Weltweit sind nationalistische Parteien und autoritäre Regierungen auf dem Vormarsch. Linke suchen nach Antworten darauf – etwa in neuen globalen Kämpfen um die Rechte von Frauen, Minderheiten, Beschäftigten. Und es wird über einen «neuen Internationalismus» diskutiert, einen Internationalismus von unten, einen, der sich weniger auf Staatlichkeit bezieht, umso mehr dafür aber auf die transnationale Solidarität der vielen. Was sind die Herausforderungen eines solchen «neuen Internationalismus», wer seine Träger*innen? Und wie verhält sich die Debatte heute zur langen linken Tradition internationaler Perspektiven? 100 Jahre nach Gründung der Komintern wird man Antworten nicht ohne Reflexion der eigenen Geschichte finden, einer Geschichte von Erfolgen genauso wie von Widersprüchen und Niederlagen.
Globale Perspektiven von links: Das Auslandsjournal
maldekstra ist ein publizistisches Format, das internationalistische Diskurse und Praxen entlang von zentralen Themenlinien diskutiert.
Der Name ist dabei Programm: «Maldekstra» steht für «links» in der Weltsprache Esperanto und meint vor allem, aktuelle Fragen in ihrem globalen Rahmen zu sehen, nach weltgesellschaftlichen Lösungen zu suchen für Probleme, die in einer ökonomisch, politisch und kulturell immer enger zusammenrückenden und doch so zerrissenen Welt nur noch auf planetarischer Ebene behandelt werden können.
Diese großen Themen werden bei maldekstra entlang von konkreten Perspektiven anschaulich erzählt: internationale Partner und Personen der Rosa-Luxemburg-Stiftung werden vorgestellt, Fachdebatten übersetzt und sowohl die Vielfalt, als auch das Gemeinsame internationaler Entwicklungen aufgespürt. Möglicherweise erscheint die Welt dabei anders als bisher gewohnt – in einer linken weltgesellschaftlichen Perspektive.
maldekstra ist ein Kooperationsprojekt, das die Rosa-Luxemburg-Stiftung gemeinsam mit der common Verlagsgenossenschaft e.G. herausgibt. Sie erscheint mehrmals im Jahr als Beilage in der Wochenzeitung der Freitag und der Tageszeitung neues deutschland sowie online bei rosalux.de.
«Vergessen wir nicht, dass unsere Probleme global sind ...»
So hat es Yanis Varoufakis einmal formuliert – und daran den Appell angeschlossen, sich nicht auf «irreführende Devisen» nationaler Lösungen zu beschränken. «Nur ein ambitionierter neuer Internationalismus kann den Geist des Humanismus im planetarischen Maßstab wiederbeleben.»
Was der frühere griechische Finanzminister anspricht, ist schon immer die fortwährende Herausforderung der Linken aller Schattierungen gewesen. Die internationale Solidarität gehörte von Anfang an zu ihrer Geschichte, genauso wie sie immer damit zu ringen hatten, dass die Beschäftigten in Konkurrenz zueinander gesetzt werden. Doch wer seine politischen Ziele aus einer bestimmten Kritik ökonomischer Verhältnisse zieht und weder Karl Marx noch die an ihn anschließenden Debatten vergessen hat, weiß: Der Kapitalismus hat den Absatzmarkt für seine Produkte beständig ausgeweitet und die «alte lokale und nationale Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit» durch «allseitigen Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander» ersetzt.
Mit dem Drängen zum Weltmarkt «produziert» der Kapitalismus gewissermaßen das Proletariat als internationales Phänomen. Ob und wie die Lohnabhängigen und unmittelbaren Produzenten, zu welchem Ziel die «ideellen Gesamtarbeiter*innen» zusammenfinden, steht auf einem anderen Blatt. Aufbrüche, die dazu dienen sollten, über eine Welt hinauszugelangen, in der viel zu viele «ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen» bleiben müssen, hat es immer wieder gegeben – als internationale Organisationen, als Kampagnen, als Bewegungen.
Die Linien verlaufen dabei nicht gerade und schon gar nicht aufsteigend. Was die Internationale Arbeiterassoziation ab 1864 auszeichnete, wird in der 1919 gegründeten Komintern nicht schlicht «fortgesetzt», sondern dort auf andere Weise «weiterentwickelt». Und so auch in den 100 Jahren seither: Die Plakate, mit denen diese Ausgabe illustriert ist, künden von der Vielfalt. Und nicht alles, was wir in diesem Heft gern zum Thema gemacht hätten, fand auch Platz – um transnationale gewerkschaftliche Arbeit und Streiks, oder um die wachsende feministische Internationale wird es in kommenden Ausgaben ausführlich gehen.
Blickt man historisch auf den Internationalismus, zeichnet sich so etwas wie eine Zeitenwende ab: Bis etwa 1990 war Internationalismus in irgendeiner Weise auf sozialistische Staatlichkeit bezogen. Mal ging es darum, die Sowjetunion zu verteidigen, mal um Kämpfe, bei denen nach Macht in «befreiten» Staaten gestrebt wurde, mal um Staatenbündnisse, die im Geiste eines Internationalismus agierten, mal um als antiimperialistisch bezeichnete Kämpfe gegen den Staat.
Nach dem Ende der Blockkonfrontation verlaufen die entscheidenden Linien internationaler Solidarität eher quer zu Staatlichkeit. Vielfältige Bewegungen, die um elementare Rechte ringen, die Frage der Ökologie der Existenz zu ihrem Thema machen, in denen es um Arbeit, um Frieden, um Ernährungssouveränität oder Feminismus geht, vernetzen sich global. Schon länger – Varoufakis ist da nur ein Beispiel – wird auch theoretisch über einen «neuen Internationalismus» diskutiert.
Aktuelle Kontroversen, etwa über Fragen der Migration oder des politischen Ortes, auf den sich progressive Kräfte konzentrieren, haben die Notwendigkeit dieser Debatte nur noch einmal unterstrichen. Dabei geht es nicht darum, schon fertige Rezepte oder abschließende Antworten zu formulieren, sondern darum, die richtigen Fragen zu stellen, neugierig zu sein auf neue Schlussfolgerungen. Zur Debatte über einen «neuen Internationalismus» gehört die Reflexion der eigenen Geschichte – also das kritische Nachdenken über den «alten Internationalismus», seine Erfolge, seine Niederlagen, seine Fehler.
Tom Strohschneider
maldekstra #4
Trump in den USA, Bolsonaro in Brasilien, nationalistische Parteien in Europa – die Ausbreitung eines neuen Autoritarismus ist nicht zu übersehen. Aber was steckt hinter dem globalen Rechtsruck, wie beeinflussen sich autoritäre Regime gegenseitig, welche Rolle spielt ihre ökonomische Stellung und was hat das womöglich mit der «imperialen Lebensweise» des globalen Nordens zu tun? Die nächste Ausgabe von maldekstra befasst sich mit den global sichtbaren Tendenzen der Entdemokratisierung, fragt nach der Rolle der BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und China und blickt auf bisher in der Debatte weniger berücksichtigte Fälle der autoritären Wende.