Das Thema: Drittes Vorbereitungstreffen für das Europäische Sozialforum in Thessaloniki 13./14. Juli 2002
Die heutige Welt scheint alternativlos fest gefügt. Der Euro und der US-Dollar liegen jetzt etwa gleichauf; trotz Konkurrenz, zusammen dominieren sie die internationale Finanzwelt. Die USA werden im nächsten Jahr mehr Geld für Rüstung ausgeben, als die Staaten, die die 15 nächstgrößten Armeen unterhalten, zusammen genommen. Widerstand scheint zwecklos, nach dem Ende des Kommunismus das derzeitig Existierende auch alternativlos. Vergleiche mit dem Römischen Reich haben im Moment feuilletonistische Konjunktur.
Trotz alledem geht ein Ruf um, der da lautet: "Eine andere Welt ist möglich!" Seinen Ausgang nahm er in Porto Alegre. Das Weltsozialforum, das dort vom 31. Januar bis zum 5. Februar 2002 zum zweiten Mal stattgefunden hatte, regte an, regionale Sozialforen zu veranstalten. Das europäische wird vom 7. bis 10. November in Florenz sein. In Thessaloniki tagte am 13. und 14. Juli das dritte europaweite, offene Vorbereitungstreffen für das Europäische Sozialforum. Wie schon im Mai in Wien, hatten sich etwa 250 Menschen versammelt, um Zielrichtung, Programm und Organisation des Sozialforums zu debattieren.
Der Anteil der griechischen Teilnehmer machte etwa die Hälfte der Anwesenden aus, etliche Debatten verliefen recht kontrovers. Die Linke Griechenlands, die in unterschiedlichen Formationen von Gewerkschaftern, Parteien und Nichtregierungsorganisationen in Erscheinung trat, focht zeitweilig politische und programmatische Differenzen untereinander aus. Sie leidet, wie die Linke Europas überhaupt, nach wie vor unter dem Fiasko des Kommunismus von 1989/91, dem weithin neoliberalen Agieren der Sozialdemokratie und dem Druck der großen Konzerne und der konservativen Politik. Dank der geschickten Moderation, vor allem der griechischen und italienischen Tagungsleitung, fand das Treffen jedoch bald zur allseits erstrebten sachlichen Arbeit.
Das Konferenzzentrum in Florenz verfügt über mehrere Säle mit bis zu 2.000 Plätzen sowie zahlreiche kleinere Räume, die bis zu 500 Plätze haben. Erwartet werden an die 50.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Sozialforums. An drei Tagen werden vormittags jeweils sechs Konferenzen stattfinden. Sie werden, so wurde in Thessaloniki nun beschlossen, um drei inhaltliche Achsen gruppiert: Globalisierung und Liberalismus, Krieg und Frieden sowie Bürgerrechte, Menschenrechte und Demokratie. Die Konferenzen werden in Verantwortung des italienischen Vorbereitungskomitees in Verbindung mit einer internationalen Arbeitsgruppe inhaltlich konzipiert und mit jeweils unterschiedlichen Rednern aus verschiedenen Ländern besetzt. Zugleich sollen sie viel Raum für Diskussionen bieten. Nachmittags finden jeden Tag bis zu 50 Seminare und Workshops statt, die von teilnehmenden Organisationen oder Gruppen vorbereitet werden. Abends werden Diskussionsangebote gemacht, so unter der Rubrik: "Dialoge" zum Verhältnis von "neuen" sozialen Bewegungen einerseits und politischen Parteien, "alten" Gewerkschaften und politischen Institutionen andererseits. Unter dem Motto: "Alternativen" sollen gewaltloser Widerstand, ziviler Ungehorsam und neue Erfahrungen bei der Austragung sozialer Konflikte debattiert werden. Wie kann der Sozialstaat verteidigt werden? Was ist mit dem Schutz der Rechte aller Menschen in Europa?
Ein Hauptpunkt der Diskussionen in Thessaloniki war die Sorge um neuerlichen Krieg, nun der USA und ihrer Föderaten gegen den Irak. Eigentlich stellte niemand die Frage, ob er denn kommen wird, sondern die Debatte ging darum, wann er kommt, mit welcher Gewalt und was dagegen zu tun ist. Wird er im Oktober ausbrechen, und also während des Sozialforums schon toben? Dann ist der Krieg das Hauptthema. Oder wird er erst im Frühjahr angeordnet? Dann wird das "Sozial"-Forum sich auch hauptsächlich mit den sozialen Fragen im Gefolge der realkapitalistischen Globalisierung beschäftigen, wenngleich das Damoklesschwert des Krieges über allem schwebt. Wie auch immer, die eigene Positionsbestimmung steht in einem Dilemma, man kann sich ja schlecht mit Saddam Hussein solidarisieren, wie schon mit Milosevic oder den Taliban nicht. Zugleich aber ist klar, dass Krieg nicht die Antwort sein kann. In dieser Frage gab es keine Differenzen.
Sozialforum in Europa, das heißt auch: Europa kann nicht für sich betrachtet werden. "Ein anderes Europa für eine andere Welt!" Das wäre der Blickwinkel unter der Perspektive zunächst des Europas der EU: Eintreten für friedliche Beilegung internationaler Konflikte, Lösung der sozialen Fragen im Innern, keine "Festung Europa" gegen Migrantinnen und Migranten, soziale und ökologische Nachhaltigkeit des Wirtschaftens, eine dauerhafte Besserstellung der südlichen Länder. Es soll dem EU-Europa des Kapitals das der Solidarität entgegengestellt werden. Europäisches Sozialforum heißt aber auch, das ganze Europa in den Blick zu nehmen. Die Verwerfungen in den postkommunistischen Gesellschaften im Osten Europas gehören dazu und sind Teil dessen, worüber auf einem gesamteuropäischen Forum zu reden ist. Dazu gehört die kritische Betrachtung der EU-Osterweiterung. Können wir noch verhindern, dass die Völker des Ostens einen Beitritt "Zweiter Klasse" bekommen? Was wird die NATO-Erweiterung für den Frieden in Europa bedeuten? Kann Russland in gesamteuropäische Strukturen des Friedens und der Zusammenarbeit einbezogen werden?
Sozialforum im Sinne der Erklärung von Porto Alegre heißt, die Dinge von unten betrachten. Es werden nicht "Globalisierungsgegner" sein, die sich in Florenz treffen, sondern Gegner der derzeitigen finanzkapitalistisch dominierten Globalisierung. Und es kann keine akademische Veranstaltung sein. Es ist Ratschlag und politische Bekundung von Menschen unterschiedlicher Herkunft, sozialer Lage und unterschiedlichen Alters; angestrebt wird, dass Frauen in gleichem Maße aktiv agieren, wie Männer. (Der diesbezügliche Appell zielte auf eine 50-%-Quote.) Ende September in Barcelona wird noch einmal ein großes Vorbereitungstreffen die letzten Programmpunkte verhandeln. Den Termin in Florenz sollte man sich jedoch schon vormerken.
Macht braucht Gegenmacht, wenn sie eingeschränkt werden soll. "Eine andere Welt ist möglich" - wenn diese Idee die Menschen ergreift. Das neoliberale Gerede von der vorgeblichen Alternativlosigkeit ist Absicht. Es soll entmutigen. Der "Geist von Porto Alegre" meint gegenseitige Ermutigung.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung versteht sich seit Porto Alegre als Teil der Bewegung des Sozialforums. Wir unterstützen den Aufruf für das Europäische Sozialforum und die Gründung eines deutschen Sozialforums. Alle unsere Mitstreiter, Freunde, Stipendiaten - und Besucher der Web-Seite - rufen wir auf: Bringt Euch ein in das Sozialforum! Eine andere Welt ist möglich!.