Publikation Parteien / Wahlanalysen - Demokratischer Sozialismus Ohne dramatische Erfolge im Westen gibt es keinen Wiedereintritt für die PDS

Text der Woche 40/2002. von Christoph Spehr

Information

Reihe

Online-Publ.

Autor

Christoph Spehr,

Erschienen

September 2002

Text der Woche 40/2002

Zahlen, Analyse und Thesen zur Bundestagswahl 2002

1. Ergebnisse

 

1.1 Das Wahlergebnis: Rot-Grün bestätigt

Stellen wir uns der Einfachheit halber die WählerInnenschaft als ein einzelnes Wesen vor, sozusagen den ideellen Gesamtwähler, dann können wir seine Entscheidungen wie folgt beschreiben: Die WählerInnenschaft hat sich für einen Fortbestand der rot-grünen Regierungskoalition entschieden, wenn auch nur knapp: 579.712 Stimmen mehr erhielten SPD/Grüne als Union/FDP. Sie hat die SPD weiterhin zur stärksten Partei gemacht, wenn auch noch knapper: 8.870 Stimmen mehr erhielt die SPD als CDU/CSU. Sie hat deutlich gemacht, dass sie ein stärkeres Gewicht der Grünen in der Regierungspolitik wünscht, und sie hat die FDP auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt: Zuwächse ja, aber das Phantom der dritten Kraft ins Reich der Lächerlichkeit gewiesen. Der Fortbestand der Regierung war der WählerInnenschaft letztlich wichtiger als erhebliche, im Stimmenzuwachs des bürgerlichen Lagers verkörperten Bedenken angesichts der "wirtschaftlichen Lage" und der hohen Arbeitslosigkeit. Und er war ihr wichtiger als der Verbleib der PDS im Parlament.

 

1.2 Wählerwanderungen: Rechtsruck

Die Wahl des 22.9.2002 läßt sich, verglichen mit der Bundestagswahl vor 4 Jahren, anhand der Netto-WählerInnenwanderungen vereinfacht so darstellen:

  • Die SPD verlor ca. 1.620.000 Stimmen an CDU/CSU und FDP. Außerdem verloren SPD, Grüne und PDS zusammen ca. 730.000 Stimmen ans Lager der NichtwählerInnen, während CDU/CSU und FDP ca. 400.000 Stimmen von sonstigen, überwiegend rechten Parteien hinzugewannen.
  • Während zwischen CDU/CSU und FDP keine nennenswerten Wanderungen stattfanden (und auch nicht zwischen Grünen, PDS, CDU/CSU und FDP), gab es zwischen SPD, Grünen und PDS massive Verschiebungen: Die PDS verlor ca. 290.000 Stimmen an die SPD, während die SPD wiederum ca. 500.000 Stimmen an die Grünen verlor.
  • Von den 1.620.000 Stimmen, die die SPD ans bürgerliche Lager verlor, gingen 370.000 zur FDP, ca. 1.000.000 an die CSU, aber nur ca. 250.000 an die CDU.

 

2. Analyse

 

2.1 Amerikanisierung?

Offensichtlich findet in der BTW 2002 eine Verschiebung des WählerInnen-Verhaltens ihren Ausdruck: Die WählerInnen entscheiden zuerst zwischen linkem und rechtem Block, d.h. über eine Regierung. Die Blöcke stehen sich dabei ähnlich gegenüber wie Demokraten und Republikaner in den USA, repräsentiert durch die Kanzlerkandidaten. Dies führt jedoch trotz Kandidaten-Duell im Fernsehen nicht dazu, dass die kleineren Parteien abnehmen würden; Grüne wie FDP haben zugelegt. In zweiter Linie wird dann innerhalb der Blöcke die Stimme gesteuert. Dies ist ein ziemlich realistisches Verhalten. Für die FDP hat sich dementsprechend ungünstig ausgewirkt, dass sie keine Koalitionsaussage machen wollte, ebenfalls wurde die Aufstellung eines Kanzlerkandidaten Westerwelle als absurd empfunden. Das Wahlverhalten "erst Block, dann Akzent" kann für die kleineren Parteien im Prinzip durchaus günstig sein, da es ihnen leichter fällt, sich inhaltlich zu positionieren, während die großen Parteien hauptsächlich darauf achten müssen, nirgends anzuecken.

 

2.2 Der Wahlkrimi

In Abwesenheit großer Themen und Bewegungen stellt sich durch die Blockbildung ein struktureller Hang zum knappen Ergebnis ein, wie auch in den USA. Die Milieubindung des WählerInnen-Verhaltens sinkt, weshalb die beiden Blöcke - insbesondere die großen Parteien - ein kompliziertes Bündnis verschiedener Interessen vertreten müssen, um mehrheitsfähig zu werden. Damit geht trotz verbaler Kraftakte eine immer stärkere Annäherung der Positionen einher, weil um dieselben (Wechsel-)WählerInnen gerungen wird. Die zahlenmäßige Dramatik des "Wahlkrimis" steht deshalb in einem drolligen Kontrast zur Tatsache, dass eine politische Dramatik kaum erkennbar ist: eine Richtungsentscheidung findet nicht statt, so oder so.

Der strukturelle Hang zum knappen Ergebnis ergibt sich auch daraus, dass die "Abnutzung" der bestehenden Regierung (sie muss mehr WählerInnen verprellen als die Opposition, die ja keine Regierungsentscheidungen zu verantworten hat) stärker wiegt als der alte "Kanzlerbonus".

Schröder hat also vollkommen recht, wenn er sagt "Mehrheit ist Mehrheit". Aus dem knappen Ergebnis läßt sich keine spezifische Schwächung der Regierungskoalition ablesen. Der Trend "Regierungsabnutzung statt Kanzlerbonus" ist langfristig positiv zu sehen, weil es für ein realistisches WählerInnenverhalten steht und für eine Abnahme nationalistischer Identifikation mit "der Regierung".

 

2.3 Kurz- und langfristige Trends

Kurzfristige Trends haben, ablesbar am Unterschied des Wahlergebnisses zu den Prognosen, eine erheblich geringere Rolle gespielt als angenommen. Während die Umfragen einen Umschwung erst zur Union, dann wieder zur SPD suggerierten, ist wahrscheinlich gar nichts passiert: die WählerInnen unterscheiden recht genau ihre aktuelle Stimmung von ihrer langfristigen Wahlentscheidung.

Entsprechend relativiert werden muss daher der Einfluss von Sonderfaktoren wie Flutkatastrophe und drohendem Irak-Krieg. Hier zeigte sich auch, dass es wenig Spielraum für taktische Manöver und "Tricks" gibt. Es gab drei solcher Manöver: den Versuch der Union, die Zuwanderung als Thema aufzuwärmen; den Versuch Möllemanns, an antisemitische Positionen anzuknüpfen; und den Versuch Schröders, das Irak-Thema für sich zu nutzen. Die ersten beiden scheiterten kläglich, der dritte war erfolgreich, aus dem einfachen Grund, weil es für die ersten beiden Versuche keinen Rückhalt im WählerInnen-Bewusstsein gab, für den dritten dagegen sehr wohl. Die manipulativen Möglichkeiten im Wahlkampf dürfen daher nicht überschätzt werden, auch wenn die Medien jetzt gerne darüber schreiben, um sich durch "Selbstkritik" ihre eigene Wichtigkeit zu attestieren.

 

2.4 Die Parteien

Die SPD ist nicht von ungefähr die Drehscheibe der WählerInnen-Wanderung. Sie ist derzeit unbestritten die zentrale Partei der BRD und hat sich in den letzten Jahren parteistrategisch erfolgreich modernisiert. Sie erhält annähernd die gleichen Prozentzahlen bei den verschiedenen Altersgruppen, bei Männern und Frauen, in Ost und West, und weitgehend auch quer durch die Berufsgruppen und ist damit die gesamtdeutsche Partei schlechthin. Auch Grüne und FDP stehen für die Zukunft günstig da; sie erhalten höhere Zustimmung bei den jüngeren Altersgruppen und mit zunehmendem Bildungsgrad, was für den langfristigen Einfluss wichtig ist. Die CDU hat dagegen ein Problem. Nicht die PDS ist die Partei der Rentner, sondern die CDU. Die CDU hat deutliche Akzeptanzprobleme bei den Jüngeren und bei den besser Gebildeten, sie wirkt erheblich unmoderner und gestriger als die SPD - spürbar auch darin, dass es wieder vermehrt KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen gibt, die sich für die Wahl der SPD exponieren. Die CDU hat jedoch erhebliches Aufholpotential im Osten; CDU und PDS sind die beiden Parteien, deren Ost- und West-Ergebnisse am stärksten voneinander abweichen.

 

3. Thesen

 

3.1 Veränderung des Wahlsystems

Das bundesdeutsche Wahlsystem verändert sich, und das ist auch gut so. Die WählerInnen gehen sehr realistisch zu Werke, das Wahlverhalten "erst Regierung, dann Akzent" maximiert die Wirkung der eigenen Stimme. Gerade eingedenk der Tatsache, dass 1998 zum ersten Mal eine Bundesregierung nicht durch Koalitionswechsel der FDP, sondern durch Abwahl ausgewechselt wurde, läßt sich der beschriebene Trend als Rationalisierung und Demokratisierung deuten - mit allen Stärken und Schwächen, die das hat. Auch das Benutzen außenpolitischer Themen im Wahlkampf - ein Novum für die BRD (mit Ausnahme der Ostverträge, die aber mehr als "deutsches" Thema begriffen wurden) - steht für diesen Wandel; es ist kein Ausrutscher, sondern ähnelt auffallend der Situation in den USA. Hintergrund ist die berechtigte Einschätzung der WählerInnen, dass der Kanzler auf diesem Feld relativ viel Entscheidungsspielraum hat, während die innenpolitischen Entscheidungen ohnehin in einem langen Prozess zwischen vielfältigen Interessengruppen moderiert werden müssen.

 

3.2 Rot-Grün geht's gut

Es gibt derzeit keinen Grund anzunehmen, die rot-grüne Regierung werde die Wahlperiode nicht überstehen. Es gibt auch keinen Grund, warum Rot-Grün nicht längerfristig mehrheitsfähig bleiben sollte, insbesondere solange sich die Union nicht modernisiert.

 

3.3 Merkel 2006

Trotz Applaus für den Kandidaten ist klar: Stoiber schafft es nicht. Die Mobilisierung in Bayern wiegt nicht auf, dass die CDU mit einem CSU-Kandidaten in den anderen Bundesländern stagniert. Merkel hingegen würde, falls sie innerparteilich eine Kandidatur durchsetzen kann, hier weiter in die gegnerische WählerInnenschaft vordringen und den Rückstand bei Frauen, Jüngeren und im Osten verkürzen. Für die PDS könnte sich dies als ein noch größeres Problem erweisen als der Schröder-Faktor.

 

3.4 Ost-West nähert sich an

Langfristig ist eine weitere Annäherung der Ergebnisse in den alten und in den neuen Bundesländern zu erwarten. Wie das Wahlergebnis zeigt, gibt es durchaus Spielraum für regional unterschiedliche Ergebnisse (bei der SPD zwischen 45 % im Norden und 30 % im Süden). Je länger 1990 zurückliegt, desto mehr dürfte sich aber der extreme Spagat bei CDU und PDS zwischen Ost und West abschwächen, als langfristiger Trend, dem kaum etwas entgegenzusetzen ist.

 

3.5 Was entscheidet?

Über den Wahlerfolg der Parteien entscheidet, legt man die beobachbaren Trends der letzten Wahl zugrunde:

a) Gesichter, d.h. prominente und profilierte Spitzen-KandidatInnen;

b) eine konkrete Programmatik, wofür die jeweilige Partei in Zukunft stimmen will und was sie konkret für ihre WählerInnen tun kann;

c) Image, d.h. Stil und Kultur, die mit der jeweiligen Partei in Verbindung gebracht werden;

d) die Klarheit der Aussage über ihr Verhalten zu Regierungsbildung und Mehrheiten.

Die SPD hat Schröder; sie hat soziale Gerechtigkeit und Frieden besetzt; sie gilt als "softer" und offener als die Union und steht für die "Berliner Republik", die eine etwas sensiblere Kultur mit offensiverem Weltmachtanspruch verbindet.

Die Union hatte Stoiber; sie besetzte "Wirtschaftspolitik" und "Arbeit"; sie kam unter Stoiber letztlich nicht vom Bayern-Verdikt los und identifiziert sich selbst mit dem "Südmodell" Bayern/BaWü: neoliberaler, ökonomisch "erfolgreicher", aber kulturloser, uninteressanter und intoleranter.

Die Grünen haben Fischer; sie besetzten Umwelt, Liberalität und das Gegengewicht zum Industrialisimus der SPD; sie stehen für eine in die Jahre und zu Einfluss gekommene alternative Kultur.

Die FPD hat Guido und zu ihrem Leidwesen auch noch Möllemann; sie besetzt Steuerpolitik und Bildung; sie bemüht sich um ein respektloses, jugendliches Image, dessen Seriosität jedoch bezweifelt wird.

Die WählerInnen haben sich ziemlich bewusst für das Modell "Berliner Republik" und gegen die "Wirtschaftskultur" der Union entschieden. Auch dies zeugt von einer realistischen Einschätzung, dass angesichts globaler Verflechtung die wirtschaftliche Abhängigkeit von externen Faktoren dominiert, Regierung hin, Regierung her.

 

Nun zur PDS.

 

4. Ergebnisse

 

4.1 Verluste im Osten, Stagnation im Westen

Die PDS konnte generell nicht klarmachen, wieso sie im Parlament bleiben muss und was das wem nützt. Die 5 %-Hürde hat faktisch keine Rolle gespielt, weder mobilisierend noch demobilisierend; sie hat die WählerInnen im Osten ebensowenig interessiert, wie die WählerInnen im Westen. Die PDS verlor über 600.000 Stimmen. Im Osten sank ihr Stimmenanteil von 21,6 % auf 16,8 %, im Westen von 1,2 % auf 1,1 %. Von den 1.915.797 Stimmen der PDS kommen 23 % aus dem Westen (incl. der westlich dominierten Wahlbezirke Berlins), 77 % aus dem Osten (incl. der östlich dominierten Wahlbezirke Berlins), also rund 1/4 zu 3/4.

 

4.2 Potentiale und Der Trend im Trend

Die PDS hat dennoch ihre Hochburgen im Osten wie im Westen, auch wenn diese im Westen ziemlich kleine Burgen sind. Sie hat in 61 von 299 Wahlbezirken zugelegt, fast ausnahmslos in westlichen Wahlbezirken. Dies sind in der Regel Bezirke mit SPD-Direktmandaten, in denen die Grünen besonders stark sind; es sind grundsätzlich städtische Bezirke. Die PDS ist dort stark (bzw. gewinnt), wo das linke Lager insgesamt stark ist (bzw. gewinnt), und umgekehrt. Dies gilt nicht für den Osten, wo die PDS grundsätzlich an die SPD abgibt, als die große Drehscheibe, über die u.U. eine längerfristige "Normalisierung" der Ergebnisse von CDU und PDS sich abwickelt. Die Tatsache, dass die PDS diesmal ganz stark den "Trend im Trend" abgebildet hat (also den kleinen Links/Rechtsrutsch im großen), zeigt sich auch im Kleinen wieder. Auf der Ebene von Stimmbezirken kommt die PDS z.B. in Bremen auch auf 6 oder 7 % hoch, und zwar wiederum dort, wo die Grünen extrem hohe Ergebnisse einfahren (25-35 %), insbesondere innerstädtische Bereiche.

 

5. Analyse und Thesen

 

5.1 Eine passive Rolle

Die PDS hat in der BTW 2002 letztlich eine passive Rolle gespielt. Das heißt nicht, dass sich nicht viele über die Maßen engagiert hätten; aber die PDS konnte zu keinem Zeitpunkt politisch in das Geschehen eingreifen. Sie hat die Trends zu spüren bekommen, ohne ihnen politisch etwas entgegensetzen zu können.

Die PDS hat verloren, weil sie all das derzeit nicht hat, was entscheidet (s. 3.5). Sie hat nach dem Abgang Gysis keine bundesweit prominenten und profilierten Gesichter; sie hat keine konkrete Programmatik, von der bekannt ist, dass sie sie umsetzen wird; sie hat kein klares Image; und sie hat Probleme mit der Bündnis-Aussage.

 

5.2 "Schmusekurs" und Irak-Erfolg

Die Idee, der "Schmusekurs" mit der SPD habe der PDS geschadet, geht an diesem Befund völlig vorbei, weil hier zwei Dinge verwechselt werden. Erstens muss (!) jede Partei heute klar sagen, welche Mehrheiten sie zu welchem Preis beschaffen wird, falls sie gewählt ist. Eine klare Tolerierung von Rot-Grün, eventuell mit einzelnen, klar und öffentlich definierten Bedingungen, ist die zwingende Voraussetzung, die PDS unter den Bedingungen eines block-dominierten Wahlsystems wählbar zu halten. Zweitens dagegen muss jede Partei ebenso klar sagen, wofür sie inhaltlich steht, und zwar im Sinne konkreter Vorhaben. Hier ist Abgrenzung definitiv notwendig. Die ganze Diskussion um "Regierungsfähigkeit" entpuppt sich im Nachhinein als gespenstisch an der Realität vorbei. Die Irak-Frage war vielleicht der einzige Wahlerfolg der PDS, so bitter es klingt. Mit Schröders Schwenk in der Kriegsfrage hat sich eigentlich die Frage, ob die SPD sich auf eine Tolerierung einlassen würde, faktisch erledigt. Eine PDS-Fraktion hätte jede Kröte schlucken können, um Rot-Grün statt Stoiber-Westerwelle möglich zu machen, nur nicht den nächsten Angriffskrieg. Insofern hat Schröder die Bedingung der Tolerierung praktisch vorweggenommen - um sich damit aber lieber gleich selbst wählen zu lassen, anstelle sich der Kontrolle durch einen Tolerierungspartner PDS in dieser Frage auszusetzen.

 

5.3 Gesamtdeutsche Linkspartei statt Regionalpartei Ost

Eine Regionalpartei Ost hat keine Chance, auf Dauer gewählt zu werden. Dafür sprechen die Beispiele aller anderen Versuche in diese Richtung. Langfristig kann auch nur eine gesamtdeutsche Partei im Osten Erfolg haben, weil angesichts der beschriebenen Trends und der Generationenwechsel ein reines Ost-Image irgendwann auch im Osten zum Makel werden würde.

Für eine Partei links von Rot-Grün kann es dagegen definitiv Platz geben, aufgrund des strukturellen Drangs und der bewussten Orientierung von Rot und Grün, ihre Integrationsleistung nach links weiter zu begrenzen.

 

5.4 Was sind Erfolge?

Die Chancen für 2006, wieder in den Bundestag zu kommen, stehen derzeit relativ schlecht. Niemand weiß, wo das langfristige Stimmenverhältnis West/Ost bei der PDS liegen wird - bei 3% und 12%, bei 2% und 15%, oder bei 4% und 10%? Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass die PDS im Osten wieder langfristig bei BTWn Ergebnisse von 20% erzielen kann. Der Trend zur "Normalisierung" dürfte dafür zu stark sein.

Damit kann man sich aber ausrechnen, wie stark die PDS im Westen zulegen müsste, damit es wieder für 5% insgesamt reicht. Der Schleichweg über die Direktmandate dürfte eher noch schwieriger werden als diesmal.

Der Wiedereinzug kann daher ein Ziel sein, dass langfristiger begriffen werden muss als 2006. Ob die PDS sich erfolgreich entwickelt, bemisst sich demnach hauptsächlich daran, ob sie eine Modernisierung ihrer Rolle im Wahlsystem schafft a la SPD/Grüne:

  • Steigen der Stimmenzahlen im Westen
  • in einigen West-Ländern Ergebnisse, die deutlich Schritte in Richtung 5 % darstellen, sei es bei Landes- oder Kommunalwahlen
  • Steigen der Stimmenzahlen bei Frauen, JungwählerInnen, höheren Bildungsabschlüssen in Ost und West

Voraussetzungen dafür sind

  • Aufbau von Personen;
  • konkrete Programmatik. Die PDS wird immer noch aus "komplizierten" oder "uneigentlichen" Gründen gewählt (Ost-Identifikation; "eine Partei links von Rot-Grün bewahren/aufbauen"; "anti-kapitalistischen Positionen eine Heimat bieten"). Dies alles sind gute Gründe, in eine Partei einzutreten oder drin zu bleiben; es sind aber für WählerInnen, die mit ihrer Stimme den optimalen Nutzen für sich realisieren wollen, letztlich relativ uninteressante Gründe;
  • klares und berechenbares Koalitions- und Tolerierungsverhalten, offen ausgetragen, und im Bund zugunsten einer Tolerierung von Rot-Grün mit ganz wenigen, offen angekündigten und erfüllbaren Bedingungen;
  • Arbeit an der "corporate identity", d.h. auch weiterer Auf- und Ausbau eines Parteiumfelds.

Für den Osten lassen sich dagegen aus meiner Sicht schwer Gesamtziele definieren, weil niemand sagen kann, wie stark und wie schnell sich der gesamtdeutsche "Normalisierungstrend" auswirkt, und dies nur zu geringem Teil in der Hand der PDS liegt.

 

5.5 Was ist normal?

Die PDS kämpft darum, was genau "Normalisierung" des bundesdeutschen Wahlsystems heißen wird. Dabei geht es nicht nur um den Erhalt stärkerer Verankerung im Osten, sondern vor allem um die in Normalität zusätzlicher Linksparteien bzw. (links-)sozialistischer Parteien. In mehreren Ländern Europas gehört dies zur Normalität, und genau das wäre die Veränderung, die die PDS langfristig für Deutschland bewirken würde. Das heißt, dass die Analyse dessen, wie dies anderswo funktioniert, mit Entschiedenheit zu betreiben wäre: von Italien und Dänemark lernen, heißt siegen lernen!

Die sehr viel rationaler und nüchterner gewordenen WählerInnen werden sich immer schwerer tun, die PDS aus den bislang dominierenden "uneigentlichen" Gründen zu wählen, so gut sie auch sein mögen. Die PDS wird deshalb noch stärker lernen müssen zu unterscheiden zwischen sich als Partei, deren Ziele und Arbeit nicht auf Parlamente beschränkt ist, und der notwendigen Arbeit, sich zusätzlich auch wählbar zu machen, was rationale, nüchterne und greifbare Nutzenbeschreibungen erfordert. Beides ist notwendig. Beides reibt sich auch öfters. Dass dies zur Normalität gehört, daran kann jedenfalls kein Zweifel bestehen für eine Partei, die langfristig von mehr als zweieinhalb Millionen WählerInnen ein Kreuzchen haben möchte.

 

Anhang 1: Netto-Wählerwanderung im Überblick

A) Nichtw. 730.00 SPD/Grüne/PDS 1.620.000 CDU/CSU/FPD 400.000 SONST.

B) PDS 290.000 SPD 500.000 Grüne

 

Anhang 2: PDS-Ergebnisse in den Ländern nach %

(Klammer: Gewinne/Verluste zu 1998)

1. Berlin-Ost 21.2 %(-4.1)
2. Brandenburg17.2 % (-3.1)
3. Thüringen17.0 %(-4.3)
4. Meckl-Vorp. 16.3 % (-7.3)
5. Sachsen16.2 % (-3.8)
6. Sachsen-Anhalt14.4 % (-6.3)
7. Berlin-West 2.3 % (-0.1)
8. Bremen2.3 % (-0.2)
9. Hamburg2.1 % (-0.2)
10. Saarland1.4 % (+ 0.4)
11. Schleswig-Hol. 1.3 % (-0.2)
12. Hessen1.3 % (-0.1)
13. NRW1.2 %(+/-0)
14. Niedersachsen1.0 % (+/-0)
15. Rheinland-Pf. 1.0 %(+/-0)
16. Baden-Württ.0.9 % (+/-0)
17. Bayern0.7 % (+/-0)

 

Anhang 3: PDS-Ergebnisse in den Ländern nach absoluter Stimmenzahl

(2. Spalte: Stimmanteile; 3. Spalte: Stimmanteil auf Bundesgebiet berechnet, d.h. Landes-Beitrag zu den 4.0 % bundesweit)

1.Sachsen417.85616.20.87
2. Brandenburg 263.158 17.2 0.55
3. Thüringen 245.864 17.0 0.51
4. Sachsen-Anhalt 205.742 14.4 0.43
5. Berlin-Ost 190.02321.2 0.40
6. Mecklenburg-V. 158.913 14.40.33
7. NRW 125.000 1.2 0.26
8. Baden-Württ. 56.1250.90.12
9. Niedersachsen 50.4161.0 0.11
10. Bayern 49.559 0.7 0.10
11. Hessen 45.852 1.3 0.10
12. Rheinland-Pf.24.036 1.0 0.05
13. Schleswig-Hol. 22.573 1.3 0.05
14. Berlin-West 22.413 2.3 0.05
15. Hamburg 20.2242.1 0.04
16. Saarland 8.9871.4 0.02
17. Bremen 8.5562.3 0.02


   
Ost gesamt: 1.481.556 16.8 3.10
West gesamt: 434.241 1.1 0.91

 

Anhang 4: Wahlkreise im Westen: PDS-"Hochburgen" und Gewinne

 PDS- Anteil (1998)Anzahl WKe davon PDS zugelegt zu 1998  
   über 1,5 % davon mehr als 0,2%
Berlin-West 2,3 (2,5) 66 (6)1  
Bremen 2,3 (2,4) 22 (2) 0 
Hamburg 2,1 (2,3) 65 (6) 0 
Saarland 1,4 (1,0) 41 (0) 44
Schleswig-Holstein 1,3 (1,5) 122 (2)1 
Hessen 1,3 (1,5)20 5 (9)0 
NRW 1,2 (1,2)64 15 (13) 18 6
Niedersachsen 1,0 (1,0) 29 5 (4) 13 2
Rheinland-Pfalz 1,0 (1,0)15 0 (0) 31
Baden-Württemberg 0,9 (1,0) 37 2 (1) 84
Bayern 0,7 (0,7)44 0 (0) 13 1


     
gesamt 1,1 (1,2) 239 43 (43)61 18
in % 100 % 18 % 25 % 7,5 %

 

Alles sind SPD-gewonnene Wahlkreise, und bis auf 6 alles Wahlkreise, in denen die Grünen über 10 % liegen.

 

Anhang 5: Wahlkreise im Westen mit den höchsten PDS-Stimmanteilen

(Klammer: 1998)

Berlin-Neukölln 3,1 (3,0)
Hamburg-Altona 2,9 (2,8)
Hamburg-Mitte 2,8 (2,9)
Frankfurt/M I 2,6 (2,6)
Bremen I2,5 (2,6)
Berlin-Tempelhof 2,4 (2,5)
Frankfurt/M II 2,4 (2,5)
Berlin-Charlottenburg 2,3 (2,4)
Berlin-Spandau 2,3 (2,6)
Hamburg-Elmsbüttel 2,3 (2,6)
Kiel 2,1 (2,3)
Hannover Stadt II 2,1 (1,7)
Berlin-Reinickendorf 2,0 (2,2)
Bremen II 2,0(2,2)
Wuppertal I 2,0(1,8)
Köln III 2,0 (1,7)

 

 

Berlin, im September 2002