Publikation Staat / Demokratie - Parteien / Wahlanalysen - USA / Kanada Sanders gegen Clinton, Trump gegen alle

Mit dem Caucus im Bundesstaat Iowa am 1. Februar und der ersten Primary am 9. Februar in New Hampshire ist das Rennen um die Präsidentschaftskandidatur von Demokraten und Republikanern offiziell eröffnet.

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Reihe

Online-Publ.

Autor

Albert Scharenberg,

Erschienen

Februar 2016

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Doch unabhängig von dessen Ausgang steht schon heute fest, dass der Vorwahlkampf die herrschende US-Politik in ihren Grundfesten erschüttert hat.

Bei den Demokraten geschieht Ungeheuerliches: Ausgerechnet ein selbst erklärter demokratischer Sozialist, der Senator aus Vermont, Bernie Sanders, hat gute Aussichten, die Favoritin des Establishments, Hillary Clinton, in Iowa und New Hampshire hinter sich zu lassen und zu einer ernsten Bedrohung für die ehemalige First Lady zu werden.

Und bei den Republikanern ist die Lage geradezu alarmierend. Während zuvor die meisten Beobachter auf Jeb Bush, den Bruder des früheren Präsidenten, gesetzt hatten, wird der gesamte Vorwahlkampf fast ausschließlich von Donald Trump dominiert. Seit der Milliardär, der zuletzt mit einer Reality-TV-Show von sich reden gemacht hatte, im Juni 2015 seine Kandidatur für das Präsidentenamt bekannt gab, steht das Land kopf – und bekommt die Parteiführung kein Bein mehr auf den Boden. Was ist da los? Wie erklärt sich das „Phänomen Trump“?

Make America great again!

Während die republikanischen Parteigranden ab 2012, nach der zweiten Wahlniederlage gegen Obama, halbherzig versuchten, ihre geringe Unterstützung in der rasch wachsenden Wählergruppe der Latinos zu stärken, schlug Trump den entgegengesetzten Weg ein: „Sie bringen Drogen. Sie bringen Kriminalität. Sie sind Vergewaltiger“, verteufelte er die mexikanischen Einwanderer. Alle geschätzt elf Millionen Menschen, die sich ohne legalen Aufenthaltstitel in den USA aufhalten, müssten umgehend deportiert werden. Er werde dafür sorgen, dass an der Grenze zu Mexiko ein unüberwindbarer Zaun errichtet wird, für den Mexiko obendrein auch noch bezahlen würde. Und damit nicht genug: Nach den Terroranschlägen in Paris und im kalifornischen San Bernardino forderte Trump gar ein vorläufiges Einreiseverbot für alle Muslime – verdachtsunabhängig, wohlgemerkt. Für in den USA lebende Anhänger des Islam will er eine Registrierungspflicht einführen – was in den Medien sogar Vergleiche mit der Judenpolitik der Nazis heraufbeschworen hat.

Auch auf anderen Politikfeldern hat sich Donald Trump als „wild card“ erwiesen. In der Außenpolitik etwa, mit Blick auf ISIS, Russland, China, vertritt er grundlegend andere Positionen als die Parteiführung. Die – fälschlicherweise als Handelsabkommen bezeichnete – Trans-Pacific Partnership (TPP), das pazifische Gegenstück zu TTIP, das bei den republikanischen Großspendern aus der Großindustrie als den Nutznießern der Globalisierung äußerst beliebt ist, lehnt er rundheraus ab. Trumps Stärke resultiert daraus, das Unbehagen und die Wut gegenüber den etablierten politischen Kräften zu artikulieren – koste es, was es wolle. Das republikanische Establishment kann sich hingegen bis heute keinen Reim darauf machen, warum Trump die Umfragen so lange so deutlich anführt. Vielleicht will man sich aber auch schlicht nicht eingestehen, was ohnehin kein Geheimnis ist: dass nämlich große Teile der eigenen Basis es durchaus schätzen, wenn jemand ganz offen Einwanderer aus Mexiko und Muslime aus aller Welt diffamiert.

Hierin liegt, so scheint es, der eigentliche Beitrag der Kandidatur Trumps: den offenen Rassismus, den viele seit Jahrzehnten überwunden glaubten, zurück in den öffentlichen Diskurs zu tragen. In jedem Fall pflegt Donald Trump eine „Politik der Angst“, eine modernisierte Form des rechtsradikalen „Paranoid Style in American Politics“ (Richard Hofstadter). Er inszeniert sich dabei als Vertreter des kleinen, weißen Mannes – und in dieser Gruppe erfährt der Milliardär große Unterstützung. Ein Blick auf Bildung und Einkommen seiner Anhänger zeigt, dass rund die Hälfte nur einen Highschool- oder gar keinen Schulabschluss und gerade einmal 19 Prozent einen Hochschulabschluss besitzen; 38 Prozent von ihnen verdienen weniger als 50 000 Dollar pro Jahr, nur 11 Prozent mehr als 100 000.

All das ist auch eine Folge der neoliberalen Politik der letzten Jahrzehnte. Durch die wachsende soziale Ungleichheit dünnt die Mittelschicht immer weiter aus. Mit dieser sozialen Mitte aber schrumpft – und zwar keineswegs nur in den USA – genau jene Gruppe, die jahrzehntelang in den liberalen Demokratien für die Stabilität der politischen Mitte sorgte.

Kurzum: Trumps Basis ist die von Abstieg bedrohte – bzw. in der Folge der Großen Rezession von 2008 bereits betroffene – weiße Mittelschicht. Da in den Vereinigten Staaten jeder, der auch nur einigermaßen über die Runden kommt, automatisch der middle class zugerechnet wird, handelt es sich um eine Art „Lumpen-Mittelschicht“. Trumps Anhänger hätten das Gefühl, schreibt David Frum in „The Atlantic“, „dass das Leben in diesem Land für Menschen wie sie einst besser war – und sie wollen dieses alte Land zurück.“ Genau an diese Sehnsucht knüpft Trump an, mit seinem Wahlkampfslogan: „Make America great again!“ Sprich: Wir müssen dort wieder hin, wo wir mal waren, zurück in die gute alte Zeit – als es nur wenige Latinos im Land gab, Frauen den Männern in traditionellen Familien untergeordnet waren und das Land noch keinen schwarzen Präsidenten hatte. In diesem Sinne ist Donald Trump das letzte Aufgebot des weißen Mannes.

Diese soziale Basis und ihr politischer Überbau – aus Rassismus, aggressivem Nationalismus und Sündenbocktheorie, Verschwörungswahn und Intellektuellenfeindlichkeit, Autoritarismus und Personenkult – erzeugen jene explosive Mischung, die auch etablierte bürgerliche Medien und selbst manch Konservative dazu veranlasst hat, Trump als Faschisten zu brandmarken.

Von Bush über Palin bis Trump

Hinzu kommt aber ein Weiteres: Trumps Erfolg ist originäres Produkt der republikanischen Politik. „Donald Trump als ein politisches Phänomen liegt auf einer Linie, die von George W. Bush bis Sarah Palin verläuft, und in vielfacher Weise ist er repräsentativ für den republikanischen Mainstream“, analysiert Paul Krugman. Und in der Tat: Was die Ignoranz gegenüber Fakten anbelangt, steht die Partei Trump kaum nach. Inzwischen hat sich die amerikanische Rechte, permanent gefüttert von ihren eigenen „Think-Tanks“, geradezu eine Parallelwelt errichtet, in der Ronald Reagans Versprecher, „Fakten sind dumme Dinge“, zum Leitspruch geworden zu sein scheint – ganz egal, ob es den Klimawandel, den Waffenbesitz oder den Geburtsort Präsident Obamas betrifft.

Von möglicherweise wahlentscheidender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass die Republikaner sich bereits vor geraumer Zeit entschieden haben, die „Partei der Weißen“ sein und bleiben zu wollen. Das aber reduziert ihre Machtoptionen auf nationaler Ebene erheblich. Mit aller Macht stemmen sich deshalb ihre Repräsentanten in Washington wie in den Bundesstaaten gegen den rasanten Wandel der Wählerschaft und suchen nach Wegen, die Wahrnehmung des Wahlrechts für die Angehörigen von Minderheiten systematisch zu erschweren, weil sie schon jetzt nur noch so Wahlen gewinnen können. In Vollendung von Nixons „Southern Strategy“ – zugunsten der rassistischen Weißen – klammert man sich an die eigene Vorherrschaft und an die eigenen Vorurteile. Vor diesem Hintergrund erweist sich Trumps Rückkehr zum offenen Rassismus lediglich als letzter Schritt einer Reise, die viel früher begann. Dank Trump seien die Republikaner, urteilt Matt Taibbi, „jetzt offiziell die Partei weißer Paranoia“.

Im Ergebnis steht die Parteiführung heute da wie der Zauberlehrling, der die rassistischen Geister, die er rief, nun nicht mehr loswird. Trumps Dominanz war zuletzt so vollständig, dass sich die anderen Kandidaten kaum noch trauten, ihn zu kritisieren – aus Angst, dann noch weiter zurückzufallen. Stattdessen hat Trump es vermocht, das gesamte Kandidatenfeld vor sich herzutreiben – immer weiter nach rechts. Die Fernsehdebatten der Republikaner, in denen sich sehr rechte und noch weiter rechts stehende Kandidaten wechselseitig an Xenophobie und Ignoranz zu überbieten suchten, muteten geradezu gespenstisch an.

Dass der in allen landesweiten Umfragen führende Trump letztendlich auch als Kandidat nominiert wird, erscheint dennoch wenig wahrscheinlich, denn dazu bräuchte er die absolute Mehrheit der Delegiertenstimmen auf dem Parteitag. Alles wird deshalb davon abhängen, wer sich wann aus dem dicht gedrängten Kandidatenfeld herausheben und als echter Konkurrent erweisen kann. Auch wenn dieses Rennen nach wie vor offen ist: „Dank Trump“ wird sich dieser Kandidat dann bereits rechts von John McCain, Mitt Romney und sogar George W. Bush positioniert haben.

Die Sanders-Revolte

Die soziale Desintegration der bürgerlichen Mitte hat Donald Trumps Aufstieg begünstigt. Sie kreiert aber zugleich auch neue Handlungsspielräume für die politische Linke. Genau diese versucht auf Seiten der Demokraten Bernie Sanders mit einem linken Wirtschafts- und Sozialprogram zu besetzen. Wenn Trump die amerikanische Version von Berlusconi und Le Pen, Orban und Wilders ist, dann ist Sanders der amerikanische Jeremy Corbyn.

Robert Reich bringt daher die eigentliche Alternative dieses Wahlkampfs wie folgt auf den Punkt: „Amerika hat die Wahl zwischen autoritärem Populismus, repräsentiert durch Donald Trump, und Reformpopulismus, repräsentiert durch Bernie Sanders.“

Dass Sanders, der am längsten im Kongress sitzende Unabhängige der US-Geschichte, überhaupt zu einem ernsthaften Konkurrenten für die seit Jahren von der demokratischen Parteiführung als unvermeidliche Kandidatin aufgebaute Hillary Clinton werden konnte, zeigt, wie sehr sich die politische Lage im Land geändert hat.

Wie tief dieser Wandel geht, hat unlängst der ehemalige Präsident Jimmy Carter deutlich gemacht. Politik in den USA werde, so Carter, immer stärker vom großen Geld dominiert: „Wir sind inzwischen zu einer Oligarchie anstelle einer Demokratie geworden.“

Diese Diagnose einer zunehmenden Dysfunktionalität der politischen Verfassung des Landes teilt der sozialistische Senator aus Vermont. Deshalb fordert Sanders nichts Geringeres als eine „politische Revolution“. Der dominante Einfluss der „Milliardärsklasse“ auf die Politik müsse gebrochen und die Wahlkampffinanzierung revolutioniert werden. Banken, die als „too big to fail“ gelten, sollen aufgelöst und Wall Street stärker reguliert und besteuert werden. Gleichzeitig propagiert Sanders einen Ausbau der Sozialleistungen, die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 15 US-Dollar pro Stunde, ein gebührenfreies Studium und Investitionen in die öffentliche Infrastruktur. Die „politische Revolution“ geht mit gutem Beispiel voran, indem seine Kampagne auf negative campaigning und Super-PACs verzichtet.

Dieses Programm, mit dem sich Sanders weit links der europäischen Sozialdemokratie verortet, trifft offensichtlich auf fruchtbaren Boden. „Sanders’ Aufstieg repräsentiert die Revolte der Parteibasis gegen das konzernfreundliche Establishment“, urteilt der Politikwissenschaftler Joseph Schwartz.

Dabei mobilisiert der 74jährige ganz besonders die Jugend der sogenannten Millennials, die durch den Irakkrieg und die Große Rezession politisiert wurde. Zugute kommt ihm dabei der Aufschwung sozialer Bewegungen in den vergangenen Jahren. Occupy Wall Street hat das Thema der sozialen Ungleichheit in den öffentlichen Diskurs getragen, die Kämpfe im Niedriglohnsektor („Fight for 15“) haben sich ebenso intensiviert wie jene der Umwelt- und Klimabewegung oder der Bewegung „Black Lives Matter“. Sanders’ größter Trumpf ist daher seine leidenschaftliche Basis. Er hat bereits über zweieinhalb Millionen Einzelspenden von mehr als einer Million Menschen erhalten – mehr als jeder andere Kandidat in der US-Geschichte, einschließlich Barack Obama, und mehr als doppelt so viele wie Hillary Clinton. Zu seinen Wahlkampfauftritten strömen Zehntausende, zu Clintons allenfalls Tausende. Beobachter haben diese „Enthusiasmus-Lücke“ bereits als Achillesferse ihrer Kampagne ausgemacht. Und diese Lücke wird schwer zu schließen sein für eine Politikerin, die als Inbegriff des politischen Establishments gilt. Clinton versucht deshalb, dem Herausforderer mit einem scharfen Linksschwenk ihrer Programmatik zu begegnen. So spricht sie sich nicht nur für eine stärkere Regulierung der Banken aus, sondern überraschenderweise auch gegen das TPP-Abkommen, das sie zuvor befürwortet hatte. Wie glaubwürdig ihre Linkswende ist, steht allerdings in Frage. Es ist schließlich kein Zufall, dass sechs der zehn größten Spender für Clintons Kampagne Banken sind – während sich unter den zehn Top-Spendern für Sanders neun Gewerkschaften befinden. Die Angriffe des Clinton-Lagers, die darauf abzielten, dass Sanders „zu links“ sei, um gewählt zu werden, sind jedenfalls vom Tisch, seit Umfragen belegen, dass Sanders im direkten Vergleich mit vielen der republikanischen Kandidaten, insbesondere mit Trump, besser abschneiden würde als Clinton.

Deren größte Stärke bleibt ihre breite Unterstützung durch das Partei-Establishment. Auch deshalb führt Clinton in landesweiten Umfragen weiterhin vor Sanders – ähnlich deutlich, wie sie anfangs bei ihrer letztlich gescheiterten Kandidatur 2008 vorne lag. Das allerdings könnte ein böses Omen sein: Denn sollte Sanders tatsächlich in Iowa und New Hampshire gewinnen, dürften die Karten neu gemischt werden. In diesem Fall wird es darauf ankommen, ob der Senator aus Vermont, der einst mit Martin Luther King marschierte, seine Unterstützung bei Schwarzen und Latinos weiter steigern kann. In den letzten Monaten ist diese jedenfalls rasant gewachsen.

Aber auch unabhängig davon, ob es letztendlich die erste Präsidentschaftskandidatin oder den ersten jüdischen Präsidentschaftskandidaten der Demokraten geben wird, steht eines bereits heute fest: Die im Zuge der Sanders-Kampagne politisierte junge Generation hat das Potential dazu, die versteinerten Verhältnisse in Washington zum Tanzen zu bringen.

Dieser Text erschien zuerst in den „Blättern für deutsche und internationale Politik“, www.blaetter.de.