«An die Politik: ENERGIEWENDE? Erst erklären, wie es geht, dann beweisen, dass es geht, erst dann weitere Eingriffe!», lautet die Inschrift eines Transparents, das über dem Haupteingang zum Braunkohlekraftwerk Jänschwalde im Lausitzer Revier ins Auge sticht. Die demonstrativ platzierte Botschaft bringt eine unter den Beschäftigten vorherrschende Stimmung recht gut auf den Punkt: Gegenüber dem geplanten Kohleausstieg herrscht große Skepsis. Dass nicht alle Menschen in der Lausitz dieser Meinung sind, zeigt sich augenfällig am gelben Widerstands-X in den Ortschaften, die für die Braunkohleförderung umgesiedelt und abgebaggert werden sollen. Als Entgegnung auf die Sorge um Arbeitsplätze findet sich bei Aktionen der Klimabewegung, wie sie immer wieder im Lausitzer Revier stattfinden, häufig die Parole «There are no jobs on a dead planet».
Die Auseinandersetzungen um die Energiewende und den Kohleausstieg stellen vielleicht einen der am weitesten vorangeschrittenen Transformationskonflikte in Deutschland dar. Insofern könnten die Geschehnisse in den Braunkohlerevieren einen Vorgeschmack auf das bieten, was in Sachen Verkehrswende, Automobilproduktion und Dekarbonisierung der Gesamtwirtschaft erst noch bevorsteht. Deshalb lässt sich fragen: Bietet die Lausitz ein Musterbeispiel für die sozialökologischen Konfliktlagen der Zukunft? Welche Lehren lassen sich für die Transformation in anderen Branchen und Regionen ziehen? Gibt es Fehler, die vermeidbar sind? Finden sich vielleicht Konfliktlösungen, die sich auch auf andere Wirtschaftsräume übertragen lassen?
Am Beispiel der Lausitz wird sichtbar, so unsere These, dass sich soziale und ökologische Konfliktlinien gegeneinander verselbstständigen können. In den Auseinandersetzungen um den Kohleausstieg werden grundlegende gesellschaftliche Zukunftsfragen be- und verhandelt. Es geht auch darum, wer für welche Arbeit wie viel Anerkennung erhält, was eigentlich ein gutes Leben ausmacht, wie eine lebenswerte Zukunft (nicht nur) in der Region aussehen könnte und wer in die Entscheidungen über die Entwicklung der Lausitz einbezogen wird.
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Inhalt
- Einleitung
- Sichtweisen der Kohlebeschäftigten
- Das «Rückgrat der Lausitz»: die regionale Bedeutung von Braunkohle und LEAG aus Sicht der Beschäftigten
- Zweifel an der Machbarkeit des Ausstiegs
- Eine «zweite Wende»? Arbeitsmarkt und regionale Entwicklung
- «Buhmänner der Nation»: Abwertungserfahrungen und Medienkritik
- Zwischen legitimer Meinungsäußerung und «Ökoterrorismus»: Sichten auf die Kohlegegner*innen
- Mit wem für die Lausitz? Kohleausstieg, politische Akteure und extreme Rechte
- Sichtweisen von Umweltaktiven und Tagebaugegner*innen
- «Nicht mehr der Schrittmotor»? Sichtweisen auf LEAG und Braunkohleindustrie
- Geteilte Unsicherheit, zu später Ausstieg: ökologische Folgen des Braunkohleabbaus
- «Die müssen sich bewegen»: Fachkräftemangel und Strukturwandel «von unten»
- Kampf um Anerkennung: Medien und regionale Öffentlichkeit
- Engagement und Protest
- Wer vertritt die Tagebaugegner*innen?
- Fazit: ein Konflikt, der Nachhaltigkeitsziele blockiert .
- Literatur
Autor*innen
- Sophie Bose, M. A., ist Soziologin mit den Arbeitsschwerpunkten Rechtspopulismus, Gewerkschaften, politische Orientierungen und Geschlechterverhältnisse.
- Klaus Dörre ist seit 2005 Professor für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie an der Friedrich- Schiller-Universität Jena, Sprecher des DFG-Kollegs Postwachstumsgesellschaften, Editor in Chief des Berliner Journal für Soziologie und Co-Herausgeber (gem. mit Brigitte Aulenbacher) des Global Dialogue, eines Magazins der International Sociological Association (ISA). Seine Arbeitsschwerpunkte sind Kapitalismustheorie, Prekarisierung von Arbeit und Beschäftigung, Arbeitsbeziehungen, digitale Transformation sowie Rechtspopulismus.
- Jakob Köster, M. A., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind die Arbeitssoziologie sowie Prekarisierung und Prekarität.
- John Lütten, M. A., ist Doktorand am Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena und promoviert über Gesellschaftsbilder der Arbeiterschaft. Das Promotionsprojekt wird mit einem Stipendium der Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert.