«Das Leben ins Zentrum stellen!» fordern Bewegungen des feministischen Streiks weltweit. Aber wie kann das gehen, wo doch die Realität völlig anders aussieht: Städtische und öffentliche Einrichtungen der Daseinsvorsorge werden immer weiter abgebaut, der Markt ersetzt sie kaum und wenn, zu hohen Preisen. Immer mehr Aufgaben – insbesondere bei der Kinderbetreuung, Bildung, Pflege, Gesundheitsversorgung und Assistenz – müssen daher privat und in den eigenen vier Wänden übernommen werden. Dieser Raum wird angesichts steigender Mieten außerdem immer enger und unsicherer. Damit können wir uns nicht abfinden.
Was aber lässt sich tun gegen die fortschreitende Inwertsetzung des Lebens? Wie könnte eine Ökonomie aussehen, die das Wohl der Vielen zum Ziel hat und jede Arbeit wertschätzt? Wie müssen Institutionen aussehen, in denen wir demokratisch darüber entscheiden, wie Sorgearbeit jenseits bestehender Geschlechterrollen organisiert werden kann und in denen alle Bedürfnisse zu ihrem Recht kommen? Und wie lassen sich sowohl konkrete Verbesserungen im Alltag erreichen als auch eine grundlegende Gesellschaftsveränderung einleiten?
Eine echte Lösung kann es nur geben, wenn Sorgearbeit umfassend vergesellschaftet und demokratisch organisiert wird. Doch wie kann das gehen?
Jede linke Strategie braucht drei Elemente: eine Analyse und Kritik der Gegenwart, die klare Vision einer besseren Zukunft und konkrete Angebote, um von einem zum anderen zu kommen. Das Konzept der «Sorgenden Städte» leistet genau das: Es gibt Impulse für einen eingreifenden Feminismus auf der lokalen Ebene und darüber hinaus. Die (Sorge-)Bedürfnisse aller Bewohner*innen stehen im Zentrum und werden demokratisch ausgehandelt. Es geht um Einstiegsprojekte einer feministisch-sozialistischen Kommunalpolitik, die dort ansetzen, wo die alltägliche Care-Krise stattfindet und überwunden werden kann. Denn erste Schritte lassen sich am besten lokal erstreiten, dort wo Menschen sorgen und Sorge empfangen. Eine Strategie für das Heute und das Morgen.
Eine «Sorgende Stadt» kann jedoch nicht einfach gefordert, beschlossen und umgesetzt werden. Dafür braucht es die organisierende Kraft der Vielen. Aber sie ist ein konkretes Bild für eine feministisch-sozialistische Zukunft und kann als Kompass für den schrittweisen Umbau der Sorgeverhältnisse dienen. Das bedeutet, dass Forderungen und Projekte daraufhin geprüft werden, ob sie uns einer gerechteren Organisation von Sorgearbeit näherbringen. Etwa, weil sie überhaupt wieder ein Bewusstsein dafür schaffen, dass es nicht so bleiben muss, wie es ist. Oder weil neue Infrastrukturen uns mehr Zeit und Energie verschaffen, um nächste Schritte überhaupt gehen zu können. Oder aber, weil bestimmte Angebote und Aktivitäten Nachbarschaften stärker zusammenbringen, deren gemeinsame Kraft benötigt wird, um Forderungen durchzusetzen. Es geht also darum, Einstiegsprojekte in eine sozialökologische Transformation, in einen grundlegenden Umbau der Gesellschaft zu entwickeln. In Anlehnung an Rosa Luxemburg wird dafür oft der Begriff der «revolutionären Realpolitik» verwendet.
Im ersten Teil dieser Broschüre werden daher die wichtigsten Bausteine einer «Sorgenden Stadt» dargestellt und konkrete Schritte, wie wir dorthin gelangen können. Im zweiten Teil stellen wir bereits existierende Projekte aus den «Sorgenden Städten» im spanischen Staat vor und gucken genau hin, was an ihnen im genannten Sinne tansformatorisch ist – warum sie also erste Schritte in Richtung einer Vergesellschaftung von Sorgearbeit ganz praktisch ermöglichen. Und wir überlegen, was davon für die hiesige Situation und unsere Kämpfe übertragbar ist.
Im dritten Teil schildert das Kollektiv Raumstation seine Herangehensweise an ein nachbarschafts-bezogenes Sorge-Mapping: die Recherchemethoden, die Analyse und die Art und Weise, wie das gesammelte Wissen performativ zurück in den öffentlichen Raum getragen wurde. Im Anschluss daran sind die Leser*innen dazu eingeladen, die porträtierten Sorgeinstitutionen kennenzulernen.
Abschließend geben wir einen Ausblick auf den Weg zum «Sorgenden Kiez», stellen die Kampagne «Shoppingmalls zu Sorgezentren» aus Berlin-Treptow vor und geben Hinweise wo sich bereits Menschen zu diesen Fragen organisieren.
Inhalt
- «Sorgende Städte» – Bausteine eines Konzepts
- Inspirationen und Einstiegsprojekte aus Spanien
- Ein Mapping «Sorgender Kieze» am Beispiel des Leopoldplatzes in Berlin-Wedding
- Ausblick: Praktische Schritte auf dem Weg zu einer «Sorgenden Stadt»
Diese Broschüre wurde von Barbara Fried, Hannah Eyssel, Nilo Holdorff, Elisa Otzelberger, Fanni Stolz und Alex Wischnewski verfasst.
Das Kapitel «Ein Mapping Sorgender Kieze» haben Amelie Cassada, Franziska Hollweg und Hannah Müller vom Kollektiv Raumstation geschrieben. Es skizziert das von ihnen durchgeführte Mapping von Sorgestrukturen im Berliner Stadtteil Wedding.