Ein weiteres Buchprojekt zum Thema »Linke und Antisemitismus in Deutschland« – war das wirklich nötig? Es gibt die Standardwerke zur BRD-Linken von Martin Kloke, zur DDR von Thomas Haury und Mario Keßler, dazu eine unüberschaubare Menge verstreuter kleinerer und größerer Schriften. Auch für Österreich und die Schweiz sind mittlerweile umfangreiche Untersuchungen vorhanden. Was hingegen wirklich fehlt, wenn man von einigen Arbeiten zur Geschichte des Verhältnisses von Arbeiterbewegung und Antisemitismus absieht: eine international vergleichende Forschung. Doch nicht zuletzt der teils irrational anmutende Streit um die Ausstellung »Das hat's bei uns nicht gegeben – Antisemitismus in der DDR« zeigt, dass wohl noch viel Papier bedruckt werden muss, ohne dass ein Ende des Streits absehbar wäre.
Leider dominieren die Diskussion um linken Antisemitimus Positionen, die entweder inflationär mit dem Vorwurf des Antisemitismus um sich werfen und dabei als ihr diskursives Anderes eine antisemitische Internationale konstruieren, die von Attac über die NPD bis zur Hamas reiche, oder aber es wird das andere Extrem vertreten und jedwede Thematisierung der Problematik von sich gewiesen, da ja Linke per definitionem vor Antisemitismus gefeit seien. Diese Seite schreit schnell erbost und voller Abscheu (und häufig zu unrecht) »Antideutsche!«, sobald sich jemand mit dem Thema befasst.
Das vorliegende Buch ist für die Debatte aus mehreren Gründen eine Bereicherung. Zum einen zeigt es das Bemühen der Herausgeberinnen und Herausgeber um eine ernsthafte und – im Rahmen des Möglichen – relativ unaufgeregte Auseinandersetzung. Der Grund für sie, sich mit der Thematik zu beschäftigen, war nämlich ein ganz konkreter Anlass – ein Streit innerhalb der Stipendiatinnen und Stipendiaten der Hans-Böckler-Stiftung, welcher in eine überfüllte Tagung und schließlich das vorliegende Buch mündete. Dabei wird aber keinesfalls Neutralität in der Debatte beansprucht. Ganz klar argumentieren die meisten Autorinnen und Autoren aus Sicht von (innerlinken) Antisemitismuskritikerinnen und -kritiker. Diese Perspektive bestimmt den Band. Zum anderen hat das Buch einen zusammenfassenden und Dokumentationscharakter.
Zu den Dokumentationen gehören die Aufsätze von Haury und Kloke, die in ähnlicher Form auch anderswo nachzulesen sind, aber zu einem abgerundeten Bild der Debatte gehören. Ein auch direkt als solcher ausgewiesener Dokumentationsteil im Anhang stellt zwei typische Gegenpositionen (Stefan Grigat und Elfriede Müller) dar, die auf eines verweisen: Die linke Debatte um Antisemitismus und den Nahostkonflikt, wie sie einleitend geschildert wurde, ist schon lange nicht mehr nur eine Auseinandersetzung über diese Themen, sondern sie ist ein innerlinker Grabenkampf, der eine ganz eigene Konfliktdynamik angenommen hat. Meist geht es dabei um die Rolle der Antideutschen. Ihre radikale Zuspitzung zu einer Israel-Solidaritätsbewegung, wie sie im Aufsatz von Grigat pointiert zu Tage tritt und von Müller anschließend geschickt zerissen wird, erweist sich aber als ebenso großes Hemmnis für eine komplexe Wahrnehmung der Probleme der linken Palästinasolidarität und Israelkritik/-feindschaft wie deren vebohrteste antizionistische Vertreterinnen uns Vertreter selbst.
Heute, fast vier Jahre nach der dokumentierten Tagung, sind die Wogen der Auseinandersetzung etwas geglättet und man kann sich etwas weniger echauffiert mit den vielen Facetten des Themas »Antisemitismus und Linke« befassen. Und auch, ja gerade, wer an einer nicht antideutschen Kritik der Auswüchse des militanten linken Antizionismus interessiert ist, findet im Buch eine Reihe von interessanten Denkanstößen, die sich alle als Ausgangspunkte für kleinere und größere Reflexionen, für Neujustierungen oder schlicht Verwirrungen erweisen können. Um Denkanstöße handelt es sich deshalb, weil die meisten der hilfreichen Beiträge des großformatigen 400-Seiten-Buches, eher Hintergrund- und Kontextinformationen zum aktuellen Streit vermitteln.
Theoretische Überlegungen zum Zusammenhang von Antisemitismus und nationaler Identität (Quindeau) stehen neben empirischen Darstellungen über antisemitische Manifestationen in Europa (Wetzel) und dem arabischen Raum (Gläser). Ein großer Teil der notwendigen Kontextinformationen zur heutigen Debatte ist aber in der linken Geschichte zu finden. So widmet sich Mario Keßler dem Antisemitismus in der SPD in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, denn ihr Prozionismus ist nur die eine Seite der Medaille. Ebenso wichtig (wenn man einigen ideologischen Ballast, den der Autor mitbringt, nicht überbewertet) ist Kistenmachers Beschäftigung mit der KPD, die nicht nur einen stellenweise zutiefst nationalistischen Kurs fuhr, sondern im Gefolge der nationalbolschwistischen Orientierungen auch krasse antisemitische Ausfälle tolerierte und – Kistenmacher zeigt dies u. a. an Karikaturen in der Parteizeitung Rote Fahne – auch produzierte.
Eine Reihe von Beiträgen skizzieren das Verhältnis des Kommunismus und seiner Staatlichkeit in der DDR zu Jüdinnen und Juden. Auch hier ist, wie in Birgit Schmidts Beitrag zu »Exil, Volksfront und Juden« belegt, immer wieder die Beachtung des (linken) Nationalismus ein Schlüssel zum Verständnis antisemitischer Tendenzen. Diese werden beispielsweise durch die Exkulpation der Masse der Deutschen durch KPD- und SED-Funktionäre (als Quasi-Leugnung der Täterschaft) mit »eingekauft«. Je näher die Betrachtungen an der Gegenwart liegen, umso größer ist jedoch die Gefahr von Einseitigkeiten. So vertritt Lars Rensmann, hier als ein Beispiel für viele unschöne Simplifizierungen im Buch, mal wieder die These, es gebe keine innerlinke Kritik am radikalen Antizionismus. Er ignoriert dabei die Diskussionen der vergangenen zwanzig Jahre, in denen gerade Teile der radikalen Linken einen immensen Wandel vollzogen haben. Die linke Wahrnehmung der gesamten Thematik Linke-Juden-Antisemitismus-Nahostkonflikt war nämlich in Folge ihrer stets konflikthaften und nicht zur Ruhe kommenden diskursiven Bearbeitung spätestens seit dem Anschluss der DDR an die BRD, also durch den nicht enden wollenden Streit, in dem jede geäußerte Position mit schnellem Widerspruch rechnen muss, auch noch nie so komplex wie heute. Und so kann mehr Wissen über Details – und deren liefert das Buch viele – trotz einiger Einseitigkeiten dem Diskurs nicht schaden.
Matthias Brosch, Michael Elm‚ Norman Geißler‚ Brigitta Elia Simbürger‚ Oliver von Wrochem (Hrsg.): Exklusive Solidarität. Linker Antisemitismus in Deutschland, Berlin 2007: Metropol (440 S., 24 €).
Die Besprechung erschien erstmals im September 2008 in der Zeitschrift Utopie kreativ.