Nachricht | Antisemitismus (Bibliographie) - Deutsch-deutsche Geschichte - Antisemitismus Martin Kloke: Israel und die deutsche Linke. Zur Geschichte eines schwierigen Verhältnisses, Frankfurt am Main 1994.

Martin Klokes geschichtswissenschaftliche Studie ist das Grundlagenwerk zum Umgang der westdeutschen Linken mit Israel und dem Nahostkonflikt.

Information

Autor

Peter Ullrich,

Martin Klokes 1990 zum ersten Mal und 1994 in erweiterter Fassung veröffentlichte geschichtswissenschaftliche Studie ist das Grundlagenwerk zum Umgang der westdeutschen Linken mit Israel und dem Nahostkonflikt. Sie konzentriert sich auf die Wandlungen und Brüche im Israelbild der bundesdeutschen Linken zwischen 1949 und 1990/91. Dabei identifiziert und analysiert der Autor verschiedene Phasen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg dominierte demnach ein «oppositioneller Pro-Israelismus», der von Scham über die deutsche Geschichte, Solidarität mit den NS-Opfern und «Wiedergutmachungsbemühungen» geprägt ist sowie die sozialistischen Elemente des israelischen Staates bewundert. Im Mittelpunkt der folgenden Darstellung steht der Einstellungswandel, der nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel sowie insbesondere nach dem Sechstagekrieg von 1967 zu einer rasanten Erosion dieser Solidarität führte und sie mit einer proarabischen beziehungsweise propalästinensischen Orientierung der Mehrheit der Linken ersetzte (wenngleich es weiterhin immer auch israelfreundliche und philosemitische Positionen gab).

Klokes These: Keine Linke war so proisraelisch eingestellt wie die deutsche vor 1967 und keine so antiisraelisch wie die deutsche nach 1967. Der neue Antizionismus und die weitgehende Identifikation mit der palästinensischen Nationalbewegung führten auch zu antisemitischen Ausfällen. Die Radikalität der aufkommenden Israelfeindschaft erklärt Kloke mit einer Reihe von Gründen: der einseitigen linken Faschismusdiskussion, die die Shoah ausklammerte; dem antiimperialistischen Sendungsbewusstsein und der Glorifizierung nationaler Befreiungsbewegungen, wofür die PLO ein hervorragendes Identifikationsobjekt abgab; als Reaktion auf einen bürgerlichen Philosemitismus, der Elemente einer bloßen Umkehr des Antisemitismus beinhaltet; und sozialpsychologisch als Ersatzidentifikation einer nach nationaler Entlastung dürstenden gekränkten deutschen Linken.

Einseitigkeit war dabei Programm: «In das theoretische Korsett des Antiimperialismus eingezwängt, traten die historischen Besonderheiten und Widersprüche der einzelnen Konfliktgebiete zugunsten antikolonialer ‹Eindeutigkeit› zurück» (S. 288). In der Darstellung der 1970er und 1980er Jahre geht es um den immer wieder auch als Antisemitismus hervorbrechenden Antizionismus, was materialreich belegt wird, und um die zugleich einsetzenden Reflexionsprozesse. Besonderen Raum erhält die Auseinandersetzung um den Libanonkrieg von 1982 und den Golfkrieg von 1991. Aufgrund zahlreicher linker Entgleisungen (darunter ein Brandanschlag auf das jüdisches Gemeindezentrum in Berlin im Jahr 1969, die Befürwortung des Anschlags auf die israelische Olympiamannschaft durch Ulrike Meinhof und die RAF, einseitige Darstellungen und Dämonisierungen Israels, andauernde Gleichsetzungen Israels mit dem Nationalsozialismus sowie Angriffe auf Kritiker*innen der «Palästina-Solidarität») konstatiert Kloke eine «Seelenverwandtschaft antizionistischer und antisemitischer Protagonisten» (S. 323).

Klokes Pionierarbeit verschafft insbesondere einen ordnenden Überblick über die historische Entwicklung der linken Nahostwahrnehmungen in der Bundesrepublik bis Anfang der 1990er Jahre. Sie eröffnet zugleich den Zugang zu reichlich Material und stellt verschiedene Thesen und Begriffe zur Debatte, die für die weitere Diskussion bedeutsam bleiben. Manche Interpretation erscheint etwas überspannt; der zentrale Blickwinkel und die Solidarität des Autors sind mit dem Titel «Die deutsche Linke und Israel» ja deutlich markiert.
 


Kloke, Martin W.: Israel und die deutsche Linke. Zur Geschichte eines schwierigen Verhältnisses, Schriftenreihe des Deutsch-Israelischen Arbeitskreises für Frieden im Nahen Osten, 2. Aufl. [Orig. 1990], Frankfurt am Main 1994: Haag + Herchen (388 S.).