, ab 21:00 Uhr (Teil 1)

14. Dezember 2001, ab 21:00 Uhr (Teil 2)

Die Europäische Zentralbank - Macht außer Kontrolle?
Gemeinsame internationale Konferenz der Fraktion GUE/NGL und der Rosa-Luxemburg-Stiftung

(Konferenzbericht, erschienen in rls nachrichten, Dezember 2001)

Kaum weniger erwartungsvoll als die US-Bevölkerung auf "ihren Magier" Alan Greenspan schielen die Europäer/innen auf die Europäische Zentralbank (EZB) und deren Chef Wim Duisenberg. Wird es ein deutliches Zinssignal geben oder wieder nur einen Tippelschritt von 0,25%? Die Börsen reagieren prompt und die Erwerbstätigen haben meist das Nachsehen: Eine Zinserhöhung erfolgt, wenn die Banker irgendwo Inflationsgefahr lauern sehen, für die in der Regel unbotmäßige Lohnforderungen verantwortlich gemacht werden; mit Zinssenkungen, wie jener vom 8.11.01, regieren Zentralbanken auf Konjunkturflauten und Beschäftigungseinbrüche.

Die europäische Geldpolitik wurde auf der internationalen Konferenz "Die Europäische Zentralbank - Macht außer Kontrolle?" am 8. und 9. November 2001 in Berlin diskutiert. Die Veranstalter, die Rosa-Luxemburg-Stiftung und die Fraktion der Vereinigten Linken im Europäischen Parlament (GUE/NGL), waren im Vorfeld skeptisch, ob das als spröde und speziell geltende Thema auf breites Interesse stoßen würde, doch mehr als 100 Besucher/innen zeigten, dass auch solchen Fragen aktuell eine große Bedeutung beigemessen wird. Eine Wiederbelebung und Politisierung der Diskussion über die Geldpolitik in Europa, die nach Einführung des Euro im Januar 1999 abgeebbt war, war genau das Ziel der Veranstalter. Es sollte ausgelotet werden, inwieweit Geldpolitik für die wirtschaftlichen Probleme in Europa mit verantwortlich ist und eine andere Politik entsprechend zu deren Lösung beitragen könnte.

Als Vergleichsmaßstab für die Erfolge von Geldpolitik wird seit einigen Jahren auf die US-Zentralbank, die Federal Reserve Bank, verwiesen. Die Fed hat während des lang anhaltenden Aufschwungs die US-Ökonomie frei von Inflation halten können und bei ersten Anzeichen von Konjunkturabschwächungen sofort und mit deutlichen Zinssenkungen reagiert. Suzanne de Brunhoff (Paris) und Dean Baker (Washington) zeigten, dass der ökonomische Mainstream in den USA und Europa mit dem Monetarismus zwar einen gemeinsamen theoretischen Hintergrund hat, die Fed - im Unterschied zur EZB - sich aber pragmatisch über für sie unbrauchbare Theorieelemente (wie Geldmengentheorie oder NAIRU) hinwegsetzte. Möglicherweise ist nun jedoch auch die US-Geldpolitik am Ende ihres Lateins, da bei einem größeren Konjunktureinbruch zusätzliche fiskalpolitische Maßnahmen notwendig würden, auf die Baker zwar hofft, angesichts der Mehrheitsverhältnisse in den USA ist er aber skeptisch, ob sie erfolgen werden.

Mit der Einführung des Euro hat die EU, Bedingungen geschaffen, die in den USA und Japan längst vorhanden waren: eine einheitliche Währung für einen einheitlichen Binnenmarkt. Doch woran orientiert sich die europäische Geldpolitik, woran sollte und woran kann sie sich orientieren. Dies wurde durchaus kontrovers diskutiert. Hansjörg Herr und Michael Heine (Berlin) vermuten, dass sich die EZB, wenn auch nicht erklärtermaßen, weder am Geldmengen- noch am Inflationsziel sondern am Wechselkurs des Euro orientiert hat. Auch sie räumen ein, dass die EZB angesichts stabiler Lohnentwicklungen Spielraum für Zinssenkungen insbesondere in den letzten Monaten gehabt hätte, halten aber die Wechselkursorientierung für richtig, da der Euro als junge Währung zunächst durch Stabilität Vertrauen auf den Geldmärkten gewinnen müsse.

Relative Einigkeit bestand darüber, dass sich Europa mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt und den Kriterien des Maastrichter Vertrags selbst eine Zwangsjacke angelegt hat. Das mittelfristige Inflationsziel von 2% wurde als willkürlich und zu eng kritisiert, da Konjukturschübe meist mit Preissteigerungen verbunden sind und ein schnelles geldpolitisches Bremsen dann kontraproduktiv wirkt. Insbesondere für ökonomisch schwächere Länder und die Beitrittskandidaten in Mittel- und Osteuropa erweisen sich die Kriterien als schwer erfüllbar und als Hindernisse bei der angestrebten Konvergenz (Klaus Steinitz, Berlin). Marica Frangakis (Athen) zeigte am Beispiel Griechenland, wie es zwar gelang, Fortschritte im Integrationsprozess zu erreichen, dies aber auf Kosten von Beschäftigung und Einkommensverteilung geschah. Konvergenz dürfe sich nicht auf fiskalische und monetäre beschränken, um den Angleichungsprozess auch künftig am Leben zu erhalten. Wolle man zynisch sein, so Karl Betz (Berlin) in diesem Zusammenhang, könnten die niedrigen Wachstumsraten in den "reicheren" und höhere Inflationsraten in den "ärmeren" Ländern als Zeichen von Konvergenz gewertet werden.

Im Verlauf der Konferenz wurden verschiedene konkrete Alternativen zur EZB-Politik im engeren Sinn aber auch allgemeiner auf makroökonomische Politik bezogen diskutiert. Sehr konkret ist der Vorschlag, mit differenzierten Zinssätzen die Geldpolitik dahingehend zu nutzen, dass soziale, besonders beschäftigungswirksame oder ökologische Projekte bevorzugt und zu günstigen Konditionen finanziert werden könnten (Denis Durand, Paris). Generell würde mehr Transparenz z.B. durch Veröffentlichung der Sitzungsprotokolle der EZB zu deren Politisierung beitragen. Die "Expertokratie" in der Konstruktion der EZB spiegelt für Jörg Huffschmid (Bremen) das autoritäre Weltbild des Neoliberalismus, das von einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber demokratischen Strukturen geprägt ist, bzw. gegenüber "den Massen", wie Hayek sich ausgedrückt habe. Die Autonomie von Zentralbanken wurde dagegen nicht gänzlich infrage gestellt. Allerdings sei das Autonomieverständnis zu hinterfragen. In keinem anderen Politikbereich definiere eine Institution ihre Aufgabe selbst und kontrolliere sich zugleich. Als Alternative schlug Stefan Collignon (London) vor, könne man z.B. den Regierungen die Definition von Preisniveaustabilität überlassen und den Zentralbanken lediglich autonom die Erfüllung des entsprechenden Zieles überlassen.

Geldpolitik alleine kann keine Wende hin zu einer expansiveren beschäftigungsorientierten Wirtschaftspolitik bringen - so die überwiegende Meinung. Hierzu sind fiskal- und strukturpolitische Impulse nötig (Christa Luft, Berlin) sowie eine grundlegende Änderung in der Verteilungspolitik (Michael Schlecht, Berlin). Zentralbanken sind jedoch, so insistierte vor allem Heiner Flassbeck (Genf) die strategische Institution, die solche Initiativen mit restriktiver Politik blockieren oder zunichte machen kann: gegen die EZB ist in Europa alternative Wirtschaftspolitik nicht möglich.

Die EU befindet sich gegenwärtig in einer Sinnkrise, konstatierten Helmuth Markov und Francis Wurtz von GUE/NGL. Die Bevölkerung fragt sich, welche Vorteile das europäische Projekt bringt, denn bisher ist ein gerechtes Europa nicht in Sicht. Als Alternative zur allumfassenden Marktideologie muss eine Rückkehr der Politik erfolgen. Im gleichen Sinne aber drastischer hatte zuvor Stephan Schulmeister formuliert: die Entfesselung der Finanzmärkte hat zur Selbstfesselung der Politik geführt. Die Selbstfesselung und Sachzwanglogik verliert allerdings zunehmend an Akzeptanz, wie eine gewisse Dissidenz "von oben" und die neuen sozialen Bewegungen gegen die neoliberale Form der Globalisierung "von unten" zeigen. Peter Wahl (Bonn) wagt deshalb, gegenwärtig von einem "window of opportunity" zu sprechen, einer historischen Konstellation, in der Veränderungen in Reichweite scheinen. Die EZB ist in diesen Kontext einzuordnen und entsprechend bereits auf dem Monitor nicht nur der RLS und von GUE/NGL sondern auch von Attac.