Gewerkschaften in Deutschland gelten nicht als Vorkämpfer gegen den Klimawandel. Anders in Kanada – dort hat die nationale Vertretung der Postarbeiter*innen schon vor Jahren Klima ganz oben auf ihre Agenda gesetzt. Gewerkschaften aus dem Globalen Norden halten sich zumeist aus den Kämpfen im Globalen Süden heraus – nicht jedoch die Canadian Union of Postal Workers (CUPW). Wenn eine Gewerkschaft streikt, stellt sich selten die Bevölkerung dazu. Streikposten der CUPW aber wurden nach der ihnen erteilten «Back-to-work Order» durch Blockaden ersetzt, die zwar die Arbeiter*innen in die Postämter hinein, die Briefe aber nicht herausließen. Mit anderen Worten: Solidarische Menschen sorgten dafür, dass jene, denen der Streik verboten worden war, ordnungsgemäß an ihren Arbeitsplätzen erscheinen, sie ihrer Arbeit aber nicht nachkommen und die Streikmaßnahmen damit faktisch fortgesetzt werden konnten.
Diese Aufzählung ließe sich verlängern und wird sich im Folgenden als Abschnitte wiederfinden lassen. Die Vorsitzenden der hiesigen großen Gewerkschaften sind ganz überwiegend weiß und männlich, die Präsidentin der CUPW ist schwarz. Wobei ausnahmslos Mitglieder in Gewerkschaftsfunktionen gewählt werden – keine Akademiker*innen. Und auch in ihren Bildungsveranstaltungen werden nicht nur Kapitalismus als Herrschaftsverhältnis, sondern auch Klassismus, Sexismus, Rassismus, Homophobie etc. sowie die Abwertung von Sorgetätigkeiten in den Fokus gerückt. All dies macht es wert, den Politikansatz der CUPW in Deutschland bekannter zu machen.
Gleichzeitig stellt die vorliegende Publikation keine Innenschau dieser Gewerkschaft dar. Sicherlich würden aus interner Perspektive Konflikte, Ambivalenzen und Widersprüche sichtbarer werden. Doch geht es nicht um eine letztendliche Beurteilung der CUPW bzw. STTP, wie die Abkürzung für sie im französischsprechenden Teil Kanadas lautet (für Syndicat des travailleurs et travailleuses des postes), sondern darum, aus ihren Ansätzen Anstöße für hiesige Gewerkschaftspolitik zu gewinnen. Es geht auch nicht darum zu diskutieren, welche Aspekte, Erklärungen oder Maßnahmen der CUPW als kapitalismuskritisch einzuordnen sind und ob jedes Statement unterstützenswert ist, sondern schlicht darum, den Ansatz der CUPW darzustellen und damit aufzuzeigen, wie Gewerkschaft zu einer transformativen Kraft werden kann. Wer sich bei dem einen oder anderen Punkt eine kritischere Perspektive gewünscht hätte, mag sich dennoch inspiriert fühlen.
Die hier vorliegende Darstellung beruht auf eigener teilnehmender Beobachtung, auf mündlichen und schriftlichen Interviews mit Gewerkschaftsmitgliedern der verschiedenen Ebenen und selbstverständlich auf einer umfassenden Literaturrecherche. Bekannt wurde mir die Canadian Union of Postal Workers 1998 durch die globale Widerstandsvernetzung Peoples Global Action. Kurz zuvor hatte die CUPW zuerst den Frachtverkehr des Flughafens Pearson International blockiert und dann den Finanzbezirk Torontos mitsamt seinen Banken. Seit dieser Zeit beobachte ich die Menschen und die Entwicklungen der CUPW mit Staunen und Respekt.
Nach der Einleitung geht es in Kapitel 2 um die Arbeitskämpfe der CUPW und deren Unterstützung durch die Bevölkerung. Es folgt in Kapitel 3 eine Darstellung der Kampagne «Delivering Community Power», mit der die Gewerkschaft seit Jahren darum wirbt, die Infrastruktur der kanadischen Post für einen Umbau hin zu einer klimaneutralen, gerechteren und sozialeren Gesellschaft zu nutzen. Kapitel 4 beschreibt die internationalistische Haltung der CUPW und wie sie sich ihrer Verantwortung als Teil eines letztlich kolonialen Staates stellt. Kapitel 5 widmet sich einigen Aspekten von Intersektionalität (also der Berücksichtigung aller Herrschaftsverhältnisse). Es folgt in Kapitel 6 eine Innenansicht ihres Bildungsverständnisses («Direct Education»), einschließlich dessen Bedeutung für das Organizing. Ihr Ansatz des Organizing wiederum inspiriert das Schlusswort.
Inhalt
Einleitung – Gewerkschaft kann anders!
Die Arbeitskämpfe der Canadian Union of Postal Workers
- Aktuelle Situation
- Unterstützung durch die Bevölkerung
- Ausweitung der Vertretung auf prekäre Beschäftigte
- Streikgeschichte
«Delivering Community Power» – Klimapolitik als Chance für eine gerechtere Gesellschaft
- Die einzelnen Maßnahmen
- Umstieg auf erneuerbare Energien
- Eine nicht profitorientierte Postbank
- Ein koordinierter Lieferdienst für die «letzte Meile»
- Tür-zu-Tür-Caring
- Postämter als soziale Zentren
- «... empowers us to make change»
- Postkoloniale Verantwortung und globale Solidarität
- Verantwortung gegenüber den First Nations
- Internationalismus
- Beteiligung am globalen Widerstand
Intersektionalismus
- Gender
- Eine «Kultur des Kampfes» als Intersektionalismus-Strategie?
- Care
Bildung als «Direct Education»
- Union Education Program
- Organizing
Der Kampf wird breiter
Literatur
Autorin
Friederike Habermann ist promovierte Ökonomin und Historikerin sowie Autorin und Aktivistin mit dem Fokus auf Wirtschaft und Intersektionalität. Menschen der CUPW ist sie erstmals Ende der 1990er Jahre beim Aufbau der kritischen Globalisierungsbewegung begegnet.