Risse gehen durch die Machteliten. Ihre Politik ist zerfahren. Das US-Establishment schwankt weiter zwischen «Weiter so» à la Clinton und dem Versuch präsidialen Durchregierens im autoritären Stil anstelle von Hegemonie – unter Inkaufnahme von Unberechenbarkeit und konflikthaften Ausgrenzungen, von Wirtschaftskrisen und militärischen Zuspitzungen. Zerrissenheit auch in den Europapolitiken des herrschenden Blocks in der EU bis zum Brexit. Aber die Machteliten sind nicht ohne Strategien.
Die «herrschende Klasse» – was wissen wir wirklich über sie, außer dass sie den «Block an der Macht» bildet? Wer zählt überhaupt dazu, wie setzt sie sich zusammen? Wie verändert sie sich mit der Veränderung der Produktionsverhältnisse, welche Kräfte steigen auf, welche verlieren an Bedeutung? Wie national ist die herrschende Klasse unter den Bedingungen einer transnationalen Ökonomie zusammengesetzt, gesonnen und orientiert, wie transnational vernetzt agieren die herrschenden Klassen? Und vor allem: Mit welchem Verständnis blicken sie auf die gesellschaftlichen Probleme, die die nicht herrschenden sozialen Klassen bewegen?
Herrschende Klassen, das sind die «Machteliten», und wer sich als Sozial- und Politikwissenschaftler mit ihnen beschäftigt, stößt unweigerlich auf einen Satz von Carl Schmitt: «Elite sind diejenigen, deren Soziologie keiner zu schreiben wagt.» Noch immer ist die Welt der Eliten, zumal die der Machteliten, weit weniger ausgeleuchtet als die Lebensverhältnisse und Lebensweisen der unteren und mittleren sozialen Klassen. Das allgemein zugängliche Wissen über die sozialen Akteure von Macht und Herrschaft steht im umgekehrten Verhältnis zu ihrer gesellschaftlichen Bedeutung.
Das Wissen über die herrschenden Klassen wurde in den vergangenen Jahren beispielsweise durch die Forschungen des Darmstädter Soziologen Michael Hartmann erweitert. Im vergangenen Jahr erschien im Hamburger VSA-Verlag der Sammelband «Wie Eliten Macht organisieren», der sich in der Tradition des US-amerikanischen «Power Structure Research» vielfältig der Frage zuwandte, was die herrschenden Klassen zusammenhält. Zu den deutschen Vertretern dieser Forschungsrichtung zählt auch der verstorbene Hans Jürgen Krysmanski, der in seinem 2004 erschienenen Buch «Hirten & Wölfe» innerhalb der Machtelite die Funktionen der Geldelite, der Verwertungselite, der Verteilungselite und der Wissenselite hinsichtlich ihrer Rolle im System der Produktionsverhältnisse unterschied.
Das Buch «Gespaltene Machteliten. Verlorene Transformationsfähigkeit oder Renaissance eines New Deal?» (2016) von Dieter Klein knüpft an diese funktionale Unterscheidung an und fragt, wie lern- und innovationsfähig die Machteliten, letztlich immer mit Blick auf die längerfristige Sicherung von Macht und Herrschaft, im eigenen Interesse sind. Dass sie historisch dazu in der Lage waren, zeigt die Herausbildung der Politik des New Deal in den 1930er Jahren. Dieter Klein lenkt den Blick auf die Differenzierungen, Risse und Widersprüche im «herrschenden Block» und fragt nach den Aussichten, die sich daraus für linke Politik ergeben könnten. Auf dem Höhepunkt der Banken- und Finanzkrise löste der verstorbene Feuilleton-Chef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Frank Schirrmacher mit seiner These, dass die Linken vielleicht doch recht gehabt haben könnten, eine Debatte über die Zukunft des Kapitalismus in der «Wissenselite» aus. Dieter Kleins Untersuchung lässt sich auch als (Zwischen-)Fazit dieser Diskussion lesen, was davon zum Kreis der Geld-, Verwertungs- und Verteilungseliten handlungsorientierend durchgedrungen ist.
Der vorliegende Text ist die ausführliche schriftliche Fassung eines Vortrages, den Dieter Klein am 12. Mai 2017 im Gesprächskreis «Klassen und Sozialstruktur» zur Diskussion gestellt hat.
Horst Kahrs, Koordinator des Gesprächskreises «Klassen und Sozialstruktur»
Dieter Klein, Ökonom, war bis Ende 2012 Mitglied des Vorstandes der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Derzeit ist er Fellow am Institut für Gesellschaftsanalyse der Stiftung. Bis zu seiner Emeritierung 1997 hatte er den Lehrstuhl Ökonomische Grundlagen der Politik am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität in Berlin inne. Er gehörte zu den Begründern des Projekts «Moderne Sozialismustheorie», das sich schon vor dem Ende der DDR 1989 für alternative Entwicklungswege einsetzte.