Kriegsächtung und Friedenssicherung gehören zusammen. Linke Politik, die Kriege als Mittel zur Lösung internationaler Konflikte ablehnt, steht auch dafür, Alternativen möglich zu machen. Dazu gehören die Bekämpfung der Ursachen für Kriege und internationale Konflikte, die Öffnung alternativer, friedlicher Wege zur Konfliktbearbeitung und –lösung sowie die Schaffung eines internationalen Rahmens für die Konfliktlösung.
Nach dem kalten Krieg gab es berechtigte Hoffnungen auf ein Ende von Kriegsdrohung und Hochrüstung, auf eine friedliche Welt. Diese Hoffnungen wurden enttäuscht. An die Stelle der großen Bedrohung traten „Instabilitäten, Herausforderungen und Risiken“, angesichts derer der Westen die NATO um- und ausbaute und ihr zunehmend globale Aufgaben zuwies. Die Rüstungsausgaben haben weltweit den Höchststand des kalten Krieges längst wieder überschritten. Krieg wurde wieder zu einem Mittel der Politik gemacht. Deutschland hat mit der Beteiligung an dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien 1999 erstmals seit 1945 wieder Krieg geführt. Es folgten die Kriege in Afghanistan und Irak. Dort zeigt sich das Fiasko dieser Politik besonders deutlich. Sie hat weder Demokratie noch Frieden gebracht, die Zahl der Opfer, der Toten und Flüchtlinge steigt. Von Stabilität kann keine Rede sein.
Das „Recht des Stärkeren“ in den internationalen Beziehungen kann Frieden nicht schaffen. Die Weltprobleme, mit denen wir es im 21. Jahrhundert zu tun haben: Umweltzerstörung, Krankheiten, Migration, Armut, sind nicht durch militärische Gewalt zu bewältigen. Der vielfach zitierte Staatszerfall ist von der Einflussnahme des Westens – etwa in Gestalt von Auflagen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank – nicht zu trennen. Warlords und andere Gewaltherrscher verdienen ihr Geld in der Regel durch Geschäfte mit westlichen Firmen bzw. Abnehmern. Mit Militärinterventionen werden die Folgen der Armut in den Ländern des Südens bekämpft, nicht deren Ursachen.
So kommen der UNO und dem Völkerrecht besondere Bedeutung zu. Die Schlussfolgerung aus linker bzw. friedenspolitischer Perspektive lautete, dass die NATO den Frieden nicht sichert, sondern gefährdet. Um einen Ausweg aus dieser Lage zu finden, ist nicht deren Umgestaltung, sondern die Auflösung der NATO und die Schaffung regionaler Systeme kollektiver Sicherheit erforderlich. Damit gilt es besonders, den Blick auf die UNO zu werfen, die auf dem Trümmern des zweiten Weltkrieges als der rechtliche und institutionelle Rahmen zur Sicherung des Friedens in einer globalen Perspektive geschaffen wurde. Nach dem Ende des kalten Krieges wurde sie bisher durch die einseitige Interessenpolitik der Großmächte gehindert, voll zur Wirksamkeit zu kommen. Am Ende ist sie jedoch alternativlos: Wer das „Recht des Stärkeren“ nicht will, muss auf die „Stärke des Rechts“ setzen. Der Bezugsrahmen für eine tatsächlich dem Frieden dienende Außenpolitik sind die UNO und das geltende Völkerrecht. UNO, Völkerrecht und ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit sind sinnvolle und realisierbare Alternativen zu einer militärisch orientierten „Friedens- und Sicherheitspolitik“.
Die UNO-Charta ist Ergebnis der Weltkriege des 20. Jahrhunderts, das Völkerrecht erfuhr eine qualitative Weiterentwicklung. Erstes Ziel der UNO wurden der Weltfrieden und die internationale Sicherheit. Auch der Schutz der Menschenrechte und die Lösung wirtschaftlicher Probleme wurden festgeschrieben. Das heißt mit der Gründung der UNO wurde von einem positiven Friedensbegriff ausgegangen. Die UNO als Organisation beruht auf der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder. Zur Verwirklichung dieses Grundsatzes verzichten alle Mitglieder auf die Androhung und Anwendung von Gewalt in den internationalen Beziehungen.
Zugleich wurde realistischer Weise davon ausgegangen, dass mit dieser – wenngleich verbindlich erfolgten Festlegung – Krieg und Gewalt nicht von allein der Vergangenheit angehören. Deshalb wurde unter den verschiedenen Institutionen der UNO der UNSicherheitsrat geschaffen, der eine herausgehobene Stellung einnimmt und die Gefährdung des Friedens und der internationalen Sicherheit feststellen und Zwangsmaßnahmen einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt beschließen kann. Es wurde auch ein Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung eingeräumt, das allerdings nur im Falle eines bewaffneten Angriffs ausgeübt werden und nur so lange gelten sollte, bis die Maßnahmen des Sicherheitsrates greifen. Zugleich war den fünf Haupt-Siegermächten des zweiten Weltkrieges eine ständige Mitgliedschaft im Sicherheitsrat und ein Vetorecht in diesem eingeräumt worden. Damit war nicht nur das Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten wieder ausgehebelt worden, sondern dies führte in der Zeit des kalten Krieges zu einer gegenseitigen Blockade und damit zu einer Blockierung des Sicherheitsrates. Nur wenn sich beide Seiten, die USA und die Sowjetunion, einig waren bzw. sie selbst und ihre unmittelbaren Klienten und Interessen nicht betroffen waren, kam es zu entsprechenden Beschlüssen des UNO-Sicherheitsrates.
Vor diesem Hintergrund hätte erwartet werden können, dass nach dem Ende des Ost-West- Konflikts die UNO zu ihrer eigentlichen Bestimmung findet. Das Gegenteil war jedoch der Fall. Seit Anfang der 1990er Jahre ist ein das intergouvernementale Prinzip relativierender, konfliktfördernder Prozess zu beobachten. Der UNO-Sicherheitsrat eignete sich zunehmend supranationale Funktionen an und versucht, unter Verweis auf eine universelle Akzeptanz „westlicher Werte“ rechtssetzend in die inneren Angelegenheiten von Staaten hineinzuwirken. Dadurch wird das für alle Staaten eigentlich zwingend gültige Souveränitätsprinzip faktisch einer Relativierung und Konditionierung ausgesetzt. Die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen sollte ein wesentliches Instrument der Friedenssicherung sein. Unter den Bedingungen kapitalistischer Globalisierung wird das in der UNO-Charta angelegte Ziel der Schaffung einer internationalen Rechtsstaatlichkeit verkehrt in die Durchsetzung einer hegemonialen internationalen Rechtsordnung, die Ausdruck der Machtordnung bzw. des Bestrebens ist, das Recht des Stärkeren mit den Mitteln des Rechts durchzusetzen, statt dieses Recht des Stärkeren durch das Mittel des Rechts einzuschränken und möglichst zu beseitigen. Offene und verdeckte Missachtung grundlegender Regeln des Völkerrechts, oft in Gestalt der Uminterpretation rechtlicher Bestimmungen, prägen seit dem Ende der Ost-West-Konfrontation den Umgang mit der UNO-Charta. Dabei spielen der UN-Sicherheitsrat und seine Beschlüsse eine wesentliche Rolle, wie der Libyenkrieg des Westens erst jüngst wieder gezeigt hat. Die Missachtung ist interessendeterminiert und geht auf Kosten der kleineren bzw. schwächeren Staaten. „Die UNO und das Völkerrecht in den internationalen Beziehungen der Gegenwart“ war das Thema der dritten außenpolitischen Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung (10.-11. Dezember 2010). Für diese Publikation wurden überwiegend auf jener Konferenz gehaltene bzw. überarbeitetete Beiträge zusammengestellt. Der Schwerpunkt liegt auf grundsätzlichen Beiträgen zum Charakter des Völkerrechts und der UNO, ihrer Entstehung und Wirkungsweise bzw. ihrer Betrachtung unter der Perspektive linker Politik in Deutschland. Zugleich wurden spezielle Themen ausgewählt, so die Internationale Strafgerichtsbarkeit, die völkerrechtliche Dimension des Palästina-Problems sowie die Behandlung der Problematik des iranischen Atomprogramms, bei denen sich die Ambivalenz, Doppeldeutigkeit und der Versuch der westlichen Mächte, mit Mitteln scheinbarer Rechtlichkeit das Völkerrecht zu mißbrauchen, besonders deutlich zeigen.
Dass die Linke und die Friedensbewegung auf der Durchsetzung des internationalen Rechts beharren und nicht in Völkerrechtsnihilismus verfallen, bedeutet gerade nicht, vor den Problemen bei der Errichtung und Durchsetzung einer internationalen Rechtsordnung, die auf die Sicherung eines gerechten Friedens gerichtet ist, die Augen zu verschließen.
(Vorbemerkungen von Erhard Crome)
Inhalt:
Gerhard Stuby:
Die UN-Charta und das Friedensgebot
Ergebnis der Weltkriege des 20. Jahrhunderts
Alexander S. Neu:
Internationales Recht und Machtpolitik in den internationalen
Beziehungen nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation 1989/91
Gregor Schirmer:
Das Kapitel VII der UN-Charta
Kritische Bemerkungen eines Juristen
Norman Paech:
Responsibility to protect – ein neues Konzept für neue Kriege?
Gerd Hankel:
Die internationale Strafgerichtsbarkeit als Instrument der Friedenssicherung
Ein großes Ziel zwischen politischer Beschwörung und fragwürdiger Realität
Alexander S. Neu:
Internationaler Strafgerichtshof
Analyse und Bewertung
Norman Paech:
Die UNO, das Völkerrecht und die Zukunft Palästinas
Ali Fathollah-Nejad:
Der internationale Konflikt um Iran und das Völkerrecht