Liebe Leserinnen und Leser,
vor Ihnen liegt die Dokumentation des Gesprächskreises Rechts der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Es hat einige Zeit in Anspruch genommen, die Texte zusammenzustellen, und doch schien es uns vor dem Hintergrund der nicht enden wollenden Hiobsbotschaften rund um die Enthüllungen zur Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) und aus den Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen in unterdessen drei Landesparlamenten (Bayern, Sachsen, Thüringen) sowie dem Bundestag durchaus der Mühe wert, die spannende Veranstaltung in Kiel am 11. Mai 2012 zu dokumentieren. Im Übrigen bleibt die Stiftung und insbesondere auch der Gesprächskreis Rechts an dem Thema dran, denn alles, was jetzt zum Teil «auf die Schnelle» publiziert und produziert wird, bleibt Zwischenstand, Momentaufnahme und allenfalls Annäherung an ein Thema und seine Dimensionen, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Diese Geschichte ist noch lange nicht ausgestanden und eigentlich auch erst dann zu Ende, wenn der bis ins Mark diskreditierte Inlandsgeheimdienst den Weg alles Irdischen gegangen und aufgelöst sein wird.
Die entsetzlichen Enthüllungen im Zusammenhang mit der Mordserie der sogenannten Zwickauer Terrorzelle NSU haben uns alle in den zurückliegenden Monaten in Atem gehalten, die Abgründe der vergangenen 10–15 Jahre aufgerissen und uns auch selber als kritische Beobachter_innen und analytische Aktivist_innen aus dem Antifa- und zivilgesellschaftlichen Bereich vor den Kopf gestoßen, da wir Ausmaß, Qualität und Heftigkeit rechter Mordbereitschaft in dieser Dimension selbst nicht für möglich gehalten hätten.
Nun werden immer neue Details und unfassbare Zusammenhänge sichtbar, in denen der Staat als (mindestens strukturell) rassistisch Agierender und seine Behörden als tendenziell selber extrem rechtslastig durchscheinen bis hin zur Komplizenschaft mit Nazis. Es finden viele Veranstaltungen statt und so viel mediales Interesse an Rassismus, Nazi-Umtrieben und den Opfern rassistischer Gewalt und Diskriminierung war selten. Und doch sollte bei all der Hektik, die seit November 2011 entstanden ist, Zeit bleiben, tiefer in die Thematik einzusteigen und sich zu fragen, ob der Nazi-Terror wirklich «vom Himmel gefallen ist», ob «man» ihn hätte erkennen und verhindern können und welche Konsequenzen gegen Nazis aktive Menschen aus dem ganzen blutigen Schlamassel ziehen können (z. B. was die Abgrenzung von Behörden, insbesondere den Geheimdiensten angeht).
Der erste Gesprächskreis des Jahres 2012, organisiert in enger Kooperation mit unserem Regionalbüro in Kiel, sollte insbesondere die Vorgeschichte rechten Terrors in Deutschland beleuchten und so eine historische Kontextualisierung ermöglichen, um dann über die Auswirkungen auf unsere Gegenwart, unsere Arbeit und unsere Möglichkeiten, damit umzugehen, zu diskutieren, vielleicht auch Absprachen zu treffen oder über strategische Handlungsoptionen zu sprechen.
Das Einführungsreferat des einstigen Stipendiaten der Rosa-Luxemburg-Stiftung Marcel Eilenstein aus Jena wird hier unter der Überschrift «Für den BRD-Staat war rechter Terror nie ein Problem. Rechtsterrorismus in Deutschland bis 1990» dokumentiert.
Der Magdeburger David Begrich, Mitarbeiter von Miteinander e. V., richtet seinen kundigen Blick auf die 1990er Jahre und zwar nach dem Motto «Die Einäugigkeit war systemübergreifend. Die Ursprünge der DDR-Neonazi-Szene und ihre Selbstermächtigung nach der ‹Wende›». Er schreibt dazu: «In der Debatte um die Entstehungskontexte der NSU bleiben die 1990er Jahre seltsam unscharf. Die Schriftstellerin Jana Hensel raunt über die ‹Lost Generation› aus Jena-Lobeda, die Tageszeitung Welt hatte flugs den Begriff ‹Generation Hoyerswerda› bei der Hand. Alles nicht falsch. Aber auch nicht ganz richtig. In der Debatte um die gesellschaftlichen Kontexte der NSU in den 1990er Jahren ist viel von Umbruch zu Beginn jener Dekade die Rede. Interessanter als die endlose Fortsetzung der Rede von ‹Wendewirren› und ‹Umbruch› erscheint es, die Frage nach der Kontinuität einer Entwicklung zu stellen, die lange vor 1989 begann und erst in der Mitte der 1990er Jahre ihr Ende fand.»
Aus dem fernen Bayern reiste mit Robert Andreasch ein renommierter Experte für die rechte Szene in Bayern von der vom dortigen Verfassungsschutz sekkierten Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle (a.i.d.a.) an. Er machte den Freistaat zum Schwerpunkt seiner Ausführungen: «In Bayern verübte das Netzwerk des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) mindestens fünf Morde. Die bayerischen Behörden haben Hinweise auf eine neonazistische Mordserie jahrelang ignoriert. Das ist wenig verwunderlich in einem Bundesland, das nicht nur geografisch an Thüringen und Sachsen grenzt und in dem rechter Terror seit Jahrzehnten verharmlost wird und stattdessen Punks und Antifaschist_innen der Staatsdoktrin zufolge die Staatsgefährdung per se darstellen.»
Robert Andreasch berichtete aus der langen Geschichte des «bewaffneten Kampfes» bayerischer Neonazis, von der Wehrsportgruppe Hoffmann und der Gruppe Ludwig, von der Wehrsportgruppe Süd und Martin Wieses Kameradschaft Süd, aber auch von Waffenfunden, der Bundeswehr sowie von der «Staatspartei» CSU, neben der auf Wunsch ihrer Altvorderen rechts «nur noch die Wand» kommen darf.
Schließlich stellte der Kieler Rechtsanwalt Alexander Hoffmann in unserer Expertenrunde eine juristische Einschätzung und eine Abschaffung des Inlandsgeheimdienstes zur Diskussion. Vorab sandte er uns folgendes Statement: «Die deutschen Verfassungsschutzbehörden sind ein Produkt des Kalten Krieges. In keinem anderen Land Europas gibt es vergleichbare Institutionen. Streng antikommunistisch ausgerichtet, arbeiten sie vor allem gegen linke Gruppen und Organisationen. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Beschluss, mit dem das Verbotsverfahren gegen die NPD eingestellt wurde, klare Worte gefunden: Aufgrund des massiven Einsatzes von V-Leuten auch in Führungspositionen der NPD sei nicht zu trennen, welche der NPD-Inhalte auf staatliche Intervention und welche tatsächlich aus der Mitgliedschaft kommen. Das staatliche Engagement in der NPD war (und ist) so stark, dass ein Verbot nicht erfolgen konnte. Ähnliches deutet sich im Fall der sogenannten NSU an: Die Jenaer Zelle des Thüringer Heimatschutzes, aus der sich die Terrorgruppe gründete, arbeitete eng mit dem Verfassungsschutzzuträger und THS-Gründer Tino Brandt zusammen. Die Ämter für Verfassungsschutz haben unter Umständen mit ihrem Einfluss die Entstehung der NSU gefördert oder sogar mitinitiiert.
Die Konsequenz hieraus muss die Auflösung dieser Behörden sein – und nicht eine Ausweitung ihrer Befugnisse, die sich momentan abzeichnet.» Wir haben in die Dokumentation einen weiteren Text des Hamburger Experten Felix Krebs mit aufgenommen, weil er den Fokus noch auf die Hansestadt öffnet und den katastrophalen Befund zur Arbeit der Inlandsgeheimdienste noch unterstreicht. Sein Beitrag fügt sich – obwohl Krebs in Kiel nicht zugegen war – erhellend in das so eröffnete Panorama des Grauens ein.
Wir haben die Texte, die uns die Autoren zur Verfügung gestellt haben, so belassen, wie sie waren, zum Teil mehr als Thesen gefasst, zum Teil so, wie sie in Kiel vorgetragen worden sind. Wir sind der Ansicht, dass so ein spannendes Heft entstanden ist, das zur Intensivierung der brandaktuellen Debatte beitragen soll.
Besonderer Dank gilt an dieser Stelle meiner Ex-Kollegin Kira Güttinger, die an der Vorbereitung und Begleitung des GK in Kiel sowie der Vorbereitung dieser Veröffentlichung maßgeblich beteiligt war, und meiner Kollegin im schleswig-holsteinischen Regionalbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Kiel, Suzanne Vogel-Vitzthum.
Friedrich Burschel, im November 2012
Inhalt
- Für den BRD-Staat war rechter Terror nie ein Problem. Abriss des historischen Rechtsterrorismus in Deutschland bis 1990
Von Marcel Eilenstein - Die Einäugigkeit war systemübergreifend. Die Ursprünge der DDR-Neonazi-Szene und ihre Selbstermächtigung nach der «Wende»
Von David Begrich - «Rechtsterroristische Strukturen sind nicht bekannt geworden.» Die Verharmlosung des militanten Neofaschismus: Das Beispiel Bayern
Von Robert Andreasch - Schleichende Aushöhlung von Freiheitsrechten. Thesen zu den Entwicklungen nach dem NSU-Skandal
Von Alexander Hoffmann - «Die Fragen können aus Gründen des Staatswohles nicht beantwortet werden.» Versäumnisse und Vertuschung auch beim Hamburger Verfassungsschutz
Von Felix Krebs