Das Land Brandenburg nimmt unter allen Bundesländern einen Spitzenplatz beim Übergang zu erneuerbaren Energien ein – eine komfortable Position für den Fortgang der Energiewende. Aber bedingt durch die historisch gewachsene Wirtschaftsstruktur ist in Brandenburg der Anteil der Braunkohle am Primärenergiebedarf mehr als viermal so hoch wie im Durchschnitt der Bundesrepublik – eine besonders schwierige Konstellation für die Energiewende.
Verständlich ist angesichts dieser widersprüchlichen Ausgangslage, dass das Tempo des Ausstiegs aus der Braunkohleverstromung heftig umstritten ist und dass schon der bloße technologische Strukturwandel in der Energiewirtschaft auf dem Weg zu 100 Prozent erneuerbaren Energien, hochgradiger Energieeffizienz und Energieeinsparung den politisch Verantwortlichen und der Wirtschaft in Brandenburg extreme Anstrengungen abverlangt.
Über den technisch-ökonomischen Strukturwandel hinaus ist jedoch die entschieden weiter reichende Frage aufzuwerfen, ob es gelingen könnte, in der Energiewende Potenziale des Einstiegs in eine sozialökologische und emanzipatorische Transformation auszuschöpfen. Oder ist die Vorstellung solcher Möglichkeit angesichts der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, der Übermacht des herrschenden Kräfteblocks und der gegenwärtigen Schwäche der Linken in Deutschland und Europa insgesamt in das Reich der Illusionen zu verweisen? Es sind die Eigenschaften der erneuerbaren Energien selbst, die dagegen sprechen, die Suche nach transformatorischen Chancen in der Energiewende als Donquixoterie anzusehen. Ihr dezentrales Vorkommen kann gegen zentralistische Monopolstrukturen in Stellung gebracht werden. Viele kleine Energieerzeugungsanlagen bieten auch weniger kapitalkräftigen Investoren Chancen. Energiegenossenschaften, Bürgerbeteiligung an der Finanzierung lokaler Energieerzeugung, Stadtwerke und Netze in kommunalem Eigentum und gemischtes Eigentum auf lokaler Ebene beweisen, dass die regenerierbaren Energien gegen die Dominanz oligopolistischen Eigentums entwickelt werden können. Dezentrale Energieaufkommen bieten durch ihre Bürgernähe Chancen für die Erneuerung der Demokratie.
Die Energiepolitik wird zu einem zentralen Feld gesellschaftlicher Transformation. Sie betrifft den Umgang mit fossilen Ressourcen, auf denen gegenwärtig die gesamte Zivilisation beruht, deren weitere Nutzung diese Zivilisation jedoch aufs Äußerste gefährdet. Die Energiepolitik hat es mit Knotenpunkten globaler Macht, aber auch mit der Chance zu tun, zur Veränderung der gegenwärtigen Machtverhältnisse beizutragen. Um Energieressourcen werden Kriege geführt, aber um erneuerbare Energien wie Wind und Sonneneinstrahlung müssen Kriege selbst aus imperialer Sicht nicht sein. Entscheidungen zwischen konservativen und erneuerbaren Energien sind zugleich Entscheidungen zwischen verschiedenen Lebensweisen und über neue Nord-Süd-Verhältnisse.
Verantwortung mit dem Blick auf derart komplexe globale Zusammenhänge ist nicht möglich ohne theoretisches Erfassen dieser Zusammenhänge und der in ihnen verborgen enthaltenen Ansätze für andere Zukünfte. Michael Schumann, bis zu seinem tödlichen Unfall im Jahr 2000 Spitzenpolitiker der PDS und Mitglied des Brandenburger Landtags, schrieb: «Eine politische Bewegung emanzipatorischen Charakters, die einem grundsätzlichen gesellschaftlichen Anspruch verpflichtet ist, kann weniger als jede andere darauf verzichten, ihre politische Praxis zu ‹verwissenschaftlichen›, das Nicht-Vorhandene, das gleichwohl im Vorhandenen als Notwendigkeit und Möglichkeit enthalten ist, theoretisch zu denken.» (Schumann 2000: 178)
Allerdings betonte Michael Schumann auch: «Nicht die Wissenschaft, sondern der politische Diskurs, in dem es um Prozesse der Aufklärung über Interessenlagen, über die praktische Relevanz theoretischer und kritischer Erkenntnisse und um die Verständigung über konkrete politische Ziele geht, leitet politisches Handeln unmittelbar an.» (Schumann 2000: 179)
Auch Boaventura de Sousa Santos drängt darauf, sich im praktischen Handeln stets der theoretisch zu erfassenden Zusammenhänge zu vergewissern und umgekehrt das theoretische Denken nicht von der Praxis zu lösen: «Aus dieser zum Teil wechselseitigen Blindheit von Theorie und Praxis geht eine Untertheoretisierung der Praxis wie eine Irrelevanz der Theorie hervor. [...] Aus diesem problematischen Verhältnis von Theorie und Praxis erwächst eine Unsicherheit mit Blick auf Strategie und Taktik der Linken, auf kurzfristige und langfristige Ziele und Orientierungen.» (de Sousa Santos 2010: 128)
Dieser Auffassung folgend soll hier versucht werden, eine Brücke zwischen praktischer Energiepolitik in Brandenburg und theoretischer Arbeit an einem zeitgemäßen Transformationskonzept zu schlagen.
Inhalt:
1. Licht und Schatten – die energiewirtschaftliche Ausgangslage in Brandenburg
2. Der Konflikt – Braunkohleverstromung und die Regierungsbeteiligung der Brandenburger LINKEN
3. Der Stand der Dinge: «Die Energiestrategie 2030 des Landes Brandenburg»
4. Die Akteure
5. Energiepolitik im Viereck einer zeitgemäßen linken Erzählung – die «vier U»
6. Überwiegend technologische Umwälzung oder Chance des Einstiegs in eine sozialökologische Transformation?
Die hier vorliegende Arbeit existiert auch als Langfassung:
Dieter Klein: Widersprüche in der Brandenburger Energiewende. Horizonte sozialökologischer Transformation. Papers der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin 2012.