Publikation Geschichte - Parteien- / Bewegungsgeschichte - Rosa-Luxemburg-Stiftung - Archiv / Bibliothek - Archiv Ohne Gedächtnis keine Zukunft

Oder: Archive brauchen Gegenwart. Eine Bilanz zu 20 Jahren «Archiv Demokratischer Sozialismus».

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Erschienen

Dezember 2019

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«Das Sprechen, Schreiben und Lesen bewegt sich in der Zeit. Satz stößt auf Gegensatz, Frage auf Antwort, Antwort auf neue Frage. Behauptetes wird widerrufen, Widerrufenes wird neuen Bewertungen unterzogen. Der Schreibende und der Lesende befinden sich in Bewegung, sind ständig offen für Veränderungen.» Dieses Zitat von Peter Weiss fällt mir ein, wenn ich an unser Archiv Demokratischer Sozialismus denke.

Dagmar Enkelmann ist Diplomhistorikerin und seit 2012 Vorstandsvorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung. In der Zeit der politischen Wende beteiligte sie sich in Bernau aktiv an der Arbeit des Runden Tisches und wurde im März 1990 in die Volkskammer der DDR gewählt. Für die PDS bzw. die Partei DIE LINKE gehörte sie mehrere Legislaturperioden dem Deutschen Bundestag bzw. dem Brandenburger Landtag an. Von 2005 bis 2013 war sie Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion DIE LINKE.

Archive geben noch in vielen Jahren Auskunft über eine konkrete Zeit, über Ansichten und Einsichten, über Ereignisse und Prozesse, über politische Akteure, ihre Gedanken und Entscheidungen. Die Unterlagen in den Akten, Bild-, Ton- und Videoaufnahmen bewahren Gesprochenes und Geschriebenes quasi als Zeugnisse einer bestimmten historischen Zeit. Sie sind Voraussetzung dafür, dass sich nachfolgende Generationen mit dieser Zeit authentisch auseinandersetzen, neue Fragen stellen und vielleicht überraschende Antworten und andere Bewertungen finden können.

Seit 20 Jahren gibt es das Archiv der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Und ich verrate hier kein Geheimnis: Unser Archiv Demokratischer Sozialismus ist etwas Besonderes. Es ist ein, vielleicht sogar das Gedächtnis linker Bewegungen, sozialistischer Ideen, linker parteipolitischer Entwicklungen und demokratischen Wirkens seit 1989. Und unser Archiv ist nur so gut, wie wir es selbst gestalten.

Ja, es macht Mühe und ist vielleicht auch schmerzhaft, nach einem aktiven politischen Leben persönliche Unterlagen zu sichten und diese einem Archiv anzuvertrauen. Diese Entscheidung fällt oft nicht leicht. Aber machen wir uns nichts vor, im privaten Besitz lagern die Unterlagen oft in Kisten im Keller oder auf dem Boden, natürlich immer mit dem guten Vorsatz, alles noch einmal in die Hand zu nehmen, durchzuschauen, vielleicht ein Buch zu schreiben oder später über eine professionelle Archivierung nachzudenken.

Wir haben es in der Hand, unsere Geschichte und die der Partei DIE LINKE sowie ihrer Vorgängerparteien – sei es die SED/PDS, die PDS oder die WASG – authentisch und im historischen Gedächtnis wachzuhalten. Dabei fangen wir nicht bei null an. 20 Jahre Archivarbeit haben dazu geführt, dass bereits zahlreiche Unterlagen zur Entstehung und Entwicklung unserer Partei und linker Bewegungen, zum Wirken linker Kräfte bei der demokratischen Willensbildung vorhanden sind. Auch Unterlagen zu einzelnen Personen innerhalb dieser Entwicklungen und Prozesse sind archiviert. Und bereits jetzt wird unser Archiv aktiv genutzt, von Wissenschaftler*innen, Student*innen und auch Journalist*innen. Jedes Archiv ist Teil des gesamtgesellschaftlichen Gedächtnisses, auch unser Archiv Demokratischer Sozialismus. Wir nehmen sein 20-jähriges Bestehen zum Anlass, Bilanz zu ziehen und neue Ziele zu formulieren. Dazu gehört, seine unterschiedlichen Funktionen als Gedächtnis der Partei, als Gedächtnis unserer Stiftung, als Gedächtnis parlamentarischer Arbeit, als Gedächtnis sozialer Bewegungen und als Gedächtnis politischer Persönlichkeiten darzustellen und zum Nachdenken und Mittun anzuregen.

Diese Publikation soll Ihnen helfen, den Wert Ihrer Unterlagen zu erkennen, und Sie motivieren, diese in das linke Gedächtnis einzubringen. Die Autor*innen beschreiben aus der Sicht der Schreibenden und Lesenden, was sie mit dem linken Gedächtnis verbinden und warum sie ein solches für nötig erachten, woraus es sich zusammensetzt und wem oder wozu es dient, welchen Anforderungen es sich stellen muss. Es sind zum großen Teil persönliche Sichtweisen und Bewertungen. Dafür danke ich allen Mitwirkenden.

Dagmar Enkelmann