Im Jahr 2024 begeht das Studienwerk der Rosa-Luxemburg-Stiftung seinen 25. Geburtstag. Das ist wahrlich ein Grund zum Feiern angesichts beachtlicher Erfolge in der Förderung linker Netzwerke und Bildungsbiographien. Mittlerweile weit über 3600 ehemalige und etwa 1000 gegenwärtige Stipendiat*innen in der Studien- und Promotionsförderung sprechen in gewisser Weise für sich. Das gilt umso mehr, wenn man bedenkt, wie vielen von ihnen höhere Bildung nicht in die Wiege gelegt war, weil sie die ersten in der Familie sind, die studieren oder weil sie andere Ausgrenzungserfahrungen machen. Darauf sind wir stolz.
Nach 25 Jahren ist aber auch eine Bestandsaufnahme angemessen. Denn wir begehen das Jubiläum in schwierigen Zeiten. Stiftung und Partei sind in den nächsten Jahren vor große Herausforderungen gestellt und werden sich behaupten müssen. Umso wichtiger ist es, sich für das Erreichte nicht bloß auf die eigene Schulter zu klopfen, sondern sich kritisch damit auseinander zu setzen, wie man es auch nicht anders von einer linken Stiftung erwartet.
Das Studienwerk und sein Wirkungsfeld mit Stipendiat*innen, Ehemaligen und Vertrauensdozent*innen ist ein Ort, an dem sich große Probleme der Gesellschaft im Kleinen zeigen. Hier treffen sich alle linken Strömungen und Orientierungen, Menschen aus verschiedenen Ländern, mit diversen sozialen Hintergründen und sehr unterschiedlichen Erfahrungen und Ressourcen. Ihr Zusammenkommen ist produktiv und bereichernd, zugleich aber immer wieder auch fordernd. Wie also agieren und reagieren wir als Stiftung und Studienwerk? Was ist ethisch-politisch geboten, was ist politisch-strategisch effektiv?
Das vorliegende Buch ist der Ort für eine Bestandsaufnahme. Dazu haben wir Kolleg*innen aus der Stiftung und von außerhalb eingeladen, ihre Gedanken, Überlegungen und Empfehlungen beizusteuern.
Abgesehen vom Jubiläum gibt es noch einen weiteren konkreten Anlass und mit diesem viel Material zum Nachdenken: die aktuelle Ehemaligenstudie, deren Ergebnisse im Sommer 2023 in Berichtsform veröffentlicht wurden. Die Erfahrungen mit der Stiftung und die Bewertungen der Arbeit des Studienwerks durch unsere Alumni sind ein reicher Quell von Hinweisen auf das, was unsere Arbeit leistet. Letztlich entscheidet sich an den Biografien unserer (ehemaligen) Stipendiat*innen im Hinblick auf ihr persönliches Vorankommen, ihren beruflichen Erfolg, ihr politisches Engagement und ihr vernetztes gesellschaftliches Wirken, ob wir gute Arbeit machen. Und durch die Brille unserer spezifisch linken Förderziele betrachtet: Welchen tatsächlichen Beitrag leistet unsere Art der Förderung tatsächlich zum Abbau von Benachteiligungen? Und erreichen wir wirklich die Gruppen, die wir avisieren? Und gelingt es, diese Gruppen bei aller Vielfalt und Divergenz miteinander und mit der Stiftung langfristig zu vernetzen und damit auch nachhaltige politische Wirkung zu erzielen?
Kurz: Wie agiert das Studienwerk zwischen seiner rechtlichen Funktion als «linkes BAföG-Amt» und seinem Selbstverständnis als linker, solidarischer und kritischer Bildungsinstitution?
Die meisten Beiträge in diesem Buch sind also zweierlei: ein reflektierender Blick auf das Studienwerk der RLS sowie ein Kommentar zu den Befunden der Ehemaligenstudie. Deswegen wird der vorliegende Band von drei ihrer Autor*innen eingeleitet. Sie fassen wesentliche Ergebnisse zusammen und versuchen sich in konzisen Antworten auf die Kernfragen nach dem Erfolg unserer Förderung, deren Beitrag zum Nachteilsausgleich, zu Engagement und Vernetzung der Ehemaligen und zur Einschätzung der Ehemaligenarbeit. Der folgende zweite Teil von Beiträgen gibt vor allem Ein- und Rückblicke, um die Arbeit des Studienwerks und ihre Grundlagen vorzustellen. Im dritten Teil kommt das intellektuelle (Um-)Feld der Stiftung zu Wort: In ihren Beiträgen wägen unter anderem Vertrauensdozent*innen und Mitglieder der Leitungsgremien (Vorstand, Beirat, Bereichsleitungen) wichtige Einzelfragen ab, die die Richtung und Wirkung der Arbeit des Studienwerks maßgeblich prägen.
Über das Buch verteilt finden sich Porträts ehemaliger Stipendiat*innen, in denen sich all die genannten Aspekte konkret fassen lassen. Sie sind in der ersten Person verfasst, aber von der Journalistin Pia Stendera aufgeschrieben worden. Insofern bietet der vorliegende Band nicht nur viel Stoff zum Nachdenken, sondern auch zum Einfühlen in unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen und gewährt damit einen Blick in die Vergangenheit wie in die Zukunft – für uns als konkret in die Stiftungsarbeit Involvierte, aber auch für eine breitere gesellschaftliche Linke.
Jane Angerjärv, Marcus Hawel und Peter Ullrich (Berlin, 3.5.2024)