Nach den Publikationen »ABC der Globalisierung« (2005) und »ABC zum Neoliberalismus« (2006) ist nun im Oktober 2007 das »ABC der Alternativen« erschienen.
136 Autorinnen und Autoren haben alternative Bewegungen und Institutionen, alternative Prozesse, am Staat ausgerichtete, staatskritische oder anti-staatliche, vom Anspruch her oder in der Praxis systemimmanente oder System transformierende, kleinräumige oder in ganzen Gesellschaften gedachte und praktisch angegangene Alternativen beschrieben.
Alternativen werden sichtbar und denkbar gemacht – ganz im Sinne von »Eine andere Welt ist möglich«- von umfassenden gesellschaftlichen Vorstellungen (inklusive verschiedener –Ismen) bis hin zu bereichsspezifischen, alltäglichen und teilweise sehr konkreten Praxen.
HerausgeberInnen: Ulrich Brand, Bettina Lösch und Stefan Thimmel in Kooperation mit dem wissenschaftlichen Beirat von Attac, der Rosa Luxemburg Stiftung und der tageszeitung;
272 Seiten; Fadenheftung; Klappenbroschur; EUR 12.00, ISBN 978-3-89965-247-5; erschienen im VSA-Verlag 2007.
AutorInnen aus der Rosa-Luxemburg-Stiftung und ihrem Umfeld stellen hier eine Auswahl von 37 Stichworten aus insgesamt 126 zum Lesen und Herunterladen zur Verfügung.
Vorwort
»Neuland. Tausend Probleme. Nur Erfahrung ist imstande, zu korrigieren und neue Wege zu eröffnen.« (Rosa Luxemburg)
Was sind heute gesellschaftliche Alternativen? Fängt man erst einmal an, gemeinsam darüber nachzudenken, fallen einem im Nu zahlreiche historische und aktuelle Projekte, Bewegungen, Institutionen und Forderungen sowie alte und neue Praxen ein. Und Begriffe, die eben diese Praxen konturieren und benennbar machen, von anderen abgrenzen, gegebenenfalls Menschen motivieren und orientieren für anderes Handeln, historisch Erlebtes und Erlittenes festhalten. Eine große Schatzkiste an Erfahrungen und Ideen öffnet sich, und es ist »lexikalisches Glück«, dass dieses Buch mit »Ästhetik des Widerstands« beginnt.
Der Begriff Alternative bezeichnet herkömmlich eine Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten (französisch alterne, lateinisch alternus, abwechselnd, wechselweise) Im Gegensatz dazu wird der Begriff umgangssprachlich verwendet, um die Wahl zwischen mehreren Möglichkeiten auszudrücken und weist dementsprechend über eine Entweder-Oder-Entscheidung hinaus.
Um diese zweite Bedeutung geht es in diesem Buch. Nicht nur um zwei, sich ausschließende Perspektiven: dort die herrschaftliche, imperiale-neoliberale und kapitalistische, patriarchale, rassistische, andere Menschen und gesellschaftliche Gruppen ausschließende, hier die emanzipatorische. Es geht zwar um die Kritik und Veränderung bestehender Macht- und Herrschaftsverhältnisse, die Alternativen dazu sind jedoch vielfältig, müssen praktisch entstehen, stehen teilweise in Spannungen zueinander.
Die Ausrichtung von Alternativen kann am Staat orientiert, staatskritisch oder anti-staatlich sein, vom Anspruch her oder in der Praxis systemimmanent oder System transformierend. Ökologische Alternativen stehen häufig in Spannung mit jenen, die auf eine bessere Verteilungspolitik setzen und die Art und Weise wirtschaftlicher Produktion weniger in den Blick nehmen. Sie können eher kleinräumig oder in ganzen Gesellschaften gedacht und praktisch angegangen werden.
Als wir diesen Band konzipierten, waren wir schnell bei über 250 Begriffen. Margaret Thatchers berühmt-berüchtigte Killerphrase von der Alternativlosigkeit (»There Is No Alternative«), das TINA-Prinzip, wie Pierre Bourdieu ironisch das simple Muster bezeichnete, mit der in der Öffentlichkeit Entscheidungen begründet werden, hat noch nie gestimmt und stimmt heute weniger denn je. Vielmehr gilt der Ausruf »TATA« (There Are Thousend Alternatives!), den Susan George prägte. Aus 250 oder »tausend Alternativen« wurden schließlich 126. Denn wir haben uns dafür entschieden, ins »ABC der Alternativen« Begriffe aufzunehmen, die alternative »Weltsichten« eröffnen und für emanzipatorisches Denken und Handeln wichtig sind. Wir haben die Autorinnen und Autoren darum gebeten, nach den historischen Entstehungskontexten, nach den kritischen und emanzipatorischen Potenzialen der Begriffe zu fragen. Aber auch, inwieweit die Begriffe auf wichtige gesellschaftliche Widersprüche hinweisen oder wie sich ein Begriff – und die damit benannten Weltsichten und Praxen – produktiv entwickeln könnte. Damit fallen etwa konkrete Bewegungen wie Attac oder Vía Campesina und Praxen wie z.B. Tauschringe heraus.
Wir sind uns auch der Tatsache bewusst, dass mit den Begriffen gesellschaftlich bestimmte Sachverhalte benannt – und damit andere »entnannt« werden. Dieses ABC erhebt jedoch nicht den Anspruch, erschöpfend zu sein. Sicherlich fallen uns und den Leserinnen und Lesern im Nachhinein noch zahlreiche weitere Begriffe ein, die alternative Perspektiven öffnen. Und wahrscheinlich wird der eine oder die andere mögliche Alternativen ganz anders einschätzen. Sollte das der Fall sein, dann hat das Buch seinen Sinn erfüllt. Denn: Wenn man – in nicht ganz zulässiger Weise – eine Gemeinsamkeit aus den Begriffen herausdestillieren wollte, dann wäre es die breit geteilte Perspektive, dass emanzipatorisches politisches Handeln unter sehr widersprüchlichen Bedingungen stattfindet und die Reflexion dieser Widersprüche zum praktischen Bestandteil von Emanzipation wird.
Wir freuen uns sehr darüber, dass sich derart viele Menschen aus sehr unterschiedlichen linken politischen und beruflichen Zusammenhängen zur Mitarbeit an diesem Projekt bereit erklärt haben und dass somit ein breites und internationales Spektrum der gegenwärtigen linken kritischen politischen Praxis vertreten ist. Diese Pluralität ist eine der Stärken des aktuellen alternativen Denkens und Handelns und spiegelt sich in diesem Buch wider.
Die Idee der bildungspolitischen Intervention in Form von ABCs geht auf Claudia von Braunmühl zurück, die ab 2004 für den wissenschaftlichen Beirat von Attac eine wöchentliche Rubrik in der »taz« organisierte. Dieser Ansatz wurde ausgebaut und im Jahr 2005 erschienen die überarbeiteten Stichworte in dem Buch »ABC der Globalisierung«. Nach dem »ABC zum Neoliberalismus «, das Hans-Jürgen Urban 2006 in der Schriftenreihe der Otto-Brenner- Stiftung im VSA-Verlag herausgegeben hat, wird diese positiv aufgenommene kleine Serie nun um ein »ABC der Alternativen« ergänzt.
Der Band ist in Kooperation mit dem Wissenschaftlichen Beirat von Attac, der »tageszeitung« und der Rosa Luxemburg Stiftung entstanden. Letztere hat das Projekt dankenswerterweise auch finanziell unterstützt.
Wir bedanken uns bei allen Autorinnen und Autoren für ihre Beteiligung am Brainstorming und ihre Bereitschaft, die Herausforderung angenommen zu haben, komplexe Begriffe auf zwei Buchseiten abzuhandeln. Herzlich bedanken möchten wir uns auch bei Gerd Siebecke vom VSA-Verlag, der das Projekt von Anfang an intensiv begleitet hat. Der VSA-Verlag wird einmal mehr seiner Rolle als wichtige publizistische Plattform für die aktuellen emanzipatorischen Debatten und Praxen gerecht.
Wir hoffen, dass mit dem »ABC der Alternativen« dem kritisch-emanzipatorischen Denken und Handeln im deutschsprachigen Raum neue Impulse gegeben werden können.
Köln, Berlin und Wien im Oktober 2007
Bettina Lösch, Stefan Thimmel, Ulrich Brand