Publikation Geschichte - Deutsche / Europäische Geschichte - Kunst / Performance - 30 Jahre 89/90 Holocaust in der DDR angeblich verschwiegen

Auszug aus dem Buch von Daniela Dahn: «Der Schnee von gestern ist die Sintflut von heute»

Information

Reihe

Online-Publ.

Autorin

Daniela Dahn,

Erschienen

Oktober 2019

Zu viel gefallen ließen wir uns angesichts der leidenschaftlichen Anstrengungen, nicht auch den DDR-Antifaschismus beitreten zu lassen. Dafür wurden schwerste Geschütze aufgefahren. Hatte doch nichts diskriminierender sein können als die Behauptung, die DDR-Bürger hätten generell ein Problem mit ihrem Verhältnis zu Juden gehabt.

Daniela Dahn, geboren in Berlin, studierte Journalistik in Leipzig und war Fernsehjournalistin. 1981 kündigte sie und arbeitet seitdem als freie Schriftstellerin und Publizistin. Sie war Gründungsmitglied des «Demokratischen Aufbruchs» und hatte mehrere Gastdozenturen in den USA und Großbritannien. Sie ist Trägerin unter anderem des des Fontane-Preises, des Kurt-Tucholsky-Preises für literarische Publizistik, der Luise-Schroeder-Medaille der Stadt Berlin und des Ludwig-Börne-Preises.

Wikipedia-Mainstream: «Während man in Westdeutschland auf den Aufbau guter Beziehungen zu Israel setzte, wurden in der DDR die Juden als eigenständige Opfergruppe im Dritten Reich weitgehend verschwiegen.»

Medien-Mainstream: Moderation in ttt vom 10. März 2019: Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus ist in der DDR 1952 per Dekret für beendet erklärt worden, der Holocaust war kein Thema.

Forschungs-Mainstream: «Ungeachtet einer zögernden Entkopplung von Kapitalismus und Genozid besonders in den 80er Jahren, blieb die Ermordung der europäischen Judenheit auch später noch ein verschwiegenes, wenngleich nicht mehr gänzlich unterdrücktes Thema.»[1]

Bis in die 1980er Jahre also war der Völkermord an den Juden in der DDR ein «gänzlich unterdrücktes Thema». So viel Desinformation macht sprachlos. Ich habe es genau umgekehrt wahrgenommen: Die DDR-Kultur hat dieses Thema früher und häufiger als in der Bundesrepublik aufgegriffen, kontinuierlich über die Jahre verfolgt, und das in einem Umfang, der bei vielen Menschen Überdruss auslöste. Ich empfinde solche Desinformation auch als persönliche Kränkung. Ich hätte nicht in einem Land leben wollen und können, in dem über den industriell betriebenen Völkermord, das perfideste Verbrechen seit Menschengedenken, nicht gesprochen werden sollte. Die Ostdeutschen als duldsame und unreflektierte Herde ohne Mitgefühl: An dieser Fiktion westliche Schuld- und Versagensgefühle abzuladen kann auf die Dauer nicht gutgehen. Neben der sozialen hat es seit dem Beitritt immer auch die intellektuelle Demütigung gegeben. Der entkommt man durch kräftezehrenden Widerspruch oder durch kräfteschonende Teilnahme am Belasten der Herde, was einen selbst über sie stellt. Die meisten, so fürchte ich, entkommen ihr nicht. Sie werden still, krank oder aggressiv.

Auch von einigen ostdeutschen Politikern, Journalisten oder Historikern höre ich gelegentlich die neue Lesart, wonach «das Schicksal der Juden im Dritten Reich aus dem offiziellen Erinnerungskanon der DDR so gut wie verschwunden» war. Was verdiente in der DDR das Etikett offiziell? War es doch ein Verhängnis, dass alles, was öffentlich sein wollte, auch offiziell sein musste. Jeder Film hatte eine staatliche Abnahme erfahren, jedes Buch brauchte eine staatliche Druckgenehmigung. In diesem Sinn war die DDR-Kultur, mit allen daraus folgenden Beschränkungen und Begünstigungen, eine offizielle Kultur. Sie übernahm, oft durchaus zu ihrem künstlerischen Nachteil, arbeitsteilig Themen, die die Medien oder offizielle Bekundungen entweder nicht oder nur undifferenziert wahrnahmen. Wer also die DDR-Kunst und Kultur aus dem «Erinnerungskanon» ausschließt, der mag zu derart verengten Schlüssen kommen. Doch redlich ist das nicht. Denn für die Bundesrepublik lässt man gelten, dass keine akademische Forschung und keine amtliche Verlautbarung so massenwirksame Aufklärung und Sensibilisierung gegenüber der Shoa bewirkt hatten wie die Kunst.

Was gab es doch unlängst für einen Hype um den 40. Jahrestag der Sendung der US-Serie Holocaust, durch die 1979 das deutsche Publikum, und zwar das gesamtdeutsche, angeblich erstmalig eine Ahnung vom Ausmaß des den Juden zugefügten Leids bekommen habe. Was für ein Armutszeugnis! Nirgends war ein Hinweis darauf zu hören, dass im DDR-Fernsehen bereits sieben Jahre vor der Hollywood-Serie eine vierteilige Folge über eine jüdische Familie gesendet wurde, die nach Auschwitz deportiert wird. Erstmalig durfte dafür ein deutscher Filmstab im Lager Auschwitz drehen. Die Authentizität des Films rührte aber nicht nur vom schwer zu verkraftenden Originalschauplatz, sondern von dem Wissen, dass es sich hier um die Verfilmung des autobiographischen Romans des Juden Peter Edel handelt, der all diese Schrecken in Auschwitz selbst erlebt hat.

Und nicht nur er, auch einige der Hauptdarsteller hatten die fürchterliche Hürde zu nehmen, an die Stätte ihres grauenvollen Traumas zurückzukehren. In der Rolle des Stubenaltesten Tadeusz spielte August Kowalczyk ein Stück seines eigenen Lebens. Er war zwei Jahre Häftling in Auschwitz gewesen und hatte sich eigentlich geschworen, nie wieder an diesen Ort zurückzukehren. Peter Sturm, im Film der Elias, stammte aus einer sehr frommen, armen jüdischen Familie aus Wien. Er hatte das Martyrium der Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und ebenfalls Auschwitz hinter sich. Und die Schauspielerin Marga Legal, im Film Frau Müller, bekam 1933 wegen ihrer jüdischen Vorfahren ein Arbeitsverbot und konnte sich nur durch eine sogenannte «privilegierte Ehe» vor Verfolgung retten.

Aus: Daniela Dahn. Der Schnee von gestern ist die Sintflut von heute
Copyright © 2019 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Die Einheit – eine Abrechnung
Originalausgabe, 288 Seiten
€ 14,00 (D)/ € 14,40 (AT)
ISBN: 978-3-499-00104-8
Auch als E-Book erhältlich:
ISBN: 978-3-644-00376-7

Nein, eine Seifenoper á la Hollywood waren diese vier Teile nicht. Schade, dass Marcel Reich-Ranicki, der die Holocaust-Serie als «trivial, oft kitschig, gelegentlich ärgerlich und ästhetisch ohne Wert» beschimpft hatte, nicht auch diesen Film bewertet hat. Der Westberliner Tagesspiegel war nach Ausstrahlung des 1. Teils am 25. 5. 1972 immerhin positiv überrascht: «Der ‹Fernsehdienst Nr. 22›, die Presseveröffentlichung des Deutschen Fernsehfunks, enthält 24 Seiten Bilder und Texte über einen neuen, auf vier Teile ausgelegten Fernsehfilm. Die ungewöhnliche Quantität lässt auf eine ungewöhnliche Qualität schließen, zumindest auf ein ungewöhnliches Gewicht, das die Produzenten dem Film beilegen. … Es geht um die Verfolgung der Juden in den Jahren 1933 – 45. Das mag in Erstaunen versetzen: Man erwartet es einfach nicht, dass just zu diesem Thema ein großer Film fürs Fernsehen gedreht wird, der bis in die letzte Charge hinein von erstklassigen Schauspielern besetzt und von der ersten Garnitur in Sachen Dramaturgie und Regie eingerichtet wurde. Im ersten Teil, dem als Rahmenhandlung eine Sabbatfeier in der Wohnung eines jüdischen Arztes im Jahr 1943 diente, wurde ein bestimmter Ausschnitt der jüdischen Gemeinde zu Berlin vorgestellt: Durchweg Angehörige des gehobenen Bürgertums, konservative Menschen im preußischen Sinne, der eigenen Religion bereits entfremdet – und fassungslos gegenüber den sogenannten Nürnberger Gesetzen und ihren schaurigen Folgen. Unter der äußeren Situation dieser gejagten Menschen wurde jedoch etwas sichtbar, was noch tiefer berührte: Ihre innere Situation, das moralische Spektrum, das nackte Angst und dumpfe Ergebenheit ebenso enthielt wie das Hadern mit dem Gott der Vater und dem Ansatz zum Widerstand. Wir kommen auf den sehenswerten Film jedenfalls zurück.»

Ich auch. Zuvor soll jedoch eines klargestellt werden. Dieser sicher aufwendigste Film zum Thema Massenmord an den Juden war nun wahrlich nicht der erste und letzte in der DDR. Um dies zu belegen, kann man auf ein sehr verdienstvolles Lexikon zurückgreifen, das die Filmwissenschaftlerin Elke Schieber, langjährige Mitarbeiterin im Filmmuseum Potsdam, in zehnjähriger, einsamer Forschungsarbeit erstellt hat.[2] «Tangenten» ist 2016 in der Schriftenreihe der DEFA erschienen und hat auf 700 Seiten sämtliche DEFA-, Fernsehspiel- und Dokumentarfilme, publizistische Beiträge, Studenten-, Kinder- und Animationsfilme zusammengetragen, die zwischen 1946 und 1990 in der SBZ und der DDR zu folgenden Themen produziert wurden: Antisemitismus vor 1933, jüdisches Leben, Judenverfolgung im Nationalsozialismus, jüdische Vergangenheit in der Gegenwart, Palästina-Israel-Naher Osten. Das ergab eine stattliche Sammlung von über 1000 Titeln.

Diese Zahl sagt nichts über die Qualität dieser Filme, nichts über mögliche Schwierigkeiten vor und während der Produktion, nichts über ihre Rezeption. Und sie schließt trotz dieser beeindruckenden Menge die Existenz eines unterschwelligen Antisemitismus nicht aus. Aber eins beweist sie: Die Behauptung, dass in der DDR Juden und Holocaust ein beschwiegenes, unterdrücktes Thema waren, ist vollkommen unhaltbar. Man hatte hoffen können, dass die bis heute diesen Fake verbreitenden Journalisten und Historiker nach Erscheinen des Lexikons zu einer Korrektur bereit gewesen waren. Aber realistisch sind solche Erwartungen nicht. Keines der Großmedien und keiner der sich mit dem Thema befassenden Großhistoriker haben das Buch zur Kenntnis genommen. Es ist das zuverlässig Erwartbare, was so langweilt: Was den Mainstream stört, wird ausgegrenzt. Statt die Fakten zu erwähnen, wird scheinbar anlasslos umso heftiger gegen sie angeschrieben. Bei Wikipedia gibt es eine Liste von Filmen zum Holocaust aus aller Welt, in der wie von Zauberhand so gut wie alle in der DDR produzierten Spiel- und Dokumentarfilme fehlen.

Immerhin 14 Spielfilme und Serien von DEFA und Fernsehen haben die Judenverfolgung in der NS-Zeit zum eigentlichen Thema. 33 weitere DDR-Spielfilme tangieren diesen Stoff mehr oder weniger direkt. Und das relativ gleichmäßig verteilt in den Jahren zwischen 1946 bis zum Ende der DDR. Die Stoffe hatten fast immer authentische Hintergründe, oft auch autobiographische, von den sie gestaltenden Künstlern. Ergänzend begleitet wurden die Spielfilme von Anfang an von dokumentarischen Beiträgen. So sah man 1947 im DEFA-Augenzeugen das in Auschwitz verlorene und in der Tschechoslowakei wiedergefundene, einzige überlebende Kind der Berliner Jüdischen Gemeinde – von einst 175 000 Seelen. Oder 1962 den Bericht über eine Mutter, die in Auschwitz von ihrer dreijährigen Tochter getrennt wurde, die sie erst 17 Jahre später in Moskau wiedertrifft. Es liefen Filme über Frauen in Ravensbrück, zu den Nürnberger Prozessen – beginnend 1966 mit: Robert Jackson klagt an – sowie mehrere Reportagen über Auschwitz.*

* Ausgewählte Beispiele von DEFA und DDR-Fernsehspielfilmen: Die Mörder sind unter uns 1946, Ehe im Schatten 1947, Affaire Blum, 1948 (zeigt an einem authentischen Fall die wachsende rassistische Verhetzung vor der Machtergreifung Hitlers), Die jüdische Frau 1957 (aus Brechts Furcht und Elend des Dritten Reiches), Studioaufzeichnung des Theaterstücks Das Tagebuch der Anne Frank 1958, Sterne 1959 (ein Zug mit griechischen Juden wird auf dem Transport nach Auschwitz in einer kleinen bulgarischen Stadt aufgehalten, dramatische Szenen nach Erlebnissen des Szenaristen Angel Wagenstein), Professor Mamlock 1961 (nach dem Drama von Friedrich Wolf; ein bürgerlicher jüdischer Arzt wird durch den ungehemmten Ausbruch von Antisemitismus 1933 in den Freitod getrieben), im selben Jahr Das Mädchen Rahel (über die jüdische Widerstandsgruppe um Herbert Baum), Lebende Ware 1966 (über die Deportation der ungarischen Juden), im selben Jahr die fünfteilige Serie Ohne Kampf kein Sieg (nach dem gleichnamigen Buch von Manfred von Brauchitsch, in dem einem die Verfolgung der Juden durch die Figur des Levi nahegeht), Korczak und die Kinder 1967 (über die Kinder eines Transports aus dem Warschauer Ghetto, die gemeinsam mit ihrem Lehrer in die Gaskammer gehen), die vier Teile Die Bilder des Zeugen Schattmann 1972, Jakob der Lügner 1975 (einzige Oscar-Nominierung der DEFA), Die Gesetzesfalle 1978 (ein dramatisches Schicksal durch die Vorschrift, jeden nach einem Strafgesetz verurteilten Juden nach Verbüßung der Haft in ein KZ zu bringen), Esther 1980 (ein kaum zu verkraftender Spielfilm über medizinische Experimente an Auschwitz-Häftlingen, an Esther und ihren Schwestern, während ihre Eltern und ihr Mann schon vergast sind), Neuinszenierung des Tagebuchs der Anne Frank für das Fernsehen 1982, Pianke 1983 (Kinderfilm über die Judenverfolgung), Stielke, Heinz, fünfzehn 1987 (die DDR-Variante des drei Jahre später in der Bundesrepublik erschienenen «Hitlerjungen Salomon»), Die  Schauspielerin 1988 (tragisches Schicksal am Jüdischen Theater in den 1930er Jahren in Berlin).

Um den Fake über das Verschweigen des Schicksals der Juden zu widerlegen, ist man natürlich nicht allein auf die DDR-Filmproduktion angewiesen. Genauso aufschlussreich ist ein Blick auf die in der DDR erschienenen Bucher. Auch dazu gibt es eine verdienstvolle Bibliographie, in ähnlich einsamer, jahrelanger Arbeit zusammengetragen von der einstigen Leiterin der Bibliothek der Jüdischen Gemeinde in Ostberlin, Renate Kirchner: «Jüdisches in Publikationen aus DDR-Verlagen 1945 – 1990».[3] Die Bücher sind in der Aufstellung durchnummeriert, sodass das Ergebnis leicht ablesbar ist: Es sind 1086 Titel. Sicher kann man im Einzelfall streiten, ob dieser oder jener Band dazugehört oder andere fehlen. Aber die Tendenz ist eindeutig: Das jüdische Thema war überaus präsent. Die Bibliographie umfasst alle Themen – jüdische Geschichte, Religion, Philosophie, Kultus und Brauchtum, Lebens- und Werkbetrachtungen bekannter Juden, Antisemitismus und Rassismus, jüdisches Leben in anderen Ländern, insbesondere die Welt der Ostjuden, auch Palästina und

Israel. Fast genau die Hälfte aller Bücher aber widmet sich dem Thema: Nationalsozialismus und Judenverfolgung. Die meisten davon, nämlich 302, waren Sachbücher, Biographien, Tagebücher, Briefbände, auch einzelne Diplomarbeiten und Dissertationen, die der Jüdischen Bibliothek zum Dank für Unterstützung übergeben wurden. Viele davon waren sachliche Faktensammlungen, andere unverkennbar der Systemauseinandersetzung und dem Legitimationsbedürfnis der DDR untergeordnet. So unterschiedlich sie waren, kann man ihnen eine verinnerlichte, humanistische Grundhaltung und einen tiefempfundenen Antifaschismus schwerlich absprechen.**

** Ausgewählte Beispiele für in der DDR erschienene Sachbücher zum Thema Völkermord an den Juden: Georg Lukacs: Der Rassenwahn als Feind des menschlichen Fortschritts 1945, Vasilij Grossman: Die Hölle von Treblinka, aus dem Russischen 1946, Jeanette Wolff: Sadismus oder Wahnsinn. Erlebnisse in den deutschen KZs 1946, Konstantin Simonow: Ich sah das Vernichtungslager Majdanek, aus dem Russischen 1947, V. Klemperer: LTI 1947, Der Nürnberger Prozess, Aus den Protokollen 1952, Wolfgang Vogel, Dissertation: Die Wiedergutmachung faschistischen Unrechts in der DDR 1952Lord Russel of Liverpool: Geißel der Menschheit, kurze Geschichte der Nazikriegsverbrechen 1955, Müller-Hegemann: Zur Psychologie des deutschen Faschisten 1955, Die Todesfabrik, aus dem Tschechischen 1957, Faschismus – Ghetto – Massenmord, aus dem Polnischen 1960, Das Tagebuch des Dawid Rubinowicz, aus dem Polnischen 1961, Kleine Festung Theresienstadt, aus dem Tschechischen 1963, Therapie der Erschöpfung und vorzeitigen Vergreisung bei Verfolgten des Faschismus 1964, F. K. Kaul: Der Fall des Herschel Grynszpan 1965, Eine Auschwitz-Dokumentation 1966, H. Eschwege: Kennzeichen J. 1966, Hrsg. Heinrich Fink: Den sechs Millionen, die keinen Retter fanden 1968, Bernard Goldstein: Die Sterne sind Zeugen 1969, Juden unterm Hakenkreuz, Verlag der Wissenschaften 1973, Kurt Pätzold: Faschismus Rassenwahn Judenverfolgung 1975, Kunst und Kultur im antifaschistischen Exil, 7 Bände, 1979 – 1981, V. Pozner: Abstieg in die Hölle. Zeugnisse über Auschwitz 1982, R. Hirsch: Um die Endlösung, Prozessberichte 1982, Heinrich Mann: Der Hass 1983, Günter Hartung: Literatur und Ästhetik des deutschen Faschismus 1983, Kurt Pätzold: Verfolgung – Vertreibung –Vernichtung. Dokumentation des faschistischen Antisemitismus 1983, Slavomir Horsky: Verbrechen, die nicht verjähren, aus dem Tschechischen 1984, Medizin im Faschismus 1985, Schuder / Hirsch: Der gelbe Fleck. Wurzeln und Wirkungen des Judenhasses in der deutschen Geschichte 1987, Erika Mann, Einführung Thomas Mann: Zehn Millionen Kinder. Die Erziehung der Jugend im Dritten Reich 1988, Europa unterm Hakenkreuz, 4 Bände 1988, Judenhass und Judenmord. Unerklärlich! Unbegreiflich? Friedrich-Schiller-Universität 1990.

Ohne den im Raum stehenden, monströsen Vorwurf der Unterdrückung jüdischer Themen in der DDR könnte ich mir den nun vielleicht schon pedantisch wirkenden Hinweis sparen, dass zu dem auch ästhetisch heiklen Thema Holocaust, für das erst eine Sprache gefunden werden musste, außerdem 238 belletristische Werke erschienen. Romane, Erzählungen, Novellen, Gedichtbande, Dramatik und Kinderbücher, in denen der Völkermord zentrales oder wesentliches Thema ist. (Darunter von DDR-Autoren wie Anna Seghers, Bruno Apitz, Jurek Becker, Johannes Bobrowski, Franz Fühmann, Stephan Hermlin, Stefan Heym, Walter Kaufmann, Gunter Kunert, Fred Wander, Arnold Zweig. Westdeutsche Autoren wie Ilse Aichinger, Alfred Andersch, Paul Celan, Peter Härtling, Heinar Kipphardt, Wolfgang Koeppen, Luise Rinser und Peter Weiss wurden in DDR-Verlagen genauso verlegt wie die Generation davor: Lion Feuchtwanger, Frank Leonhard, Klaus Mann, Erich Mühsam, Erich Maria Remarque, Nelly Sachs, Franz Werfel. Schließlich wurde auch viel übersetzt, besonders aus Osteuropa: Josef Bor, Tibor Déry, Ladislav Grosman, Imre Kertész, Anatoli Kusnezow, Stanislaw Lem, Icchokas Meras, aber auch Natalia Ginzburg, Primo Levi, Elie Wiesel oder Jorge Semprún.)

Worüber es bisher keine Analysen gibt, das sind die Beiträge der Theater, der Musik, der Bildenden Kunst oder der Hörspiele und Features im Rundfunk. Dagegen existiert eine Untersuchung über die Behandlung des Völkermords im Deutschunterricht. Fazit des Autors Matthias Krauß über den Beitrag der DDR: «Ihre ‹Nationalkultur› legte eindringliche und erschütternde Zeugnisse der faschistischen Judenverfolgung vor, es lässt sich begründet behaupten, dass die wichtigsten deutschen künstlerischen Zeugnisse zu diesem Thema in der DDR entstanden sind und nicht in der Bundesrepublik. Davon war der Deutschunterricht im sozialistischen Teil Deutschlands nicht allein berührt, davon war er durchtränkt.»[4]

Der Schatten des Zeugen Schattmann

Das alles erklärt, weshalb entgegen Behauptungen aus jüngster Zeit die Holocaust-Serie beim ostdeutschen Publikum längst nicht diese aufrüttelnde Wirkung hatte wie im Westen. Aber auch, weshalb die eigene Serie «Die Bilder des Zeugen Schattmann» mit einer durchschnittlichen Sehbeteiligung von 28 Prozent unter den Erwartungen geblieben war. Die Zuschauer-Analyse ergab, dass das Gesehene nur zwei Drittel stark berührt hat, die Übrigen gewannen «den Eindruck, etwas zu sehen, was durch die Häufigkeit der Behandlung dieses Themas nicht mehr so ergreifend wirkte».

Auch an dieser Serie konnte sich erweisen, wie die Debatte weitergeht. Denn diesen Schattmann verfolgt ein Schatten, der bis heute stört. Er ist Zeuge, er macht eine Aussage im Globke-Prozess. Im Film eher eine Nebenszene, schrillen dennoch sämtliche Alarmglocken. Da hilft es wenig, dass der Autor Peter Edel (eigentlich Peter Hirschweh) diese Zeugenaussage im wirklichen Leben, im wirklichen Prozess gemacht hat. Für Kunst ist der Verweis auf ihre Authentizität fürwahr kein Nachweis ästhetischer Qualität. In diesem Fall hat das Wissen um die dokumentarische Brisanz des Auftritts aber beklemmende Wirkung.

Dieser Peter Edel, aus einer bürgerlichen Berliner Familie stammend, konnte wegen der Rassengesetze das Gymnasium nicht beenden und nahm illegal Zeichenunterricht bei Käthe Kollwitz. Versuche, ins Exil zu gehen, misslangen, ein Großteil seiner Verwandten und seine erste Frau wurden in Auschwitz umgebracht. Er selbst überlebt dieses Vernichtungslager nur, weil er als bildender Künstler nach Sachsenhausen zum Geldfälschen verlegt wird. Noch im Lager beschließt er, Kommunist zu werden, als Konsequenz des Erlittenen. Nach der Befreiung versucht er es in Österreich als Journalist und Graphiker, später in Westberlin, ab 1947 in Ostberlin. Häufig suchen ihn Fieberanfalle heim, die einige Tage andauern. Im Fieberwahn durchleidet er immer wieder Auschwitz. Danach kann er sich an nichts erinnern.

Davon befreit hat er sich mit seinem autobiographischen Roman, der 1969 erschien. Bis 1989 erlebte der Schattmann 12 Auflagen, danach keine mehr. Die vierteilige Verfilmung lief im Fernsehen alle drei, vier Jahre erneut, auch nachmittags im Schulprogramm, sonst zur besten Sendezeit, mit Wiederholung am nächsten Morgen, zuletzt 1988. Man kam an diesem Film eigentlich nicht vorbei, wer ihn nicht gesehen hat, wollte ihn nicht sehen. Das ist selbstverständlich völlig in Ordnung, viele sahen das Staatsfernsehen so gut wie nie. Ich hatte mich, nach einigen Jahren des Herumärgerns und vergeblichen Bemühens um neue Themen, 1981 als Redakteurin auch daraus verabschiedet. Nur sollten diejenigen, die sich bis heute nicht sachkundig gemacht haben, nicht so tun, als wüssten sie, was damals gelaufen ist.

Ich erinnere mich nicht, ob ich einst alle Teile der Serie gesehen habe. Die Bücher von Peter Edel las ich jedenfalls nicht. Auch ich hatte meine Vorurteile. Unter den DDR-Autoren gehörte Edel politisch zu den Hardlinern. Er war nicht mit denen befreundet, zu denen ich mich hingezogen fühlte. Zwar hielt er als Genosse Kontakt zur Jüdischen Gemeinde und weigerte sich 1967 auch, eine israelkritische Erklärung zu unterschreiben. Als aber Kollegen, darunter auch jüdische, Opfer der DDR-Kulturpolitik wurden, zeigte er sich nicht solidarisch. Stattdessen glaubte er 1979 in einem Brief an seinen in der NS-Zeit auch inhaftierten Genossen Honecker betonen zu müssen, dass er ganz hinter seiner Politik stunde. Es sei ihm «ein inneres Bedürfnis, dies die Partei wissen zu lassen». Über die Anlehnungsbedürfnisse derart verwaister, traumatisierter Menschen habe ich mir keine Gedanken gemacht.

In seinen letzten Jahren wurde Peter Edel von der Stasi als IM geführt. Er sollte vor allem im Internationalen PEN Einfluss im Sinne der DDR-Kulturpolitik nehmen. Doch da war er schon schwer krank. Es gab Kontakte und Berichte, aber übermäßig aktiv ist er nicht mehr geworden. Mit 61 Jahren ist Peter Edel gestorben.

Ist einer wie er es heute wert, als Zeitzeuge wahrgenommen zu werden? Der vierteilige Film nach seinem Roman hat Schwächen, ist aber allemal besser als der bislang gesendete Hitler-Hype. Was könnten das für spektakuläre, die innere Einheit befördernde Fernsehabende werden: Das ZDF übernimmt die Serie zur besten Sendezeit. Nach der ersten Folge sendet sie im Anschluss eine kritische Dokumentation über Trauma, Treue und Verrat unter diktatorischen Verhältnissen sowie über den Beitrag von Kunst in beiden Teilen Deutschlands zu dem anhaltenden Entsetzen am Vollzug der Shoa, bei gleichzeitig offenbar zunehmend blockiertem Mitgefühl mit dem Leid ihrer Opfer.

Nach der zweiten Folge könnte eine Dokumentation darüber laufen, wo Propaganda beginnt und Verharmlosung endet. Mit Ausschnitten aus dem Dokumentarfilm des DDR-Fernsehens von Walter Heynowski: Aktion J. von 1961. 4000 Originaldokumente, bis dahin nie gesehenes Filmmaterial und Zeugenaussagen belegen darin die Mitschuld von Hans Globke an der Ermordung von sechs Millionen Juden. Dürfte dabei erwähnt werden, weshalb es Fritz Bauer nicht gelungen ist, dem Eichmann-Prozess in Jerusalem auch einen Globke-Prozess folgen zu lassen? Weil nämlich Adenauer erheblichen Druck auf Israel ausübte, das wirtschaftlich in einer äußerst angespannten Lage und von seinen Nachbarn bedroht war. Als Eichmann ergriffen worden war, stoppte die Bundesregierung geplante Verträge über Kredite und Rüstungsgüter. Adenauer ließ ausrichten, wenn im Prozess das Ansehen der Bundesrepublik beschädigt würde, gäbe es kein Geld und keine Waffen mehr. Ministerpräsident Ben Gurion soll selbst in die Anklageschrift eingegriffen und die Schuld der Deutschen vor 1945 abgemildert haben.[5] Der Prozess konzentrierte sich dann ganz auf Eichmann, den «größten Verbrecher seiner Zeit», und ließ Globke außen vor. Als klar war, dass keine weiteren Unannehmlichkeiten mehr folgen würden, floss der Kredit- und Waffenstrom weiter.

Nach dem dritten Teil von «Die Bilder des Zeugen Schattmann» im ZDF schlösse sich ein nachdenklicher Essay zu einem im Film zitierten Gedanken von Friedrich Engels an: «Antisemitismus ist das Merkzeichen einer zurückgebliebenen Kultur.» Was und wer dominiert die Kultur, hierzulande und weltweit? Warum fällt sie zurück, statt, wie Technik und Wissenschaft, den Fortschritt vor sich herzutreiben? Das könnte eine Neugier auf die inhaltlich und ästhetisch gültigsten, antifaschistischen Kunstwerke beider Seiten wecken.

Nach dem letzten Teil schließlich würde eingeräumt, dass es hoch gefährlich wäre, weitere 30 Jahre mit gegenseitigen Vorwürfen zu verlieren, wessen Umgang mit dem NS-Erbe der untauglichste war.

Stattdessen ließe sich auf den rationalen Kern beider Seiten besinnen, versuchte man eine Synthese aus ökonomisierender Klassentheorie und psychologisierender Individuallehre. So könnte ein gegenseitiger Lernprozess beginnen. Die Grundhaltung gegen den Faschismus wäre nicht mehr Gegenstand von Achtung, sondern würde zur vordringlichen Gemeinsamkeit im Überlebenskampf gegen den Vormarsch der Neofaschisten. Erst wenn sich der verschnürte Diskursbereich diesem Freiraum öffnen würde, könnte man mit Fug und Recht von Paradigmenwechsel sprechen.


[1] Martin Sabrow: Die NS-Vergangenheit in der geteilten deutschen Geschichtskultur, in: Teilung und Integration, Bonn 2005, S. 139.

[2] Elke Schieber: Tangenten. Holocaust und jüdisches Leben im Spiegel audiovisueller Medien in der SBZ und der DDR 1946 bis 1990 – Eine Dokumentation, Berlin 2016.

[3] Renate Kirchner: Jüdisches in Publikationen aus DDR-Verlagen 1945 – 1990. Eine Bibliografie; im Anhang des Buches: Detlef Joseph: Die DDR und die Juden, Berlin 2010, S. 264-399.

[4] Matthias Krauß: Völkermord statt Holocaust, Jude und Judenbild im Literaturunterricht der DDR, Leipzig 2007, S. 182.

[5] Klaus Bästlein: Der Fall Globke. Propaganda und Justiz in Ost und West, Metropol-Verlag, Berlin 2018, S. 63f.

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