Publikation Ungleichheit / Soziale Kämpfe - Soziale Bewegungen / Organisierung - Arbeit / Gewerkschaften - International / Transnational - Globalisierung - Kämpfe um Arbeit Grenzübertritt mit Hindernissen

Zu den Bedingungen und Herausforderungen transnationaler Solidarität unter Arbeitenden

Information

Reihe

Online-Publ.

Autor

David Mayer,

Erschienen

August 2018

ITF unterstützt Arbeitskampf bei Ryanair
Die «International Transport Workers' Federation» (ITF) freut sich über die Anerkennung von ver.di als Vertreterin aller in Deutschland ansässigen Flugbegleiter*innen von Ryanair. itfglobal.org/20.7.2018

Die Literatur zur «Globalisierung» seit den 1990er Jahren füllt Bibliotheken. Die Themen Arbeit und Gewerkschaften spielten darin jedoch lange keine zentrale Rolle. Während die Verlagerung von Produktionsstandorten und die Herausbildung transnationaler Güterketten intensiv diskutiert wurden, erhielten die Arbeitsprozesse, die Arbeitenden selbst und ihre Organisationen weit weniger Aufmerksamkeit. Dies scheint damit zu korrelieren, dass die «Globalisierung» die Optionen für das Kapital bedeutend erweitert hat, während die Machtmittel von Gewerkschaften stark geschwunden sind. Auch in den globalisierungskritischen Bewegungen seit Ende der 1990er Jahre spielten Gewerkschaften und andere Organisationen von ArbeitnehmerInnen eine untergeordnete Rolle – selbst wenn der Beginn dieser Protestwelle 1999 in Seattle noch als Allianz von «teamsters und turtles» (von Gewerkschafts- und Umweltbewegungen) gefeiert wurde.

Soweit, so düster? Andere Beobachter*innen verweisen in einem optimistischeren Ton auf eine Reihe von jüngeren Beispielen und Praktiken, die Möglichkeiten der Verteidigung und Stärkung der Rechte von Arbeitenden aufzeigen (Harrod/O’Brien 2002, Greven 2011, Bieler/Lindberg 2011, Bieler et al. 2015, Nowak 2016): Hierzu gehören oftmals militant geführte Arbeitskämpfe in Ländern des Globalen Südens, insbesondere dort, wo in den vergangenen 30 Jahren neue Industrien entstanden sind, wie etwa in Indien, China, Brasilien, Südafrika sowie Nordafrika vor und während des Arabischen Frühlings; die Herausbildung von Gewerkschaftsverbänden, die sich als global verstehen und auf durchsetzbare Abmachungen drängen; grenzüberschreitende Kampagnen im Dreieck aus Belegschafen, gewerkschaftlichen Organisationen und NGOs, die oftmals entlang der Güterketten organisiert sind und die Markensensibilität der Konzerne zu nutzen wissen; oder brancheninterne Vernetzungen, die, wie im Falle der Internationalen Transportarbeiter-Gewerkschaft (ITF) mit ihrer «Billigflaggenkampagne» für bestimmte Gruppen – in diesem Fall Seeleute – Tarifvereinbarungen und soziale Mindeststandards erreichen.

Grenzüberschreitende Kämpfe und transnationale Verbindungen von Arbeitenden sind kein neues Phänomen. Im Gegenteil, «internationale Solidarität» oder «Internationalismus» galten historisch oft als zentraler Anspruch der Arbeiterbewegungen und der Linken im Allgemeinen. Dieser Anspruch stand stets in einem komplizierten Verhältnis zu den nationalen Bezugsräumen des politischen Handelns. Ein Blick auf die historischen Zyklen dieses Wechselverhältnisses kann helfen, die Bedingungen, Formen und Schwierigkeiten grenzüberschreitender Zusammenarbeit von Arbeitenden zu verstehen.

Die wechselseitige Unterstützung gegen die strukturelle Vormacht des Kapitals und seinen EignerInnen ist die Grundlage gewerkschaftlicher Solidarität. Freilich handelt es sich dabei, einer berühmten Unterscheidung des Soziologen Émile Durkheim folgend, um eine «mechanische Solidarität», also eine Solidarität, die auf der offenkundigen Gleichheit von Lebenslage und Interessen der Betroffenen beruht. Auch bei der internationalen Solidarität kann eine solche Gleichheit gegeben sein. Ein Beispiel sind jene hochqualifizierten SpezialistInnen, die mit gleichen Fähigkeiten in ähnlich arbeitenden Betrieben derzeit überall dringend gebraucht werden. Meistens jedoch besteht aufgrund räumlicher Distanz sowie unterschiedlicher historischer, ökonomischer, politischer und kultureller Bedingungen ein mehr oder weniger hoher Grad von Ungleichheit zwischen jenen, die durch internationale Solidarität verbunden werden sollen. Trotz aller Konvergenztendenzen aufgrund der globalen Ausdehnung des Kapitalismus – eine einheitliche Weltarbeiterklasse ist bis heute nicht entstanden. Solch ein solidarisches Handeln zwischen Ungleichen bezeichnete Durkheim als «organische Solidarität». Sie ist anspruchsvoller und wesentlich schwieriger zu erreichen als die «mechanische».

Zugleich stellt sich die Frage, wer bei einer solidarischen Praxis mitgemeint ist. In kritischen Interpretationen zur Geschichte der Arbeiterbewegungen wird darauf hingewiesen, in welchem Maße sie sich gerade in ihren erfolgreichsten Zeiten auf bestimmte Sektoren der Arbeitenden beschränkte, meistens weiße Männer in formalen Beschäftigungsverhältnissen in den Ländern des Nordens. Informelle oder prekäre Beschäftigungsverhältnisse, halb- oder unfreie Formen der Arbeit, unbezahlte Arbeit (insbesondere Hausarbeit), Frauenarbeit oder Arbeitsmigrant*innen wurden dagegen kaum oder gar nicht in gewerkschaftlicher Solidarität einbezogen. Dies betrifft die aktuellen Möglichkeiten transnationaler Solidarität ganz direkt, denn die heutigen transnationalen Güterketten oder Produktionsnetzwerke sind häufig von einer Kombination ganz unterschiedlicher Welten der Arbeit gekennzeichnet.

Transnationale Solidarität aus Eigeninteresse?

Die grenzüberschreitende Solidarität von Arbeitenden spricht unterschiedliche Akteure und Handlungsebenen an. Akte der internationalen Solidarität wurden und werden häufig «von unten» durch die Arbeiter*innen selbst getätigt, manchmal vermittelt über institutionell gefestigte Organisationen, manchmal völlig unabhängig sowie in lokaler Punkt-zu-Punkt-Struktur. Historisch haben sich insbesondere syndikalistische Gewerkschafter*innen diese Art der internationalen Solidarität auf die Fahnen geheftet, aber auch zu späteren Zeitpunkten haben Belegschaftsvertretern häufig direkt Kontakt mit KollegInnen andernorts aufgenommen. Auch politisch motivierte Solidaritätsbewegungen, die von GewerkschafterInnen mitgetragen werden, lassen sich nennen. Der Übergang zwischen aktivistischen Praktiken «von unten» und institutioneller Vermittlung ist fließend: Von einem gewerkschaftlichen Apparat initiierte Kampagnen zu internationalen Themen können Mitglieder und eine breitere Öffentlichkeit mobilisieren.

Je höher man in der Stufenfolge politischer Hierarchien steigt, desto institutionalisierter und stärker von ExpertInnen und FunktionärInnen scheint die grenzüberschreitende Arbeit von Gewerkschaften gestaltet. Dies gilt indes nicht immer. So haben sich in den vergangenen Jahren verschiedene internationale Gewerkschaftsverbände als ausdrücklich global neu positioniert und in einigen Kampagnen gezeigt, wie solche Institutionen mit nationalen Organisationen und lokalen Belegschaften zusammenarbeiten können. Die 2008 formalisierte Coca-Cola-Allianz konnte z.B. durch solch eine Verknüpfung mehrerer Ebenen eine Reihe von Erfolgen verbuchen (Nowak 2016).

Welche Motive kann es für internationalistische Praktiken geben? Häufig werden politische und ideologische Beweggründe in den Vordergrund gerückt. Internationale Solidarität erscheint dabei der Sphäre der Überzeugungen und Werte zugehörig. In der Tat spielten solche Motive immer wieder eine wichtige Rolle, wie etwa im Fall des Engagements gegen das Apartheidregime in Südafrika. Der Historiker Marcel van der Linden beharrt indes darauf, dass internationalistische Praktiken auch ökonomischen Motiven gehorchen können. Erfolgreiche internationale Solidarität, so van der Linden, entspringe letztlich immer dem Eigeninteresse. Zu diesen eigeninteressierten internationalistischen Praktiken zählen unter anderem grenzüberschreitende Zusammenschlüsse, um das Hinzuholen konkurrierender Arbeitskräfte durch Unternehmen zu verhindern. Zu nennen sind darüber hinaus gewerkschaftliche Vertretungen von meist hochspezialisierten, sehr mobilen Berufsgruppen oder von Transportarbeiter*innen, die grenzüberschreitend Arbeitsstellen vermitteln, den Austausch organisieren und gemeinsame Arbeitsbedingungen festlegen. Die Kampagne der ITF gegen Ausflaggung, Billigflaggen und Zweitregister ist hier ein Beispiel. Auch Maßnahmen, welche die Konkurrenz zwischen Arbeiter*innen der gleichen Branche aus verschiedenen Ländern verringern sollen, der Austausch von Information und Daten über Unternehmen oder Arbeitsbedingungen in anderen Ländern sowie die Verteidigung gemeinsamer Interessen innerhalb eines multinationalen Unternehmens gehören hierzu (van der Linden 2009: 261-265).

National / international – ein Wechselverhältnis in Zyklen

Grenzüberschreitenden Interventionen kamen in der Geschichte der Arbeiterbewegung jeweils unterschiedliche Bedeutungen zu. Abhängig von Zeit und Ort trat internationale Solidarität in manchen Momenten in kleine Nischen zurück, in anderen definierte sie die Stoßrichtung der Gesamtbewegung in hohem Maße. Folgende Phasen lassen sich nennen: Erstens die «frühen Formen grenzüberschreitender Solidarität bis 1890», zweitens der «Internationalismus unter der Vorherrschaft des Nationalstaates» (1890er Jahre bis 1970er Jahre) und drittens «die Krise und Defensive der Arbeit, Globalisierungswelle und Notwendigkeit eines neuen Internationalismus» (seit den 1970er Jahren).

Seit wann gibt es eine «Arbeiterklasse», die sich für die Wahrung ihrer Interessen zu gemeinsamem Handeln zusammenschließt? Die Historiker Peter Linebaugh und Marcus Rediker beschreiben in ihrer Studie «Die vielköpfige Hydra» für das 16. bis 18. Jahrhundert ein vielgestaltiges frühes Proletariat im nordatlantischen Raum, das sich aus Seeleuten, Soldaten, Sklav*innen, Hafenarbeitern, gebundenen Kontraktarbeitern und Prostituierten zusammensetzte und sich auf Schiffen und in Häfen begegnete. Gegen den expandierenden Kapitalismus, der auf Plantagenwirtschaft sowie den genannten atlantischen Schiffsverbindungen fußte und die Arbeitenden zum guten Teil mit roher Gewalt in unfreie Verhältnisse zwang, schlossen sich die Betroffenen über die Grenzen von Sprache, Herkunft, Geschlecht und Hautfarbe hinweg immer wieder zusammen und entwickelten gemeinsame Formen des Protests (Linebaugh/Rediker 2008).

Auch in den frühen Gewerkschaften und Arbeiterorganisationen Mitte des 19. Jahrhunderts war es selbstverständlich, grenzüberschreitende Kontakte zu knüpfen und transnationale Praktiken zu entwickeln. Von der parlamentarischen Vertretung ausgeschlossen, von den Herrschenden der Nationalstaaten als nicht würdig erachtet, aus hochqualifizierten und häufig sehr mobilen Facharbeitermilieus entstanden (zu dieser Zeit fast ausschließlich Männer), sahen diese Organisationen eine direkte Interessensübereinstimmung mit ihren Kollegen andernorts. Die Aktivitäten der I. Internationale (1864–1872) schlossen dementsprechend die Übermittlung von Streikgeldern oder das Behindern von Streikbrecher ein.

Erst in den 1890er Jahren begann sich in vielen Ländern jenes Verhältnis zwischen Gewerkschaften, Arbeiterparteien und Nationalstaat auszubilden, das im 20. Jahrhundert prägend werden sollte und dem eine Reihe von sozialen und arbeitsrechtlichen Errungenschaften zu verdanken sind. Freilich war auch in dieser Phase nicht alles auf den nationalen Rahmen beschränkt. Unter dem Eindruck der so genannten ersten Welle der Globalisierung vor dem Ersten Weltkrieg gründeten sich um die Jahrhundertwende eine Reihe internationale Gewerkschaftssekretariate von Fach- und Berufsgruppen.

Besondere Herausforderungen bestanden überdies in jenen staatlichen Gebilden, die verschiedene ethnische und nationale Gruppen vereinten. Neben dem Zarenreich und der k. u. k. Monarchie galt dies auch für Einwanderungsländer wie die USA oder Argentinien. Ein wichtiges Themenfeld für die Arbeiterbewegung bildete in den Industrienationen bis in die 1960er Jahre die Frage der kolonialen Besitzungen. An dieser lassen sich die ambivalenten Wirkungen der Nationalisierung der Arbeiterbewegung seit den 1890er Jahren ablesen. Einerseits äußerten sie wiederholt Kritik an der mit der kolonialen Herrschaft einhergehenden gewaltvollen Unterdrückung. Andererseits wurde die Tatsache der Kolonialherrschaft durch das eigene Mutterland kaum hinterfragt. Erst die Oktoberrevolution von 1917 und die Entstehung der Kommunistischen Internationale leiteten ein langsames Umdenken ein.

Alles nur national? Grenzüberschreitende Solidarität in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Ab den 1940er Jahren etablierte sich jenes Arrangement, dass es den Arbeiterbewegungen führender kapitalistischer Länder erlaubte, zu zentralen politischen Akteurinnen zu werden. Auch wenn diese stark institutionalisierten «labour-friendly regimes» (Silver/Arrighi 2001) ganz unterschiedlich ausgeprägt waren, der Nationalstaat erschien nun als die wichtigste Handlungsebene. Dies bedeutete jedoch nicht das Verschwinden grenzüberschreitender Faktoren und Praktiken, auch wenn diese nun einen stärker politischen Charakter hatten, wie etwa die ideologische und geopolitische Auseinandersetzung zwischen Ost und West, die Dekolonisierungswelle und ihre Echos in den Metropolen, das Ringen um verschiedene Wege und Formen des «Sozialismus», die Kämpfe gegen neo-imperiale Interventionen, die Herausbildung großer, internationaler Verbände, die die Arbeitenden zu repräsentieren behaupteten. Zu letzteren gehören die «westlich» orientierte «International Confederation of Free Trade Unions» und die seit 1948 stark kommunistisch geprägte «World Federation of Trade Unions».

Das Ende des historisch singulären Nachkriegsaufschwungs Anfang der 1970er brachte nicht nur eine Zunahme sozialer Auseinandersetzungen mit sich, sondern setzte auch jene Internationalisierung des Kapitals in Gang, die sich in den 1990er Jahren zur «Globalisierung» steigerte. In diese Zeit fallen auch erste Versuche, grenzüberschreitende betriebsrätliche Gremien innerhalb von Konzernen aufzubauen. Anfang der 1980er Jahre wurde die Krise des Kapitalismus mit einer radikalen Abkehr vom «labour-friendly international regime» in eine Krise der Industriearbeiter und ihrer Organisationen transformiert, die bis heute nicht überwunden ist. Diese Geschichte in «groben Zügen» kann jedoch darüber hinwegtäuschen, welch bemerkenswerten Beispiele politischer Solidarität «von unten» es in jenen Jahrzehnten immer wieder gab. Oft waren betriebliche oder gewerkschaftliche Basisstrukturen in diese Aktivitäten involviert und das meist vergessene «proletarische 1968» war in hohem Maße von der Übernahme von Praktiken und Ideen andernorts bestimmt (Gehrke/Horn 2007).

In den 1980er Jahren bildete sich darüber hinaus in Ländern wie Brasilien, Südafrika und Südkorea mit dem «Social Movement Unionism» ein Gewerkschaftstypus heraus, der stärker als Basisbewegung organisiert ist und die Nähe zu anderen sozialen Bewegungen sucht. Bis heute werden diese Modelle vielfach als Vorbild zitiert (Grote/Wagemann 2018).

Globalisierung – gebrüllte Ansage, leise Antworten?

Gewerkschaften und andere Gruppen zur Wahrung von Arbeiterinteressen haben seit den 1990er Jahren in unterschiedlicher Weise auf die Herausforderungen der «Globalisierung» und die wachsende Schwächung ihrer strategischen Macht reagiert. Dabei stand oft die Verteidigung der verbleibenden Zonen des früheren stabilen Arrangements an erster Stelle – häufig um den Preis eines fortgesetzten Ausschlusses all jener, die nicht in den geschützten Sphären arbeiten, wie etwa Migrant*innen, Frauen oder prekär Beschäftigte. Auch Standortbündnisse in Allianz mit Staat und Unternehmen als Antwort auf die verallgemeinerte Standortkonkurrenz gehören hierzu.

Zugleich kam es mancherorts zu einer (Teil-)Übernahme jener «Organizing»- und «Campaigning»-Modelle, die vor allem von US-Gewerkschaften in Reaktion auf ihre Marginalisierung entwickelt worden waren. Diese versuchen wenig organisierte Gruppen von Arbeiter*innen anzusprechen. Zuletzt entstanden neue und erweiterte grenzüberschreitende gewerkschaftliche Zusammenschlüsse. So wandelten sich die ehemaligen Internationalen Berufssekretariate zu «Global Union Federations». 2012 wurde die «industriALL Global Union» als Zusammenschluss der jeweiligen internationalen Föderationen der Metall-, Chemie- und Textilarbeiter gegründet. Bereits im Jahr 2000 entstand unter dem Namen «UNI Global Union» eine globale Föderation der Dienstleistungsarbeiter.

Über Grenzen hinweg – bis du einem gewissen Punkt

Auch wenn bis heute kein neues Zeitalter des «transnationalen Internationalismus» in den Welten der Arbeit angebrochen ist – was angesichts der voranschreitenden Transnationalisierung des Kapitals und wachsender internationaler Migrationsbewegungen eine schmerzliche Anomalie darstellt – so haben sich in den vergangenen 30 Jahren viele grenzüberschreitende Organisierungsformen und Kämpfe der Arbeitenden entwickelt (Fairbrother u.a. 2011). Die bereits Anfang der 1970er Jahre gebildeten Konzernbetriebsräte haben dabei die einstmals in sie gesetzten Hoffnungen eher enttäuscht als erfüllt. Das liegt nicht nur an ihrer Neigung zum Unternehmenskorporatismus, sondern auch an den Veränderungen der Unternehmensstrukturen, die sich in undurchsichtige und vielfach gestaffelte Netzwerke von Produktion, Investition und Spekulation verwandelt haben. Und die nächstliegende Form des transnationalen Agierens – Streiks innerhalb eines grenzüberschreitend agierenden Unternehmens – ist bis heute ein seltenes Ereignis. Dennoch: Auf den «Euro-Strike» 1997 an mehreren Renault-Standorten folgten ähnliche Mobilisierungen bei anderen Autoherstellern um die Jahrtausendwende, und in jüngerer Zeit sind auch die Mitarbeiter*innen von Amazon mit solch grenzüberschreitenden Kampfmaßnahmen hervorgetreten (Boewe/Schulten 2015).

Zugleich hat eine Reihe von Initiativen erfolgreich an den verwundbaren Punkten transnationaler Unternehmen angesetzt. Die genau getakteten, über große Distanzen verstreuten Einzelschritte der bedarfssynchronen Produktion («just-in-time») lassen sich mit Kampfmaßnahmen an einzelnen Punkten erheblich stören oder sogar zum Stillstand bringen. Die von den Konzernen am Markt um teures Werbegeld aufgebauten Marken sind zudem gegenüber öffentlichen Kampagnen äußerst angreifbar. Beeindruckende Beispiele in diesem Bereich gibt es insbesondere in der globalen Bekleidungsindustrie, allen voran die internationale «Kampagne für saubere Kleidung». Auch für die Arbeitsbedingungen im Agrarsektor und der Nahrungsmittelproduktion gelingt es immer wieder, mediale Aufmerksamkeit zu erringen (Sezonieri-Kampagne 2016). Weil Logistik kein externer Faktor, sondern zentraler Bestandteil komplexer Produktionsnetzwerke geworden ist, können Arbeiter*innen unter günstigen Umständen die Prekarisierungsdynamik in diesem Bereich abschwächen und wie die ITF im Rahmen der Billigflaggenkampagne gewisse soziale und arbeitsrechtliche Mindeststandards für Seeleute global durchsetzen.

Diese Beispiele zeigen zweierlei: Zum einen, dass transnationale Kämpfe von Arbeiter*innen stattfinden und grenzüberschreitende Solidarität möglich ist. Zum anderen aber sind diese Praktiken von einer Verallgemeinerung weit entfernt. Denn die genannten Bemühungen konnten bisher noch in keinem Sektor die Kräfteverhältnisse merkbar verschieben. Diese Ohnmacht spiegelt sich auch in der Tatsache wider, dass gewerkschaftliche Organisationen selbst in den reichen Industriestaaten angesichts der sich seit 2008 entfaltenden Krise bislang keine angemessene grenzüberschreitende Antwort entwickeln konnten.

Doch ein politischer Komplex?

Wie steht es also um die «Workers of the World»? Eine große internationale Konferenz mit diesem Titel im Juni 2017 in Hannover zeigte, dass heute auch in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Lage der Arbeitenden pessimistische und optimistische Sichtweisen aufeinander prallen (Mayer 2017). Während die einen auf die starke Zunahme der weltweit lohnabhängig Beschäftigten sowie auf teilweise militant geführte Kämpfe gerade in Ländern des Globalen Südens verweisen und bereits die eine Weltarbeiterklasse entstehen sehen (Ness 2016), erkennen andere im Kontext eines sowohl geographisch als auch politisch entfesselten Kapitalismus eine säkulare Krise von Gewerkschaften und Arbeiterparteien (van der Linden 2016). Zu uneinheitlich, so der Tenor vieler Teilnehmer*innen der Konferenz, seien die Lebensbedingungen der Beschäftigten, um auf leichtem Wege die notwendige Solidarität und weltweite Einheit unter den Arbeitenden herzustellen. Im Kontrast zu diesen Makroanalysen der Gesamtsituation standen jedoch jene Studien, die mit Mikro-Perspektiven die differenzierten Formen des Widerstands dokumentieren und bestehende Praktiken von Transfer und Vermittlung zwischen weit entfernten Orten aufzeigen.

Diese Praktiken haben vielfältige Formen und schließen unterschiedliche Akteure auf allen Ebenen des politischen Handelns ein. Erfolgreich scheinen sie dort zu sein, wo diese Ebenen zwischen Belegschaften, Aktivist*innen, gewerkschaftlichen Organisationen, sozialen Bewegungen, NGOs und transnationalen Verbänden vermittelt werden können. Auch das «Mitgehen» mit den Organisationsstrukturen der jeweiligen Güterketten, ihren Abläufen und Schwächen, erscheint als ein wirksames Mittel. Zugleich wird deutlich, dass die bestehende strukturelle Verbundenheit der unterschiedlichen Welten der Arbeit eben nicht automatisch gemeinsame grenzüberschreitende Praktiken unter den Arbeitenden nach sich zieht. Auch wenn es ein probates Ziel ist, für transnationale grenzüberschreitende Solidarität als Konsequenz von Eigeninteressen zu plädieren, ohne politischen Horizont einer über das Konkrete hinausgehenden Veränderung kann sie keine angemessene Wirkmacht entwickeln. Dafür braucht es eine organische Solidarität, die durch Politisierung entsteht. Globale Soziale Rechte – auch wenn deren Forderungen im Vergleich zu früheren Horizonten wie «Revolution», «Befreiung», «Antikolonialismus» und «Neue Weltwirtschaftsordnung» mit bescheidenerem Klang auftreten – bieten dabei einen möglichen Weg, auf dem sich eine solche Politisierung ausschreiten lässt.

 
David Mayer ist Historiker, Lehrbeauftragter an der Universität Wien und Fellow am International Institute of Social History (Amsterdam).

 
Dieser Beitrag ist eine gekürzte und adaptierte Fassung von: Mayer, David (2013): «Grenzen der Grenzenlosigkeit? Zu Vergangenheit und Gegenwart internationaler Solidarität». In: Brigitte Pellar (Hg.), Wissenschaft über Gewerkschaft. Analyse und Perspektiven. Wien. 277-307.

Literatur
  • Boewe, Jörn und Johannes Schulten (2015):Der lange Kampf der Amazon-Beschäftigten. Labor des Widerstands: Gewerkschaftliche Organisierung im Onlinehandel. Berlin.
  • Bieler, Andreas und Ingemar Lindberg (Hg.) (2011): Global Restructuring, Labour and the Challenges for Transnational Solidarity. London und New York.
  • Bieler, Andreas u.a. (Hg.) (2015): Labour and Transnational Action in Times of Crisis. London und New York.
  • Fairbrother, Peter u.a. (Hg.) (2013): Transnational Trade Unionism. Building Union Power. New York und Oxford.
  • Gehrke, Bernd und Gerd-Rainer Horn (Hg.) (2007): 1968 und die Arbeiter. Studien zum 'proletarischen Mai' in Europa. Hamburg.
  • Greven, Thomas (2011): «Die Regeln ändern! Bedingungen gewerkschaftlicher Solidarität unter globalem Konkurrenzdruck». In: Frank Gerlach u.a. (Hg.), Solidarität über Grenzen: Gewerkschaften vor neuer Standortkonkurrenz. Berlin. 35-49.
  • Grote, Jürgen und Claudius Wagemann (Hg.) (2018): Social Movements and Organized Labour: Passions and Interests. London und New York.
  • Harrod, Jeffrey und Robert O’Brien, Robert (Hg.) (2002): Global Unions? Theory and strategies of organized labour in the global political economy. London.
  • Linden, Marcel van der (2009): Workers of the World. Essays toward a Global Labor History. Leiden.
  • Linden, Marcel van der (2016): «Global Labour: A Not-so-grand Finale and Perhaps a New Beginning». In: Global Labour Journal 7 (2). 201-210.
  • Linebaugh, Peter und Marcus Rediker (2008): Die vielköpfige Hydra. Die verborgene Geschichte des revolutionären Atlantiks. Berlin und Hamburg.
  • Mayer, David (2017): Tagungsbericht Workers of the World – Exploring global perspectives on labour from the 1950s to the present, Hannover, 29.–30. Juni 2017.
  • Ness, Immanuel (2016): Southern Insurgency. The Coming of the Global Working Class. London.
  • Nowak, Jörg (2016): Grenzüberschreitende Solidarität. Eine Bestandsaufnahme anhand von vier Fallstudien. Berlin.
  • Silver, Beverly und Giovanni Arrighi (2001): «Workers North and South», in: Leo Panitch u.a. (Hg.), Working Classes, Global Realities. London. 53-76.
  • Sezonieri-Kampagne für die Rechte von Erntehelfer_innen in Österreich & Europäisches BürgerInnenforum (Hg.) (2016): Willkommen bei der Erdbeerernte! Ihr Mindestlohn beträgt ... Gewerkschaftliche Organisierung in der migrantischen Landarbeit – ein internationaler Vergleich. Wien.