Da die Nahostthematik und die innerlinke Debatte darüber für Teile insbesondere der radikalen Linken eine zentrale identitätsstiftende Funktion haben, verwundert es nicht, dass auch immer mehr geistes- und sozialwissenschaftliche Qualifikationsarbeiten dazu geschrieben werden. Eine davon ist Timo Steins Arbeit über «Antizionismus in der deutschen Linken». Stein will drei Fragen beantworten, nämlich inwiefern der Antizionismus «antisemitisch grundiert ist», «wie es dazu kommen konnte» und ob dies «fundamentaler Bestand linker Ideologie» ist (S. 4).
Die Arbeit ist halbwegs wohlinformiert, dem Thema entsprechend interessant und doch fragt man nach dem Wozu. Den größten Teil der Darstellung nimmt die Wiedergabe von Martin Klokes Dissertation «Israel und die deutsche Linke» ein, die noch nicht einmal im Literaturverzeichnis erscheint und oft nur indirekt und irreführend über anderer Leute Darstellungen von Klokes Arbeit zitiert wird. Dies wird mit einem theoretischen Kapitel garniert, das im Wesentlichen Thomas Haurys Einschätzungen aus dessen Buch «Antisemitismus von links?» wiedergibt und Strukturübereinstimmungen zwischen Antisemitismus und dem verknöcherten Staats-Marxismus-Leninismus konstatiert. Steins Gesamtfazit: «Je radikaler die antizionistische Position, desto wahrscheinlicher wurde der Gebrauch antisemitischer Stereotype» (S. 93).
Zur Unterscheidung von legitimer Israelkritik und Antisemitismus werden Kriterien aufgestellt. Auch wenn einige der genannten problematisch sind, unter anderem, weil nicht zwischen Intention (Motivation) von Äußerungen/Handlungen und Rezeptionsmöglichkeiten unterschieden wird (so ist «Israel in der agierenden Rolle des Aggressors, der … unschuldige Palästinenser unterdrückt», S. 34, eben gleichzeitig als adäquate Sicht auf Aspekte des Konfliktes wie auch als Ausdruck weltbildhafter antizionistischer Dämonisierung und einseitiger Schuldattribution lesbar), bilden sie eine Folie, die unterschiedliche Vorkommnisse vergleichbar macht und eine Einordnung hinsichtlich der Forschungsfrage erlauben würde.
Die Kriterien finden sich jedoch nur zu Beginn der Publikation und werden nicht systematisch auf die einzelnen im historischen Längsschnitt präsentierten linken Nahostpositionierungen angewandt. Damit wird ein über Kloke hinausgehender möglicher Erkenntnisgewinn verschenkt und manche Schlüsse wirken entsprechend willkürlich, viele Urteile unsystematisch und moralisierend.
Die neue Masche, auch von Qualitätsverlagen, mit von den Autor_innen selbstbezahlten Druckwerken, deren tatsächliche Verbreitung den Verlag auch kaum interessiert, leichtes Geld zu verdienen, fällt – nicht nur in pekuniärer Hinsicht – auf letztere zurück. Im vorliegenden Fall wurde aus einer guten Abschlussarbeit ein nicht sonderlich notwendiges Buch, dass sich in dieser Art der Darbietung als eigene Forschungsleistung (auch ein Kapitel zum Stand der Forschung und der dort vertretenen Ansätze fehlt völlig) an der Grenze zu Kolportage und Plagiat bewegt.
Stein, Timo: Zwischen Antisemitismus und Israelkritik. Antizionismus in der deutschen Linken, VS-College, Wiesbaden 2011: VS Verlag für Sozialwissenschaften, (106 S., 34,99 €).
Die Besprechung erschien erstmals am 21.10.2020 in der monatlich erscheinenden Zeitschrift ak - analyse & kritik.