Publikation Geschichte - Erinnerungspolitik / Antifaschismus Ein Außenamt mit schwieriger Vergangenheit

Zur Buchlesung mit Moshe Zimmermann in der Magdeburger Stadtbibliothek am 25.01.2011

Information

Erschienen

Februar 2011

Im Januar 2011 trat Moshe Zimmermann mit Unterstützung der Rosa Luxemburg Stiftung zu einer Leserreise nach Deutschland auf. Im Gepäck hatte er das Buch „Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik“. Eine seiner Stationen war Magdeburg, wo er in der vollbesetzten Stadtbibliothek einem interessierten Publikum Einblick in die Werkstatt der Historiker bot, die das dicke Buch zusammenstellten und verfassten. Anschließend stellte er sich den Fragen der Magdeburger.

Die Geschichte des Buches begann vor mehr als fünf Jahren, als Joschka Fischer, der damalige deutsche Außenminister, eine Untersuchung in Auftrag gab, die in eine Publikation münden sollte. Der Gegenstand allerdings lag Jahrzehnte zurück, rührte tief in Deutschlands braune Vergangenheit und hinterließ bis zum Tage des ministeriellen Auftrags seine Spuren – die Verkettung und Verstrickung des Auswärtigen Amtes in die Gesamtgeschichte des Dritten Reichs und die Rolle seiner Akteure in der Nachkriegszeit, insbesondere in den Aufbaujahren der Bundesrepublik Deutschland.

Durch das Ministerium wurde den Wissenschaftlern aus Deutschland, den USA und Israel ein freier Zugang zu den Akten und Forschungsfreiheit zugesagt. Moshe Zimmermann lobte auf der Magdeburger Veranstaltung ausdrücklich, dass diese Zusagen eingehalten worden sein. Lediglich beim Titel habe es Einsprüche gegeben, doch konnten sich die vier Autoren letztlich mit ihrem Vorschlag durchsetzen. So sei bereits im Titel klar gekennzeichnet, worum es überhaupt gehe. Es gehe, so Zimmermann, nämlich um die Geschichte der Institution in einer bestimmten Zeit, eine Geschichte, die auch immer die Geschichte von Akteuren sei.

Moshe Zimmermann unterstrich auf der Veranstaltung noch einmal den Eindruck, dass nach 1945 sehr viele führende Diplomaten des Dritten Reiches sich gerne hinter dem Amt, hinter der Institution versteckt hätten. Es sei die Legende vom gesunden Teil des Amtes gestrickt worden, der, wie alle anderen Staatsinstitutionen auch, in die Fänge der Nationalsozialisten geraten sei, wofür in erster Linie der in Nürnberg gehenkte Außenminister Ribbentrop stehe.

Überhaupt habe das Aktenstudium für die Zeit bis 1945 die bereits in der Öffentlichkeit bekannten Erkenntnisse bestätigt, wonach Krieg und Vernichtung ohne die enge Zuarbeit der Außenpolitiker des Dritten Reichs nicht vorstellbar gewesen seien. Wesentlich neue Erkenntnisse aber hätten sich für die Zeit nach 1945 ergeben, die ja auch aus heutigem Gesichtswinkel überaus interessant sei. Dass der Auftrag dazu vom Außenamt selbst kam, sei durchaus beispielgebend für andere, auch wenn immer berücksichtigt werden müsse, dass das Ausmaß der im Falle der nationalsozialistischen Zeit zur Diskussion stehenden Verbrechen eine singuläre Größe sei.

Obwohl das Buch mit seinen knapp 900 Seiten bereits durch seinen Umfang besticht, verdeutlichte Moshe Zimmermann, wie schwierig es gewesen sei, aus der Fülle des zugänglichen und bearbeiteten Aktenmaterials überhaupt eine für den Leser fassbare Version zu erstellen. Das notwendige Auswählen sei beinahe der schwierigste Teil der Arbeit gewesen, denn dem Leser sollte ja keine bloße Aktensammlung zugemutet werden.

In der Diskussion wurde deutlich, wie wichtig der kritische Umgang mit der Geschichte des Nationalsozialismus in Deutschland ist. Menschen dreier Generationen brachten unterschiedliche Gesichtspunkte ein, waren sich aber darin einig, dass auf Deutschland und den Deutschen seit dem Ausgang des Zweiten Weltkriegs eine schwere Verantwortung vor der Geschichte lastet. Das Buch, so der allgemeine Tenor in Magdeburg, werde durch eine kritische Öffentlichkeit als ein Beitrag begrüßt, um sensibler mit den Fragen dieser Verantwortung umzugehen.

 

Holger Politt